Who pressed mute on Uncle Marcus (Review)

Titelartwork Who pressed mute on Uncle Marcus

Mord kommt in den besten Familien vor. Oder in den schlimmsten. Oder den seltsamsten. Es braucht lediglich ein Motiv, eine Gelegenheit und eine gehörige Portion Skrupellosigkeit. Die Wahrheit dahinter herauszufinden gehört zum kleinen Einmaleins des Detektivspielens. Doch was passiert, wenn sich wie in Who pressed mute on Uncle Marcus die gesamte Familie abgrundtief hasst? Und jeder eine Gelegenheit hatte? Ganz einfach: Wahrscheinlich die verrücktesten Stunden Spiel, die ich bisher in diesem Jahr erleben durfte.

Who pressed mute on Uncle Marcus?

Während ich mich also derzeit durch Elden Ring suchte, kam dieses Spiel gerade richtig. Who pressed mute on Uncle Marcus ist ein erneutes FMV-Adventure von Wales Interactive. Deren Spiele haben bei mir im letzten Jahr einen mal mehr (Five Dates) oder mal weniger positiven Eindruck (Night Book) hinterlassen. Ich war daher sehr gespannt, wohin die Reise mit der familiären Krimikomödie gehen würde.

Als sich Abigail auf das alljährliche Quiz via Videochat mit ihrer exzentrischen Familie anlässlich des Geburtstages ihrer Mutter vorbereitet, ruft sie plötzlich ihr Onkel an. Der hat allerdings keine so guten Nachrichten, denn auf einem Familienmeeting Tage zuvor hat jemand ihm ein unbekanntes Gift verabreicht. Marcus könnte daran in den nächsten Stunden sterben und bittet daher Abigail, die Wahrheit hinter dem Anschlag herauszufinden. Leichter gesagt als getan, denn gerade in dieser Familie fällt es ihr schwer sich zu behaupten. 

Screenshots aus Who pressed mute on Uncle Marcus
Auch im digitalen Videochat à la Teams lassen sich wertvolle Informationen sammeln

Unsere Aufgabe ist es, so schnell wie möglich den Täter ausfindig zu machen, das Gift zu identifizieren und das Motiv zu enthüllen. Doch dies ist leichter gesagt als getan, wenn die Mutter auf ihr alljährliches Geburtstagsquiz besteht. Ihre Schwester lieber von sich selbst redet. Ihre Tante wohl mehr als eine Flasche Wein intus hat. Und ihre Cousins unterschiedlicher und seltsamer nicht sein könnten. Es gilt daher mitzuspielen und das Quiz dafür zu nutzen, mit den Verwandten ins Gespräch zu kommen. Who pressed mute on Uncle Marcus präsentiert sich dabei wie die letzten FMV-Titel, die ich im vergangenen Jahr erleben durfte.

Ein FMV aus dem Lehrbuch

Wir folgen dem “Film” aus der Perspektive von Abigail, welche die Wahrheit hinter dem Giftanschlag aufdecken muss, um ihren Onkel zu retten. An besonderen Stellen bekommen wir eine Entscheidung zwischen mehreren Optionen gewährt. Wie soll sich Abigail verhalten? Mit wem sollen wir die nächste Quizrunde gestalten? Unserer jeweiligen Auswahl folgend wird jeweils eine andere Szene aufgerufen, welche die Handlung des Adventure voranbringt. Und abgesehen von wenigen Schlüsselmomenten verändert sich der Verlauf der Handlung nur wenig, was einerseits für eine im Endeffekt runde Narrative sorgt, aber andererseits den Wunsch nach mehr Entscheidungsfreiheit ernüchtert. Ein typisches “Problem” dieser FMV-Spiele.

Trotz Nebensächlichkeiten wie Giftanschläge ziehen wir eisern das familiäre Quiz durch

Aufgrund dieses doch eher schmalen Repertoires an Interaktionsmöglichkeiten gestaltet sich auch der Krimi hinter Who pressed mute on Uncle Marcus auf spielerischer Ebene schwächer als in anderen Adventure-Formen. Im Endeffekt klicken wir uns durch die Entscheidungen, betrachten die Szenen und wenn es eine wichtige Information beinhaltet, speichert das Spiel diese als Indiz ab. Je mehr dieser Aussagen wir gesammelt haben, desto schneller schaltet sich eines der vielen Enden frei. Diese bestehen in der Regel darin, ein anderes Familienmitglied zu beschuldigen, dies nicht tun zu können oder das Ableben von Marcus zu betrauern. Hirnschmalz ist nur selten gefragt und im Grunde nur bei den Quizfragen notwendig. 

