Chicory: A Colorful Tale (Review)

Artwork zum Spiel Chicory: A Colorful Tale. Unterhalb des Logos befindet sich eine Sitzbank mit dem Hundeprotagonisten drauf sitzend und einem großen Pinsel links angelehnt. Der Hund sieht glücklich aus.

Aufgrund meines doch recht weit gefächerten Spielegeschmacks stolpere ich hin und wieder über (für mich) ganz besondere Titel. Sie sind oftmals keine Offenbarung am Gameplay-Himmel und ihre Story berührt oder fordert mich nicht besonders. Stattdessen ist es das Gesamtpaket, welches mir von der ersten bis zur letzten Sekunde zusagt und noch lange in mir nachhallt. Ein solcher Titel ist der Puzzle-Plattformer Wandersong des Entwicklers Greg Lobanov gewesen. Dessen Nachhall bewirkte, dass ich mir bereits kurz nach Launch das Action-Adventure Chicory: A Colorful Tale gegönnt habe. Und ich bereue meinen Kauf in keinster Weise.

Die farbenfrohe Welt von Chicory

Einst hat in Picnic Tristesse und Ödnis geherrscht. Die ganze Welt war lediglich in Schwarz und Weiß getaucht, das Leben dementsprechend fade. Doch dann hat der erste Träger des Pinsels die Dunkelheit vertrieben und Farbe in die Welt gebracht. Viele Jahrhunderte später ist die Häsin Chicory Trägerin des magischen Pinsels und bei Nöten in der tierischen Bevölkerung von Picnic die allererste Anlaufstelle. Urplötzlich fällt aber erneut die Dunkelheit ins Land ein und alle Farben verschwinden. 

Als Hausmeister von Chicory, dem wir den Namen unseres Lieblingsessens geben sollen, entdecken wir den magischen Pinsel. Von seiner Trägerin fehlt allerdings jede Spur. Pommes zieht als unverhoffter Held daher los, um das Geheimnis der verschwundenen Farben in Picnic zu lösen. Die kindlich anmutende Abenteuer-Geschichte ist zuweilen humorvoll und bewegend, aber weiß zugleich auch mit seinen ernsten Themen zu überzeugen. Im Kern erzählt Chicory: A Colorful Tale eine Geschichte rund um die vielen Facetten der Kunst sowie seiner zahlreichen Künstler:innen und ihrer Hürden. Sie ist dabei so motivierend und dennoch so ehrlich wie möglich. 

Screenshot aus Chicory: A Colorful Tale. Darstellung eines schwarz-weißen Raumes, der von einer Textbox überlagert wird. In dieser Textbox steht: »! CONTENT WARNING: Depression. To skip, pause with Options button and select "Skip Cutscene".«
Optionale Inhaltswarnungen sind der logische, nächste Schritt in Richtung Accessibility

An dieser Stelle hat mich eine Option des Spiels sehr beeindruckt. Chicory: A Colorful Tale stellt es uns frei, ob wir Inhaltswarnungen zu Themen wie Depression erhalten wollen. Die Einblendung mag einerseits aus dem Spiel reißen, hilft andererseits aber auch Menschen, die sich solche Warnungen wünschen, Inhalte bewusst zu überspringen oder sich innerlich auf diese einzustellen. Obwohl ich persönlich diese Option nicht beanspruchen musste, begrüße ich solche Funktionen auch in künftigen Titeln, um Menschen nicht aufgrund unterschiedlichster Einschränkungen von der Spielerfahrung auszuschließen.

Punkt, Punkt, Komma, Strich – Fertig ist Chicory!

Während Wandersong die musikalischen Künste seines Recken in den Vordergrund gestellt hat, schiebt Lobanov (@theBanov) in Chicory Malen und Zeichnen ins Zentrum. Nachdem Picnic wieder Schwarz-Weiß geworden ist, lässt sich jeder Screen der Welt praktisch wie eine interaktive Malbuchseite sehen. Mit dem linken Stick steuern wir Pommes (oder wie auch immer ihr euren Hund nennen wollt) durch die Umgebung, mit dem rechten Stick den Pinsel. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit funktioniert diese Aufteilung recht gut, doch es bietet sich gerade für spätere Segmente an, im Koop zu spielen. Dann kann ein zweiter Pinsel problemlos beim Zeichnen sowie Lösen kurzer Geschicklichkeitspassagen aushelfen.

Screenshot. Darstellung eines Kreuzganges in alle vier Himmelsrichtungen mit Säulen und anderen Dekoelementen . Durchgang nach Norden ist geschlossen. Boden der Kreuzung ist angemalt und es zeigt sich der Schriftzug "Seek the Nature of the Brush".
Zu Beginn sind die Rätsel noch einfach, im Laufe des Spiels werden sie allerdings immer kreativer

Spielerisch holt Chicory aus seiner Grundmechanik viel heraus. Ähnlich wie ein Adventure der Marke Zelda gibt es in der Oberwelt sowie den Höhlen und Tempeln Rätsel zu bewältigen, um den richtigen Weg oder versteckte Sammelgegenstände wie Kleidung, Müll oder Pinselmuster zu finden. Sind zu Beginn diese Rätsel noch recht simpel, wie beispielsweise das Enthüllen versteckter Botschaften durch Farbe oder das Wachsen- bzw. Schrumpfenlassen von Pilzen, erwarten uns im Verlauf immer kreativere und schwierigere Herausforderungen. Zudem erhielt Pommes mit zunehmender Spieldauer immer mehr Möglichkeiten, um die Fortbewegung durch Picnic zu optimieren und neue Geheimnisse zu entdecken.

