Live A Live (Review)

Viele Jahre sind ins Land gezogen, seit Live A Live zum ersten Mal erschienen ist. Nun ist das RPG, das ein unkonventionelles Story-Konzept aus vielen einzelnen Geschichten nutzt, zurückgekehrt. Früher für das Super Famicon und nur in Japan, diesmal auch hierzulande und auf Switch. Damit gesellt sich der Riege aus HD-2D-Spielen wie Octopath Traveler und Triangle Strategy ein weiteres Spiel hinzu. Und die Wartezeit auf Dragon Quest III geht jetzt richtig los.

Vor einigen Wochen habe ich die Demo von Live A Live genutzt, um einen ersten Eindruck des Spiels zu erlangen. Die ferne Zukunft auf einem Weltraumfrachter konnte mich nicht fesseln, die Versteckkünste des Shinobi im Edo-Zeitalter dafür umso mehr. Bleibt die Zukunft weiterhin ein wenig langweilig? Funktioniert das leicht strategische, rundenbasierte Kampfsystem die gesamte Spielzeit über für mich?

Und was haben die Geschichten überhaupt miteinander zu tun?

Acht Protagonisten

Wir kennen das eher aus Octopath Traveler, schließlich waren wohl die wenigsten von uns in den Neunzigern in Japan (oder haben das Spiel importiert) und haben Live A Live gespielt: Einzelne Geschichten verschiedener, spielbarer Charaktere, die miteinander verknüpft sein sollen. Wunderhübsche HD-2D-Optik.

In gewisser Weise ist jeder der Protagonisten ein Produkt seiner Zeit. Man könnte sie auch böswillig als klischeehaft bezeichnen, aber auch Stereotypen haben ihren Platz. Schon weil eine allzu ausführliche Charakterisierung bei der Kompaktheit der Geschichten kaum möglich ist.

In diese Toilette kann man nichts werfen. Aber jemand scheint sie sehr bequem zu finden.
Ein kugelrunder Roboter

So spielt die ferne Zukunft in einem Raumschiff im Weltall und alles dreht sich um Künstliche Intelligenz. Würfel, der frisch fertiggestellte Roboter, ergründet mysteriöse Vorkommnisse und leidet unter Vorurteilen. Im Abschnitt aus der Demo gab es für ihn nicht allzu viel zu tun außer der menschlichen Besatzung zu folgen und darauf zu warten, dass sie den Raum verlassen, damit er sich selbst wieder in Bewegung setzen kann. Das bleibt weiterhin Teil seiner Geschichte. Aber die Geschichte auf dem Raumschiff nimmt an Fahrt auf. Das Wirrwarr der Gänge bietet trotz des Radars eine Herausforderung, wenn Würfel den nächsten Ort besuchen will – oder auf der Flucht droht, in Sackgassen zu landen.

Mitunter kann Würfel nie einen seiner großen Füße auf die Erde setzen. Denn auch wenn er nicht kämpft, kann er doch zerstört werden. Dann folgt einer der vielen Todes-Bildschirme, die auf unterschiedlichste Weise darstellen, wie die Geschichte eines Protagonisten zu einem verfrühten Ende kommt. Da war ich fast versucht, absichtlich Kämpfe zu verlieren – wenn mir das nicht ohnehin in den meisten Geschichten passiert wäre. Dank der vielen automatischen Speicherpunkte verliert man dabei nur selten viel Fortschritt.

Beleidigungen verhelfen dir auch nicht zum Sieg!
Flächendeckende Angriffe

Ich mag rundenbasierte Kämpfe. Die Vielfalt an Angriffen, die alle Charaktere in Live A Live nutzen können, ist großartig. Besonders, weil deren Namen auf die Geschichten und Zeiten angepasst sind. Auch wenn manche Gegner doch auf einen „schweren Angriff“ zurückgreifen.

Angriffe gehören verschiedenen Typen an. Faustschläge existieren neben elementaren Angriffen, wir richten heiligen Schaden an oder treten einfach mal zu. Nah- und Fernkampf visieren unterschiedlichste Felder auf dem Kampfgitter an.

Deshalb bietet sich an, die eigenen Charaktere über das Feld zu schicken und zu schauen, welche Position sich für besonders effektive Angriffe anbietet. Dabei richtet ein Angriffstyp mit Vorteil allerdings nicht immer den größten Schaden an. Außerdem erlernen viele der Charaktere flächendeckende Angriffe. Die sind oftmals stark genug, um mit einem oder zwei Angriffen mehrere Gegner gleichzeitig zu vernichten.

Spaziert ein Charakter mit voller Aktionsleiste über das Kampffeld, füllen sich die Aktionsleisten der Gegner weiter. Manchmal greifen sie an, während ich noch auf dem Weg zum richtigen Feld bin, abhängig von ihrem eigenen Repertoire. Das beeinflusst auch, ob sie Konter verwenden – die auch nur bestimmte Felder treffen können.

