Pentiment (Review)

Artwork zu Pentiment

Hab ich schonmal erzählt, dass ich Spiele mit detektivischer Ermittlungsarbeit liebe? War glaub ich noch gar nicht so lange her… Da ich aktuell wieder verstärkt auf das Genre schiele, die Wartezeit auf Master Detective Archives: Raincode schier endlos erscheint und der Jahresrückblicks-Podcast von Power On! so überzeugend verlief, kam Pentiment gerade recht. Der Abschluss von Xbox Game Studios schmalem Jahr 2022 hat mich auf so vielen Ebenen überraschen und begeistern können, aber zuweilen auch stutzig werden lassen. Ich kann daher gar nicht anders, als euch mit dieser Review zu beglücken. Oder nerven, I don’t judge.

Pentiment zeigt sich in historisch-schönem Gewand

Obsidian Entertainment ist vor allem für seine zahlreichen und recht unterschiedlichen Rollenspiele bekannt. Und so war das letzte Jahr doch recht spannend, denn sowohl Grounded als auch Pentiment gingen in eine gänzlich andere Richtung. Vor allem der zweite Titel schlägt als narratives 2D-Adventure gänzlich Studio-ungewohnte Töne an. Kein Wunder, dass es etliche Jahre dauerte sowie einen Studiowechsel brauchte, bis Pentiment grünes Licht erhielt. Gemeinsam mit einem sehr kleinen Entwicklungsteam und auch dank der Übernahme durch Microsoft durfte Videospielentwickler Josh Sawyer letztendlich an seinem Herzensprojekt arbeiten.

Was wir Spieler im November erhalten haben, ist in Sachen Präsentation und Artstyle außergewöhnlich und so nur zuweilen in der Indie-Sphäre sichtbar. Doch ein großes Studio von einem der größten Publisher? Mutig. Pentiment bedient sich optisch der Buchmalerei, einer mittlerweile nicht mehr angewandten Stilrichtung der Kunst. Der so ungewohnte Anblick verfliegt aber nach kurzer Zeit schnell, wodurch dann allen voran die farbliche Klarheit dieser digitalen Rekonstruktion des Stils besonders auffällt. Auch die Animationen der Charaktere sind dementsprechend abgehackter und erwecken den Anschein, man bewege sich direkt in diesen Büchern.

Weil das noch nicht fertig ist, Andreas!

Zugleich nutzt das Spiel keine Sprachausgabe, um die Dialoge voranzutreiben, sondern nimmt sich die Freiheit von Comic-Sprechblasen. Diese werden gefüllt mit unterschiedlichen Bilderhandschriften oder Drucktechniken, je nachdem welcher Charakter spricht. Es mag für manche auf Dauer nervig werden, auf den jeweiligen Sprechtext zu warten. Doch das Sounddesign (Kratzen einer Feder während des Sprechens oder Anlegen von Druckerplatten) erweckt den Eindruck, die Geschichte würde vor unseren Augen in ein Buch geschrieben werden. 

Und schon wieder geht es um Mord in meinen Reviews!

Getreu seinem Artstyle spielt Pentiment in einer kleinen Dorfgemeinschaft Bayerns in der frühen Neuzeit. Einer Zeit des Umbruchs mit Buchdruck, den Bauernaufständen oder dem Einsetzen der Reformation als Begleiter zivilisatorischer Veränderung. Wir übernehmen die Rolle des jungen Malergesellen Andreas, der in der Abtei Kiersau an seinem Meisterstück arbeitet. Als Gast der Kirche sowie der Gemeinde von Tassing lernt Andreas die unterschiedlichen, aufeinander prallenden Welten dieser Zeit kennen und fühlt sich weitestgehend wohl. Dies ändert sich allerdings, als eines Tages ein wohlhabender Adeliger zu Gast ist, Chaos im Dorf und der Abtei stiftet… und plötzlich eines Nachts ermordet aufgefunden wird.

Was daraus erwächst, ist eine spannende, aber stellenweise auch ernüchternde Kriminalgeschichte rund um Tassing und die Abtei. Andreas nimmt die Ermittlungen auf und entdeckt schon bald eine Reihe von düsteren Geheimnissen. Zugleich scheint in der Gemeinde eine graue Eminenz zu existieren, die hinter den Kulissen die Fäden zieht und Andreas bedroht.

Der eigentliche Plot rund um das Mordmysterium (klingt in Deutsch so falsch) ist leider nicht so ausgefallen, wie ich es mir als Genreliebhaber erhofft hätte. Viele Dinge, allen voran die Identität des Strippenziehers, sind weit im Vorfeld zu erahnen oder offensichtlich. Und wenn sich unsere Ermittlungen und das Spiel ihrem Ende zuneigen, bleibt auf spielerischer Ebene aufgrund der Gesamthandlung und der Enthüllungen ein schaler Beigeschmack zurück. Es gibt durchaus überraschende Wendungen in der Handlung von Pentiment, diese entspringen allerdings mehr der Erzählstruktur. Oder um es mit einem Vergleich auszudrücken: Pentiment ist in seiner Narrative mehr auf die Handlung fokussiert und somit einem Telltale-Adventure ähnlicher als einem Sherlock Holmes-Titel von Frogwares, das eher die grauen Zellen stimulieren will.

So viel Authentizität!

