Hell Pie (Review)

Wenn man an das Genre der 3D Jump & Runs denkt, weckt das auch ästhetisch einige Assoziationen, auch wenn diese natürlich nicht grundlegend an die Mechanik gebunden sind. Darunter fällt insbesondere auch die Jugendfreundlichkeit. Die meisten Hüpfspiele sind ohne Altersbeschränkung oder ab sechs Jahren freigegeben. Einige Entwickler, die eine besondere Vorliebe für Waffengewalt haben, schaffen es vielleicht, die USK zu einem „ab 12“ zu reizen. Doch Hell Pie sticht mit einer Freigabe ab 18 Jahren dann doch sehr deutlich hervor – und das trotz Comic-Optik.

In Hell Pie schlüpft man in die Rolle eines Dämonen, der für den Chefkoch des Teufels arbeitet. Besagter Chefkoch möchte anlässlich einer Feier für den dunklen Herrscher einen fulminanten Kuchen backen, es fehlen allerdings allerlei – wenig appetitlicher – Zutaten, um das festliche Feingebäck fertigzustellen. Hier tritt der Spieler auf den Plan, der sich durch drei umfangreiche Welten schwingen muss, um unter Aufbietung all seines Heldenmutes die dringend benötigten Zutaten einzusammeln. Die Geschichte des Spiels wird in kurzen schriftlichen Konversationen vorangetrieben. Da das Entwicklerteam deutsch ist, ist übrigens die deutsche Übersetzung in diesem Fall – sehr unüblich für Spiele von kleineren Indie-Teams – sehr gut und besitzt auch einige Wortwitze, die nicht direkt aus der englischen Sprachfassung stammen, sondern originär für die deutsche Fassung geschrieben wurden.

Die Geschichte spielt in Hell Pie allerdings eine absolut untergeordnete Rolle. Wenngleich die Präsentation schon früh an den Rüpelhüpfer Conker erinnert, wird man in Hell Pie kaum einmal für mehr als eine Minute im Spielfluss unterbrochen. Das ist auch insofern gut, als dass Hell Pie über weite Teile nicht sonderlich lustig ist, sondern einfach nur mit Ekeleffekten aufwartet. Angefangen bei den Sammelgegenständen, die in aller Regel verrottet oder ausgekotzt sind, über die sehr explizite und beiläufige Gewaltdarstellung – platzende, zermatschte oder zerhäckselte Menschen gibt es zuhauf – bis hin zu dem immerwährenden Fokus auf exzessive Fresserei, samt fortgeschrittenem Dekubitus am Hinterteil, wer sich gerne ekelt, kommt in Hell Pie auf seine Kosten. Mithin gibt es auch humoristische Elemente in der Präsentation, aber explizite Widerwärtigkeiten sind hier definitiv im Mittelpunkt.

Das Highlight in Hell Pie ist aber ganz klar das Gameplay, konkret die Schwungmechanik. Der Dämon Nate trägt einen übergewichtigen Engel an einer Kette mit sich herum und kann diesen überall in der Luft als Ankerpunkt verwenden, um sich an der Kette zu schwingen. Nach Einführung der Schwungmechanik kann man sich in der Luft einmalig schwingen, das Spiel verfügt allerdings über einen Fähigkeitengraph (ähnlich einem Fähigkeitenbaum, nur, dass manche Fähigkeiten mehr als eine andere Fähigkeit voraussetzen). Über diesen Graphen kann man verschiedene Upgrades wie zusätzliche Lebensenergie, eine Schwungregeneration, aber eben auch zusätzliche Schwünge kaufen. Am Ende des Spiels kann man sich vier Mal schwingen und dadurch enorme Distanzen überwinden, aber auch in waghalsigen Manövern wilde Strukturen nach oben klettern. Ich bin mir nicht gänzlich sicher, ob man auch ohne die Upgrades durch das Spiel kommt – ich vermute sehr stark nein – aber tatsächlich laden die Level sehr stark dazu ein, die Schwungmechanik maximal auszureizen.

Neben dem Schwung kann Nate auch noch einen Dash und einen Doppelsprung durchführen; beides sind deutlich präzisere Manöver als der Schwung. Allerdings muss man sagen, dass das umfassende Momentum in Hell Pie dafür sorgt, dass Springen ohne Schwungfähigkeit sich etwas unangenehm anfühlt und vor allem das Landen dadurch etwas haarig wird. Die wenigen Areale im Spiel, in denen einem die Schwungmechanik genommen wird, fühlen sich dadurch stark restringiert an, aber im Gegenzug fühlt man im Anschluss die Freiheit, die einem die Schwungfähigkeit gewährt, im Kontrast umso deutlicher.