Auf diese Weise fehlt Who pressed mute on Uncle Marcus ein wenig der Mut, seine detektivische (oder Quiz-basierte) Ausgangslage zu nutzen, um aus dem engen Korsett eines interaktiven Films auszubrechen. Stattdessen wiederholt man spielerisch wieder und wieder denselben Film mit einzelnen Variationen, um so viele Hinweise freizuschalten und die Geschichte zu ihrem optimalen Ende zu bekommen…falls dies nicht bereits im ersten Durchgang geklappt hat, versteht sich. Dies alles ist schade, aber wenn man die aktuellen Titel von Wales Interactive kennt, zu erwarten gewesen.

Auf dem falschen Fuß erwischt

Was ich nicht in der Form erwartet habe, war der Spaß, den mir der mörderische Quizabend bereitet hat. Als interaktiver Film funktioniert Who pressed mute on Uncle Marcus gut, weil er auf unterschiedlichen Ebenen zu gefallen weiß. Der britische Humor, der sich allen voran in den skurrilen Charakteren wiederfindet, unterhält bei jeder frisch freigeschalteten Szene aufs Neue. Getragen wird dies von einer munter aufspielenden Truppe von Schauspieler:innen, die ihren Figuren Leben einhauchen. 

Tante June (Susannah Doyle) ist da mit ihrer Mimik sowie bitterbösen und destruktiven Art mein absoluter Favorit gewesen. Nahezu jeder Dialog wird von ihr dominiert, selbst wenn sich die anderen Darsteller keineswegs vor ihr zu verstecken brauchen. Nahezu der gesamte Cast spielt mit einer Leichtigkeit, sodass man ihnen die (zugegeben etwas Klischee-belasteten) Rollen locker abkauft. So sollten FMV geschauspielert werden und nicht wie es damals in den Achtziger Jahren mit den ersten Schritten des Genres  versucht worden ist. Lediglich der titelgebende Onkel Marcus (Andy Buckley) tanzt hier ein wenig aus der Reihe. Einige Momente des Todgeweihten wirkten eher unfreiwillig komisch und fielen stark vom Rest des Cast ab.

Nach jeder Runde erhalten wir eine Übersicht, was für Hinweise wir herausgefunden haben

Und so verblasste der durchschaubare Plot und trat von Wiederholung zu Wiederholung stärker in den Hintergrund. Stattdessen freute ich mich immer wieder, eine neue Szene zu entdecken, um eine neue Facette zu dem ein oder anderen Familienmitglied zu entdecken. Unerwartet kam auch, dass sich Szenen mit anderer Herangehensweise nicht widersprochen haben, wie es beispielsweise bei Night Book der Fall war. Die alternativen Abläufe wirken dadurch homogen und nachvollziehbar, wodurch die Entscheidungen kein bloßes Gimmick darstellen, sondern ein echter Blick in “Was-wäre-wenn”.

Who pressed Green for Uncle Marcus?

Schuldig, im Sinne der Anklage! Who pressed mute on Uncle Marcus hat mich durch seine ganze Art überzeugen können. Die zahlreichen Momente, in denen ich hinter die Fassade der Familie blicken durfte, waren sehr unterhaltsam und wirkten beinahe wie aus einem Guß. Der Humor ist gut, der Cast spielt befreit auf. Man merkt allerdings trotz aller guten Unterhaltung das typische Problem dieser Hybriden aus Film und Spiel: Mit jeweils vergleichbaren Werken beiden Medienformen kann es schwer mithalten. Aber muss es das? Ich behaupte nein, denn trotz vieler Klischees, einer durchschaubaren Story und solidem, aber insgesamt zu schwachem Gameplay ist dieses Adventure innerhalb seiner Nische ein überaus runder Titel. Und für diese Titel habe ich immer eine Empfehlung übrig, vor allem für jene, die FMV-Adventures und interaktiven Filmen etwas abgewinnen können.

Getestet auf Xbox Series X. Ein herzlicher Dank geht an Wales Interactive für die Bereitstellung des Mustercodes.