Dafür überzeugt Pentiment mit seiner historischen Authentizität. Für Josh Sawyer und sein kleines Team war die Frühe Neuzeit nicht einfach nur Aufhänger für den Artstyle. Zugleich agierte sie als ein großer Faktor für die Narrative. Dialoge, Charakterisierung und ganz speziell das Mysterium der Gemeinde sind so tief in der Geschichts-, Literatur- oder Religionswissenschaft verwoben, dass es eine wahre Freude ist. Die Repräsentation dieser Epoche so hinzubekommen, muss einiges an Recherche-Zeit gekostet haben.

Gleichzeitig habe ich auch nahezu alle Charaktere des Dorfes oder der Abtei ins Herz geschlossen. Ich mag es, wenn ich selbst bei “Klischee”-Figuren mehrere Schichten entdecken kann, und die Persönlichkeiten des Spiels sind schon sehr individuell getroffen. Und Andreas als Protagonist? Gehört für mich in weiten Teilen zu den nachvollziehbar geschriebenen Charakteren der Industrie. Er ist kein guter Ermittler, sondern nur aufgrund des Zufalls in der Position, in der er sich befindet. Er ist zerrissen zwischen den Erwartungen der Zeit und seinen eigenen Wünschen und Ängsten. Ein Charakter, der sich “echt” anfühlt, auch wenn dessen Epoche mir unvorstellbar erscheint.

Teil deine Karten aus, Pentiment!

Spielerisch ist Pentiment weitaus verhaltener, aber dennoch für sein Genre recht tiefgründig. Als zweidimensionales Adventure laufen wir auf starren Bahnen von links nach recht und erkunden die Region. Hin und wieder können wir mit der Umgebung interagieren, in der Regel dominieren allerdings die guten Dialoge das Geschehen. Doch Vorsicht: Es kann Zeit vergehen, weswegen andere Interaktionen gegebenenfalls nicht mehr möglich sind. Nach kleineren Entscheidungen zu Beginn besitzen wir diverse Fähigkeiten, die uns eventuell bei den Ermittlungen behilflich sein können. Italienisch sprechen zu können, wenn gerade Italiener auf der Durchreise sind – praktisch! 

Und so wandern wir durch die Gemeinde, befragen Bauern und wohlhabende Personen gleichermaßen und versuchen so viele Hinweise wie möglich zu sammeln. Diese verändern unser Wissen über die Menschen, die eventuell ein Motiv haben könnten. Diese werden in unserem Handbuch abgelegt, welches allerdings immer wieder Anzeigefehler besaß. Eine doppelte Seite und somit fehlende Informationen erschweren das Nachlesen alter Hinweise. Und auch in den Dialogen zeigten sich hin und wieder solche Unsauberkeiten, gerade wenn wir einen Hinweis schon hatten, aber Charaktere dennoch derart reagieren, als würden wir dieses erst finden müssen.

Wenn ein Akt beendet ist, können wir dieses Wissen dann für eine weitreichende Entscheidung nutzen. Ein wenig schade ist es schon, dass diese Entscheidungen letzten Endes aufgrund der Gestalt des Mysteriums wenig Relevanz besitzen, aber es passt. Raubt denen aller Nachvollziehbarkeit zum Trotz dennoch spielerisches Gehalt.

Aktiv mitdenken ist in Pentiment allerdings eher Nebensache. Es gibt das ein oder andere Code- oder Schieberätsel, diese bewegen sich aber auf einem überschaubaren Niveau. Und auch eine Art von Inventarsystem wie in anderen Adventures sucht man hier vergeblich. Wenn ein Item notwendig werden sollte, liegt dieses meist in direkter Umgebung und wird kurzzeitig in die Hand genommen. Ansonsten lockert sich das Gameplay hin und wieder mit einem Minispiel auf. Spielerisches Highlight war hier das Kartenspiel mit einigen Reisenden, welches in der Form auch gut in ein Adventure wie Card Shark gepasst hätte.

Ein außergewöhnliches Spiel

Ich bin sehr froh, dass Josh Sawyer dieses Projekt realisieren durfte. Pentiment ist der Beweis dafür, dass ein Produkt großer Publisher einerseits massentauglich, andererseits aber auch authentisch und einzigartig sein kann. Die Geschichte ist simpel und nachvollziehbar und wirkt auf der Leinwand seines Settings weit größer als seine Einzelteile. Und der Artstyle erst. 

Dinge, die viele jahrelang bei den großen Entwicklerstudios vermisst haben und daher fast nur bei Indies vorhanden waren, kommen hier bei Pentiment zusammen. Ich wünsche mir noch mehr dieser kleinen Projekte von den Studios. Vor allem, wenn hier die Designer ihr Herzblut reinstecken können, ohne nur auf Profit schauen zu müssen.

Was fehlt zum ganz großen, gestempelten Wurf? Nuancen, wie ich finde. Pentiment steht sich aufgrund seiner Struktur und dem Gameplay oftmals selbst im Weg. Jeder Akt des Spiels zieht sich zu Beginn, die Dynamik der vorangegangenen Augenblicke kann nicht mit herüber gerettet werden. Dadurch wirkt das Spiel episodisch. Und das Spieldesign könnte sich ruhig mehr von seinen Genrevorgängern inspirieren lassen, um mehr Varianz reinzubringen. Dennoch sollte sich keiner, der über den Gamepass verfügt und dem Genre oder dem Setting nicht abgeneigt ist, Pentiment entgehen lassen.

In die Frühe Neuzeit auf Xbox Series X eingetaucht.