Der bereits angesprochene Fähigkeitengraph ist nicht an Erfahrungspunkte oder gar IAP gebunden, sondern an spezielle Sammelobjekte im Spiel. Neben den Hauptsammelgegenständen, den Zutaten für den Kuchen, gibt es nämlich noch einige weitere Sammelgegenstände, die eine optionale Natur haben. So gibt es Getränkedosen zu finden, die Punkte für den besagten Fähigkeitengraph ergeben, goldene Katzen, mit denen man in einem Areal der Oberwelt geheime Räume betreten kann, die angefüllt mit allerlei Memorabilia sind, Sammeli genannte Gegenstände, die als Währung dienen, um Kostüme zu kaufen und schließlich einhörnige Lämmer. Diese Lämmer muss man an Schreinen opfern, indem man ihnen die Hörner abreißt und in eine Schale schmeißt, um zusätzliche Fähigkeiten jenseits des Fähigkeitengraphs zu erhalten, die ihrerseits den Zugang zu neuen Arealen in den Levels ermöglichen. Um alle Zutaten zu sammeln, muss man auf jeden Fall fleißig Schafe morden, diese Fähigkeiten sind nämlich für einige Zutaten zwingend erforderlich.

Strukturell ist das Leveldesign insofern interessant, als dass jede Welt im Spiel in ein weitläufiges offenes Collectathon-Areal und drei kleinere lineare Level unterteilt ist. Durch diese Kombination bleibt die Spielerfahrung durchweg frisch. Allerdings muss ich auch gestehen, dass ich nicht alle optionalen Sammelgegenstände habe finden können. Das Problem ist, dass die Areale sehr weitläufig und die Gegenstände teilweise ziemlich gut versteckt sind. Nach dem Sammeln aller Kuchenzutaten habe ich mir in einigen Levels angeschaut, ob ich die übrigen Sammelgegenstände alle finden kann, das geht aber für mein Dafürhalten nur mit einer sehr erschöpfenden Suche, die in diesem Umfang nur wenig Spaß macht. Eine Anmerkung noch zum Gameplay: Hell Pie ist eines der Spiele, die für den Endgegner auf eine andere Spielmechanik – hier Third Person Shooter wechseln. Der Endgegner ist zwar nicht sonderlich schwierig, es ist aber schon etwas schade, dass der Endgegner nicht einfach eine Prüfung der Fähigkeiten ist, die man im Hauptspiel erworben hat.

Technisch ist Hell Pie solide, weist aber auf der Xbox One X, auf der ich es getestet habe, stellenweise merkliche Framerate-Probleme auf. Es wird nie eine wirklich schlimme Framerate erreicht, doch macht mir die Performance auf der Xbox One X schon Sorgen hinsichtlich der Basiskonsolen und der Nintendo Switch. Optisch ist das Spiel farbenfroh, aber auch randvoll mit recht widerwärtigen Comicfiguren und -szenen, so dass man schon einen stabilen Magen haben sollte, wenn man Hell Pie spielt.

Hell Pie ist ein äußerst unterhaltsames Jump & Run mit einer außerordentlich gelungenen Spielmechanik. Das Leveldesign ist nicht ganz so gut wie die Spielmechanik; insbesondere ist das Sammeln der optionalen Sammelgegenstände ein wenig nervig. Dennoch ist das Leveldesign gelungen. Die Präsentation hingegen dürfte die Gemüter spalten. Die exzessive Darstellung von Ekelszenen und Gewalt ist größtenteils nur über sich selbst gerechtfertigt und kann dem Spiel keinen großen Mehrwert geben. Anders als das stilistisch ähnliche Conker geht die Darstellung hier selten mit beißender Satire einher. Eine Ausnahme ist da wohl das Abschlusslevel, das ich aber thematisch an der Stelle natürlich nicht vorweggreifen möchte. Für Jump & Run-Fans ist Hell Pie in jedem Fall ein Pflichttitel.

Vielen Dank an Suggarfly für die Bereitstellung des Testmusters. Getestet auf Xbox One X.