The Roottrees are Dead (Review)

Artwork zu The Roottrees are Dead

2024 war ein tolles Jahr für mich, wie ich bereits im Jahresrückblick einigermaßen ausführlich besprochen habe. Sein Weg nicht hinein fand zu dem Zeitpunkt The Rise of the Golden Idol, welches wie sein Vorgänger bisher (bin noch nicht durch) einfach ein tolles Erlebnis ist. Doch die Pflicht hat gerufen und selbstverständlich antworte ich. Daher habe ich die vergangenen Wochen eingehende Recherchen im Adventure The Roottrees are Dead unternommen. Und keine Sekunde bereut, dafür erst einmal das goldene Idol auf die lange Bank geschoben zu haben.

Die Roottrees sind tot…

…und daran lässt sich nichts mehr ändern. Doch nach dem Flugzeugabsturz, in dem der Präsident der bekannten Roottree Candy Company mitsamt seiner Familie ums Leben kam, ist nichts mehr wie es früher war. Das Erbe sowie die Fortführung des Traditionsunternehmens stehen für die Verwandten der Roottrees auf dem Spiel. Während die Medien sich mit Neuigkeiten überschlagen, klopft es bei uns an der Tür. Eine unbekannte Frau gibt uns den Auftrag, den Stammbaum der gesamten Familie Roottree zu recherchieren und nachzuvollziehen.

The Roottrees are Dead ist ein Adventure ganz im Stile von Her Story. Doch anstelle eines Videoarchivs steht uns das gesamte Internet zur Verfügung…oder zumindest das, was wir uns 1998 leisten konnten. Eine Suchmaschine sowie Datenbanken für Zeitschriftenartikel und die öffentliche Bibliothek sind unsere Hauptwerkzeuge, um die spärlichen Informationen auszuwerten. 

Das sind viele Wurzelbäumchen

Denn ganz im Stile eines anderen “Klassikers”, Return of the Obra Dinn, ist es unsere Aufgabe, fünfzig verschiedene Personen zu identifizieren und mit Details angereichert im Stammbaum zu verorten. Es ist schon sehr lustig gewesen, als ich erstmals drei Roottrees identifiziert habe. Gleiche Musikabfolge, gleiches Schema – deutlicher kann ein Vorbild kaum ausfallen. Dass zudem die Rahmenhandlung mit unserer Auftraggeberin sich mit der Anzahl der gefundenen Familienmitglieder fortsetzt, ist da nur allzu logisch. Diese fand ich weitestgehend in Ordnung, aber zuweilen auch losgelöst vom Kern des Spiels. Lediglich der große Twist am Ende lässt sich aufgrund unserer ausgiebigen Recherche mehr oder weniger “vorhersehen”.

Von knirschenden Modems und eingängigen Disco-Sounds

Der Löwenanteil der Spielzeit besteht eindeutig aus der Recherche. Wir erhalten zu Beginn eine kleine Masse an physischen Beweisen, welche wir auf unserem Schreibtisch untersuchen können. Dabei werden allerdings nicht die theoretischen “Originaltexte” präsentiert, sondern vom Spieldesigner Jeremy Johnston selbstgeschriebene Zusammenfassungen. Diese Texte untersuchen wir und können einzelne Textstellen mit der Maus markieren. Markierte Texte können wir dann entweder kopieren, direkt im Internet nachschlagen oder in einem Notizbuch hinterlegen. 

Letzteres lässt uns auf zehn unterschiedlichen Seiten so viele Notizen wie notwendig abspeichern. Auch eigene Notizen können wir via Tastatur direkt eingeben. Dies ist sehr hilfreich, da der stete Wechsel vom Schreibtisch, zum Computer, zum Stammbaum und vice versa innerhalb unseres Büros im Verlauf zur nervigen Klickerei ausarten kann. Besonders nervig, wenn man eine Weile keinen Fortschritt erzielt hat, das sag’ ich euch!

Dasselbe betrifft auch die Arbeit am PC. Ob über die Suchmaschine oder die Datenbanken, Texte sind vorgefertigt und “nicht original”, bieten aber zahlreiche Hinweise oder narrativen Rahmen, um eine lebendige Welt außerhalb unserer vier virtuellen Wände zu gestalten. Texte lassen sich auch hier markieren und im Notizbuch eintragen. Gegebenenfalls stoßen wir auf sehr wichtige Informationen, beispielsweise Fotos, welche dringend ausgedruckt und zu unseren Beweisen hinzugefügt werden. Auf diese Weise arbeiten wir uns langsam zu den diversen Wahrheiten hinter der Familie Roottree uns ihren zahlreichen Verwandten vor.

Vier Generationen voller Süßigkeiten!

Schnell wird bei der Recherche klar, dass sich zahlreiche Familienmitglieder der Roottrees nicht allzu leicht aufspüren lassen. Kein Wunder, schließlich existiert das Familiengeschäft bereits seit Beginn der 1920er Jahren und nicht alle Gesichter sind so prominent in der Öffentlichkeit gewesen, wie die kürzlich verstorbenen.

