Sonic the Hedgehog (2006, Review)

Vor dem Erscheinen von Xbox 360 und PlayStation 3 hat Sega eine der ersten Tech Demos zu den HD-Konsolen entworfen. Sonic wurde in sehr realistischen und erstaunlich offenen Umgebungen gezeigt. Beeindruckende Beleuchtung, Effekte und eine hohe Spielgeschwindigkeit inklusive. Diesem frühen Versprechen musste natürlich auch spielbares Material nachfolgen und im Jahr 2006 beglückte Sonic the Hedgehog Sonic-Fans auf der Xbox 360 mit seiner modernen Neuinterpretation der Sonic-Formel.

Sonic the Hedgehog orientiert sich strukturell sehr stark an dem Dreamcast-Launchtitel Sonic Adventure. Es gibt drei getrennt voneinander spielbare Geschichten, die aber inhaltlich starke Überschneidungen haben. Neben Sonic kann man auch Shadow und den Neuling Silver aus der Zukunft spielen. Die drei Igel haben jeweils einen eigenen Spielstil und die Level der drei Storys überschneiden sich zwar, spielen sich aber dennoch grundverschieden, weil alle drei Igel grundverschiedene Spielstile haben.

Sonic spielt sich grundsätzlich ähnlich wie in den Adventure-Spielen, das heißt, dass man mit Sonic durch weitgehend linear aufgebaute Level rennt und springt, sich mit der Homing Attack an Gegnergruppen entlang hangelt und mit Tricks Punkte sammelt. Neu hinzugekommen sind die sogenannten Mach-Sequenzen in den Sonic in viel höherer Geschwindigkeit automatisch nach vorn rennt und der Spieler schnell auf Gefahren reagieren muss um den blauen Igel am Leben zu halten. Diese Sequenzen schließen einen großen Teil der Sonic-Level ab, leiden aber unter einer enorm schwammigen Steuerung, unzähligen kuriosen Kollisionsfehlern und bisweilen geradezu unfairen Stellen, an denen man dank der Kameraführung im Vorfeld gar nicht abschätzen kann, wie man reagieren muss.

Shadow orientiert sich an seinem Solo-Auftritt, das heißt, dass er klassisches Sonic-Gameplay mit der Verwendung von Schusswaffen kombiniert. Hinzu kommt, dass Shadow eine Reihe von Gefährten in den Levels findet, mit denen er sich entweder schneller fortbewegen oder Gegnern stärker zusetzen kann. Leider spielt sich Shadow in Sonic the Hedgehog bedeutend schlechter als in seinem Solo-Auftritt. Dazu tragen vor allem das bisweilen völlig unsinnig offene Leveldesign, die noch deutlich höhere Gegnerzahl und die fürchterlichen Fahrzeuge bei. Wenn man Wagen und Waffen weitgehend ignoriert – was in erstaunlich vielen Levels möglich ist, selbst bei einem Abschluss mit dem neuen Bestrang S – kann Shadow aber manchmal sogar ein wenig strahlen.

Der letzte Hauptcharakter, Silver, dient augenscheinlich dazu, die Physikengine, die Sega lizenziert hat, Havoc, zu demonstrieren. Silver ist ein Telekinet und kann mit der Kraft seiner Gedanken Gegenstände im Level bewegen und Levelstrukturen an dafür vorgesehenen Punkten verbiegen. Weiterhin kann er auch sich selbst für eine gewisse Weile in der Luft halten und sich so schwebend durch das Level bewegen. Was zunächst einmal nach einem interessanten Konzept klingen mag, erweist sich in der Praxis als reine Qual. Silver ist langsam, schwer zu kontrollieren und seine Physikspielereien funktionieren bestenfalls mäßig gut.

Neben den drei Hauptcharakteren muss man immer mal wieder auch die Kontrolle über weitere Freunde von Sonic übernehmen, seien es Tails, Imega, Blaze oder Knuckles. Abgesehen von Blaze, die sich nahezu exakt so wie Sonic spielt, sind alle diese Sequenzen aber schlichtweg nervig und offenbaren, dass Sonic Team nicht annähernd genug Zeit oder Ideen hatte, um die verschiedenen Spielstile vernünftig auszuarbeiten. Die Konsequenz ist allerdings, dass selbst Level, die an und für sich halbwegs spaßig sind, oft durch die Charakter-Wechsel torpediert werden.

Neben den eigentlichen Levels gibt es zudem eine umfangreiche Oberwelt, über die man die verschiedenen Level erreichen kann. Diese Oberwelt ist nicht nur noch deutlich größer als in Sonic Adventure, sondern das Spiel gibt dem Spieler auch gleich noch viel weniger Informationen, wo er als nächstes hingehen soll, so dass man in Sonic the Hedgehog sehr viel Zeit damit zubringt, kopflos durch eine Stadt zu laufen, die uninteressanter kaum gestaltet sein könnte. Um die Stadt ein wenig zu rechtfertigen, hat Sonic Team eine Menge an Stadtmissionen entworfen, die dadurch gestartet werden können, dass man mit Menschen in der Stadt redet. Diese Missionen sind so zahlreich wie sie schlecht sind und werden ganz besonders durch die absurd langen Ladezeiten im Spiel torpediert.