Insgesamt vier Charaktere können gleichzeitig in einer Gruppe sein. Besonders dann wird deutlich, dass einige Angriffe erst aufgeladen werden müssen. Gleichzeitig zeigt sich dabei auch, wie unterschiedlich die Charaktere kämpfen, ob es nun die Protagonisten sind oder weitere Charaktere in ihren Kapiteln.

Mit einer kleinen Auswahl an Angriffen kommt man in der Mehrheit der Kämpfe gut zurecht. Dadurch neigen die Kämpfe doch etwas dazu, langweilig zu werden. Besonders, wenn man mehrfach auf dieselben Gegnertypen in gleicher Verteilung auf dem Feld trifft. Gleichzeitig bieten aber auch immer wieder Gegner eine größere Herausforderung. So sorgen sie für den einen oder anderen Tod, bis man eine Strategie entwickelt hat. Und sei es nur, Konterangriffe zu vermeiden, indem man den eigenen Charakter von bestimmten Feldern fernhält.

Knackige Bosskämpfe

Gerade die meisten Bosskämpfe am Ende eines Kapitels verlangen es, auf Stärken, Schwächen und Angriffsradien zu achten. Auf die eigenen Heilmöglichkeiten mit Angriffen oder Items.

Heilitems sind in Live A Live in den meisten Fällen eher knapp bemessen oder können nur auf den Charakter wirken, der sie benutzt. Doch nach einem Kampf hat das gesamte Team wieder volle LP. Das ist wesentlich angenehmer, als darauf achten zu müssen, ob ich alle Charaktere geheilt habe. Auch ist ein Charakter, dessen LP auf Null sinken, nicht sofort tot. Er kann mit normalen Heilmitteln wiederbelebt werden, sofern man schnell genug ist, da sich auch hier eine Leiste füllt. Oder ein Gegner greift den am Boden Liegenden erneut an und befördert ihn so aus dem Kampf.

Wer auf dem Boden liegt, erhält weiterhin Erfahrungspunkte – sofern er welche bekommt. Denn in einigen Kapiteln sammeln die Charaktere keine Erfahrungspunkte, sondern werden auf andere Weise stärker oder erlernen neue Angriffe. Spannend ist der Ansatz in der Gegenwart – der Kämpfer schaut sich gegnerische Angriffe ab, wenn er getroffen wird.

Die Bosse sind besonders große Gegner, was bedeutet, dass man sie über viele Felder treffen und Schaden anrichten kann. Manchmal ist es schwierig, auf Anhieb zu erkennen, welche Felder ein Gegner belegt, doch vor dem Einsatz eines Angriffs werden davon betroffene Gegner angezeigt. Auch Typenvorteile oder gegnerische Stärken werden dabei angezeigt, und die verbleibenden Lebenspunkte, sofern ein einzelner Gegner getroffen wird.

Das ist offensichtlich kein Boss.

Bereitet ein Gegner Probleme, bedeutet das in der Regel nicht, dass die eigenen Charaktere zu schwach sind. Es fehlt einfach der richtige strategische Ansatz. Grinden ist an keiner Stelle des Spiels nötig, auch wenn ich so manches Mal nach einem Scheitern in vertraute Muster zurückfallen wollte. Oder von vornherein jeden Kampf mitgenommen habe, schließlich hätte ja sein können, dass ich die Erfahrung brauche. Aus normalen Kämpfen ist die Flucht zudem jederzeit möglich, wenn man einmal keine Lust auf Kämpfe hat.

Geschichten, so abwechslungsreich wie das Leben

Ein gesuchter Verbrecher bekämpft Banditen in einer Westernstadt. Ein Jugendlicher mit psychischen Kräften deckt eine Verschwörung auf. Ein Kung-Fu-Meister gibt sein Erlerntes an die nächste Generation weiter.

Unterschiedliche Zeiten, unterschiedliche Settings. Das Kampfsystem und die Linearität der Geschichten verbinden sie, aber alle haben ihre Eigenheiten, mit denen sie ihre eigenen Identitäten erschaffen. Der stumme Steinzeitmensch Pogo erschnüffelt Wild, Gegner und Fährten. Der Jugendliche aus der nahen Zukunft liest die Gedanken seiner Mitmenschen. Der Shinobi versteckt sich meisterhaft und verwirrt damit die Wachen im Schloss.

Vielfältig ist auch der Humor. Zwar behandelt das Spiel in den meisten Fällen ernste Themen und wird teilweise grotesk. Aber wo es passt, wird auch viel durch Humor aufgelockert, der immer zur Geschichte passt. Erwartet also nichts Anderes als primitiven Humor in der Steinzeit. Der Wilde Westen hat mich kalt erwischt, weil ich wirklich nicht damit gerechnet hätte, was sich Live A Live traut. Am Ende habe ich mich dabei vielleicht am meisten amüsiert.

Diese Gegner sind ein wenig flach.