Die „5Pieces“, Kinder der Firmengründer, sind nur der Anfang eines komplexen Stammbaumes

Mir gefiel auf alle Fälle sehr gut, wie verzweigt die Informationen über die 50 Familienmitglieder verteilt waren. Zwar zeigt uns eine Ziffer bei den Beweisen an, wo sich noch neue, handfeste Informationen herausfinden lassen, doch manche Hinweise sind obskur und führen mit kreativer Sicht der Dinge oder durch logisches Ausschlussverfahren zum Ziel. Auf alle Fälle hatte ich nur sehr selten das Gefühl, dass meine Suche nach den richtigen Gesichtern, Namen und Berufen der einzelnen Roottree im Stammbaum willkürlich wirkte.

Hier zeigt sich dann auch, wie toll diese klare Fusion aus den eingangs erwähnten Vorbildern funktioniert. Obra Dinn versprühte zwar mehr Mystik durch seinen Flair, den Artstyle und die zugrunde liegende Geschichte, doch The Roottrees are Dead wirkt dennoch in jeder Faser sehr clever konstruiert und braucht den Vergleich nicht zu scheuen. Beide Titel haben allerdings in meinen Augen das Problem, dass sich gegen Ende des Hauptspiels aufgrund der limitierten Zahl von Eingaben die Ergebnisse zwingend ergeben.

Die Roottrees-Mania greift um sich!

Doch The Roottrees are Dead ist erst der Anfang. Ursprünglich war das Spiel ein kostenloses Adventure auf itch.io, welches unter demselben Titel für das Global Games Jam 2023 angefertigt wurde. Diese freie Version bot allerdings Grafiken aus der künstlichen Feder eines KI-Tools, weswegen für den kommerziellen Vertrieb das gesamte Spiel einem Facelift unterzogen wurde. Grafiken sind nun in der Steam-Version handgezeichnet, die Narrative erweitert und durch Schlüsselpersonen vertont. 

Wirklich faszinierend ist hingegen, dass das Remake genutzt wurde, um ein neues Roottree-Kapitel mit Roottreemania zu schreiben. Die Erweiterung schaltet sich nach dem Durchspielen von The Roottrees are Dead frei und bietet noch einen zweiten Stammbaum. Die Rahmenhandlung setzt ein knappes Jahr nach dem Hauptspiel ein und handelt mehr oder weniger von dessen Auswirkungen. 

Roottreemania verfeinert das Gameplay des Grundspiels

Roottreemania fühlt sich allerdings weniger an, als sei es eine reine Ergänzung zum Hauptspiel, sondern kommt beinahe wie eine glasklare Fortsetzung daher. Dazu passt, dass das Gameplay noch ein Stück weit verbessert wurde. Zahlreiche “rote Herringe” wurden eingefügt, um Namen nicht durch Ausschluss erraten zu können, zudem sind nun in der Dropdown-Menüführung Vor- und Nachname individuell auszuwählen. 

Dies reduziert das bereits kaum existente Gefühl, Informationen nur zu erraten, auf ein Minimum. Zugleich wirken auch die Recherche-Pfade, auf denen wir durch die Texte wandeln, weitaus verzweigter und konstruierter. Da Roottreemania auch die Recherche aus dem Hauptspiel in Betracht zieht, können durchaus auch alte Quellen im Glanze des neuen Lichtes von neuer Relevanz sein.

Was ein Start ins Jahr 2025 für mich!

Einziger Wermutstropfen für mich waren die weiterhin zusammengefassten Texte. Sie lesen sich gut und sind auch gut geschrieben, manche sogar richtig humorvoll oder spannend, aber wenn ich mir persönlich etwas gewünscht hätte, wären die Informationen, welche wir recherchieren, aus “Nachstellungen” gewonnen. Echte Zeitschriftenartikel, vielleicht ganze Kapitel oder ähnliche Dokumente in “authentischer Art”. Dies hätte für mich The Roottrees are Dead besonders rund gemacht.

Nichtsdestotrotz ist mein erstes Testmuster im neuen Jahr ein voller Erfolg gewesen. The Roottrees are Dead sowie die Erweiterung Roottreemania haben sich innerhalb weniger Augenblicke in mein Herz gespielt. Die Recherche ist komplex, die Quellentexte fantastisch konstruiert und dem Zufall habe ich kaum die Lösung einzelner Identitäten der Roottree-Familie anvertrauen müssen. Das Adventure braucht sich vor seinen großen Vorbildern nicht verstecken und wer diese Spiele bereits mochte, der macht hier definitiv nichts verkehrt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass The Roottrees are Dead zum Ende dieses Jahres im kommenden Rückblick noch einmal zur Sprache kommen wird. Denn sollte dies nicht der Fall sein, wird 2025 ein grandioses Jahr sein. Oder ich vergesslich, sucht es euch aus!

Genealogische Recherchen auf Laptop durchgeführt. Ein herzlicher Dank geht an Evil Trout für die Bereitstellung eines Mustercodes.