Ein Paradebeispiel für die Sonic the Hedgehog-Erfahrung ist eine Mission in der ein Charakter Sonic eine Reihe von Fragen stellt, die Sonic anschließend beantworten muss, indem er die erste, zweite oder dritte Kiste zerstört. Der Ablauf der Mission ist geradewegs famos: Zunächst wartet man 20 Sekunden, bis die Szene neu geladen wurde und der Charakter Sonic in zwei Textboxen sagt, was zu tun ist. Dann wartet man abermals 20 Sekunden, bis der Charakter Sonic in einer Textbox sagt, was die Fragestellung ist. Weitere 20 Sekunden Wartezeit später darf man als Sonic ein paar Zentimeter nach vorn laufen und eine der drei Kisten zerstören. Nach weiteren 20 Sekunden Wartezeit wird dem Spieler mitgeteilt, ob er die richtige Kiste zerstört hat, bevor es nach 20 weiteren Sekunden Ladezeit mit der nächsten Frage weitergeht. Eine Spielerfahrung gleich aus der Hölle.

In Sachen Story ist Sonic the Hedgehog ganz im Stil des 2000er Final Fantasy-Kitsches gehalten. Eine realistisch gestaltete Prinzessin Elise wird von Dr. Eggman angegriffen, weil dieser den Iblis Trigger haben möchte. Sonic rettet die Prinzessin, aber Eggman hat sich den mächtigen Stein unter den Nagel gerissen. Wie so oft unterschätzt Eggman aber die Macht, die er ruft und Silver the Hedgehog kommt aus der völlig zerstörten Zukunft, um die durch Eggman ausgelöste Katastrophe zu verhindern. Fälschlicherweise schreibt er die Katastrophe aber Sonic zu und arbeitet somit zunächst daran, die Krise zu vertiefen. Im Laufe der Geschichte geht Sonic mit Elise auf ein romantisches Date, stirbt und wird durch einen Kuss von Elise – vor den Augen von Langzeitschwarm Amy – wieder ins Leben gerufen. Wenngleich die Geschichte in hochwertigen gerenderten Sequenzen erzählt wird, könnte sie kitschiger und nerviger kaum sein. Einige der Szenen des Spiels werden bis heute als Sinnbild für Sonics rapiden Qualitätsabfall auf der Xbox 360 herangezogen.

Während man sich in bisherigen Adventure-Spielen stets zumindest auf die Qualität der Sonic-Level verlassen konnte, ist das bei Sonic the Hedgehog leider nur noch sehr eingeschränkt der Fall. Die offensichtlichsten Probleme sind die Mach-Sequenzen, alternative Spielstile und andauernde Lade-Unterbrechungen zwischen den verschiedenen Levelanteilen sind leider noch nicht alles. Die Orchestierung vieler Level ist schlichtweg kopflos und Sonic selbst ist trotz Motion Blur und schnell aussehenden Animationen enorm langsam. Die Spielphysik wird in der Konsequenz für Sonic völlig unintuitiv gestaltet. Bekanntheit hat der Umstand erlangt, dass Sonic im Spaziergang einen Looping hochlaufen und an der Spitze des Loopings stehen bleiben kann. Die Jagd nach S-Ranks offenbart zwar, dass die Entwickler durchaus halbwegs gründlich gewesen sind und kann zumindest stellenweise Spaß bereiten, doch werden selbst Sonic-Fans hier sicher nicht eben vor Freude strahlen.

Der völlig unausgegorene Schwierigkeitsgrad, der dafür sorgt, dass immer wieder einzelne Spielabschnitte unzählige Versuche kosten, wohingegen vorher und nachher quasi keinerlei Hürden dem Spieler im Weg stehen, dürfte aber bei jedem Spielstil sauer aufstoßen. Markant in dieser Hinsicht ist Crisis City mit Sonic. In diesem Level gibt es die schwierigste Mach-Sequenz. Wie oft meine Frau in meiner Spielzeit den Ausspruch „This tornado is carrying a car“ aushalten musste, obwohl sie nur gelegentlich zugeschaut hat, lässt sich kaum noch zählen. Von den unzähligen Bugs im Spiel – in einem Fall bin ich beispielsweise im Endgegnerkampf gegen Silver aus der unsichtbaren Barriere um die Kampfarena herausgeworfen worden und konnte nicht wieder zu Silver zurückkehren oder mich auch nur umbringen – brauchen wir an dieser Stelle gar nicht erst anzufangen.

Im Hinblick auf die Präsentation ist Sonic the Hedgehog ein zweischneidiges Schwert. Die Grafik ist sehr rudimentär und die Framerate – wenngleich sie unter idealen Umständen bis zu 60 Bilder in der Sekunde erreicht – ist höchst instabil. Im Gegenzug ist die Musik aber absolut exzellent und der Soundtrack des Spiels reiht sich mühelos in die Reihe toller Sonic-Soundtracks ein. Wie bereits angesprochen sind die Zwischensequenzen von überzeugender Qualität, auch wenn die Mischung aus Sonic-Comicstil und realistischen Menschen und Umgebungen definitiv ein wenig gewöhnungsbedürftig ist.

Insgesamt ist Sonic the Hedgehog ein Spiel, das wenig Potential zeigt und dieses bisschen auch noch spektakulär verschenkt. Extreme Ladezeiten, unzählige fürchterliche Spielstile, eine Zumutung von einer Oberwelt und gelinde gesagt gewöhnungsbedürftige Furry-Fetisch-Geschichte mit konfusen Science-Fiction-Anleihen paaren sich mit einer instabilen Framerate und unzähligen Programmierfehlern. Dass Sonic the Hedgehog in diesem Zustand veröffentlicht wurde, ist rätselhaft.

Getestet auf Xbox 360.