Die zahlreichen Figuren der Welt haben nicht nur alle einen individuellen Lebensmittelnamen, sondern zeigen auch ein sehr diverses Portfolio an Charakteren und Individuen. Jede ist mehrfach ansprechbar, mit mehreren Dialogzeilen für ein stimmiges, lebendiges Bild versehen und immer wieder finden sich Personen, die dem neuen Träger des Pinsels einen Auftrag erteilen wollen. In diesen Nebenmissionen malen wir zuweilen Bilder aus dem Spiel nach, suchen nach Empfänger:innen von Briefen oder verschollenen Schätzen. Alles nicht sehr anspruchsvoll, dafür sehr abwechslungsreich und in erster Linie spaßig.

Screenshot. Darstellung eines quadratischen Rahmens, in dem sich die Zeichnung eines Portraits einer Katze befindet. Rechts unten befindet sich eine Sprechblase mit kleinem Gesichtsicon sowie dem Text "I feel its eyes burning through my soul..."
Ohne die Hilfe meiner Koop-Partnerin würdet ihr nicht eine so gute Gemäldekopie sehen

Energiegeladene Kämpfe garniert mit ein wenig Hektik

Chicory: A Colorful Tale wäre beinahe komplett gewaltfrei, wenn da nicht die Bossgefechte am Ende jedes linearen Abschnitts wären. Diese seltenen, aber eindrucksvollen Kämpfe erinnerten mich spielerisch an Undertale. Pommes musste den zornigen Angriffen der Gegner ausweichen und im richtigen Moment selber mit dem Pinsel über diese drüber malen. Chicory vergibt allerdings in den Kämpfen sehr viel. Auch wenn zwei Attacken des Gegners in kurzer Folge durchkommen, geht es nahezu sofort an derselben Stelle weiter. Es ist deutlich zu spüren, warum Kämpfe so selten sind. Präzise Malmanöver und gleichzeitig ausweichen sind gerade bei den hektischen Gefechten schwierig. 

Screenshot. Schwarzer Bildschirm mit Protagonist unten, weißen Blasen rechts sowie großem Kopf eines Bossgegners mit roten Augen links.
Dieser frühe Boss ist vergleichsweise simpel, aber vor allem musikalisch stark

Narrativ und auch inszenatorisch stellen die Bossgefechte Höhepunkte des Spiels dar. Visuell hat jeder Gegner unterschiedliche Muster und Farbangriffe, die jedem Kampf seinen eigenen Charakter verleihen. Spielerisch wartet ebenfalls jeder mit einem individuellen Repertoire an Möglichkeiten auf. Und die energiegeladene Musik, für das gesamte Spiel komponiert von Lena Raine (@kuraine), setzt dem Treiben die sprichwörtliche Kirsche drauf. Besonders gefallen hat mir ein Boss, bei dem Achsen- und Punktsymmetrie von Pommes und Pinsel in Betracht gezogen werden muss, um die aufkeimende Dunkelheit zu vertreiben. 

Für jeden Menschen, der sich kreativ austoben will

Wandersong hat mir damals sehr gut gefallen, unter anderem weil ich die Waage zwischen ernsten und farbenfrohen Themen sehr gelungen fand. Spielerisch hab ich ein wenig Futter vermisst, was ich aber nun bei Chicory: A Colorful Tale erhalten habe. Die Fülle an Möglichkeiten, sowohl innerhalb des Spieldesigns als auch zum Ausleben kreativer Momente, ist groß, so dass für jeden Etwas dabei ist. Und wenn ein Werk gelingt oder ein Screen erstmals in voller Pracht erstrahlt, erfüllte mich das mit Freude.

Screenshot. Komplett ausgemalte Darstellung eines Hauses an einer Straßenkurve mit Fahrradständern an der linken Seite.
Im Laufe der Zeit werden die Screens nach und nach mit Farbe und Leben gefüllt

Chicory: A Colorful Tale ist nicht für jeden Spielertypen gleichermaßen geeignet. Egal ob es um die Story oder das kindliche Design der Welt, den fehlenden Anspruch oder kleinere Schwächen in Steuerung und Gameplay geht, es fänden sich für jeden von uns wohl der ein oder andere Makel am Spiel. Doch Chicory ist viel mehr als die Summe seiner Einzelteile. Stattdessen verzahnen und interagieren die unterschiedlichen Ebenen derart, dass das gesamte Werk ein individuelles und einzigartiges Puzzle ergibt. Ein Eindruck, der im Kulturmedium Videospiel Chicory: A Colorful Tale aus der Masse hervortreten lässt.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte…

…in diesem Sinne:

Getestet auf PlayStation 5.