Enttäuscht war ich von keiner Geschichte. Sie sind kompakt, aber trotzdem in sich abgeschlossen. Geduld und Durchhaltevermögen werden nicht überstrapaziert. Es sind geradezu Kurzgeschichten im Videospielformat – was wichtig ist, wird dargestellt oder ergibt sich aus dem Kontext, auf lange Vorgeschichten und Nebenhandlungsplätze wird verzichtet.

Dementsprechend gibt es auch nur wenige Stellen, an denen sich eine Erkundung für neue Ausrüstung und Items wirklich lohnt. Schränke und Kisten, mit denen man interagieren kann, glitzern. Doch auf dem Radar werden weitere Räume angezeigt und das nächste Ziel, was es leicht macht, vom rechten Pfad abzukommen und die Nebengassen zu durchstöbern.

Wie hängt das nun alles zusammen?

Beim Spielen zeichnet sich nach ein paar Geschichten ab, dass sie neben dem Kampfsystem noch mehr verbindet. Die Verbindung wird jedoch nie besonders eng. Aber die Art und Weise, auf die das Finale nach den acht Kapiteln alle Geschichten miteinander verbindet, hat mich trotzdem nicht enttäuscht.

Insgesamt ist das Finale ein wenig klassischer als die Kapitel davor. Live A Live bietet also weiterhin Abwechslung. Es bleibt auch kompakt, aber während ich für ein normales Kapitel zwei bis drei Stunden einplanen würde (mit einer deutlich kürzeren Ausnahme), war ich mit dem Finale rund fünf Stunden beschäftigt.

Fazit

Live A Live auf Switch bleibt dem Original treu. Die vertonten Dialoge modernisieren behutsam, allerdings ist nicht jede gesprochene Textzeile vertont. Zwar bestehe ich nicht darauf, Dialoge hören zu können, aber ein wenig schade ist das dennoch. Dafür wartet die englische Sprachausgabe mit ein paar interessanten Akzenten auf.

Mit der automatischen Speicherfunktion und dem Radar ist das Spiel gut spielbar. Die Kapitel sind abwechslungsreich. Sie lassen sich jederzeit pausieren, aber auch in einem Rutsch abschließen. Sie sind zwar durch verschiedene Aspekte vage miteinander verbunden, stehen aber doch für sich allein.

Immer ein guter Tipp!

Das Spiel verzichtet zwar nicht völlig auf Kämpfe, aber es ist nicht notwendig, möglichst viele Kämpfe zu bestreiten. Im Gegenzug braucht man zwar selten eine ausgetüftelte Strategie, doch nach einem Scheitern hilft ein anderes Vorgehen in einem Kampf sehr. Die einfachsten Kämpfe sind allerdings so trivial, dass sie bei der Häufigkeit, in der sie auftreten, den Spaß am Kämpfen ein wenig dämpfen.

Live A Live verfolgt ein Konzept, das auch heute noch ungewöhnlich ist. Die unterschiedlichen Charaktere, deren Designs von Mangaka stammen, und die Kompaktheit ihrer Geschichten sorgen neben der Vielfalt, die sich dadurch in der Spielweise jedes Kapitels ergibt, für viel Abwechslung trotz der Gemeinsamkeiten.

Wer bei einem JRPG auf hundert Stunden Unterhaltung mit Reihen von Nebenquests und langen Grinding-Sessions besteht, wird bei Live A Live nicht glücklich. Ich mag es sehr, viel Zeit zu haben, mich auf Charaktere und Geschehnisse einzulassen. Das Kapitel eines Charakters an einem Abend abzuschließen, ist für mich dennoch eine erfrischende Erfahrung. Man kommt fast nicht darum herum, in einer Spielsession Fortschritte in der Story zu erzielen. So konnte ich jeden Abend zurückblicken auf ein abgeschlossenes Kapitel, und mir überlegen, welchen Charakter ich am nächsten Tag spielen möchte.

Ich finde ihn immer noch nicht!

Jedes Kapitel hat seine Highlights. Seien es die ausdrucksstarken Animationen in der Steinzeit, die Schildkröte in der nahen Zukunft oder die Aufmachung als Turnier in der Gegenwart. Manch einer wäscht sich auch gern die Hände oder fasst jedes Mal wieder in das Feuer einer Fackel. Optik, Charaktere, Handlung und Hintergrundmusik sind gut aufeinander abgestimmt. Außerdem teilen aller Eigenständigkeit alle Geschichten den einen oder anderen Aspekt, durch den sie sich wie ein gemeinsames Spiel anfühlen.

Live A Live eignet sich durch die Kompaktheit seiner Geschichten gerade für diejenigen, die nicht zu viel Zeit in JRPGs versenken können oder wollen. Genauso für alle, die Interesse an seinem außergewöhnlichen Konzept haben. Und nicht zuletzt für diejenigen, die einen neuen Ohrwurm haben wollen. Denn seit Tagen steckt das Boss-Theme Megalomania in meinem Kopf.

Herzlichen Dank an Nintendo für die Bereitstellung des Testmusters. Getestet auf Nintendo Switch.