Nobody Wants to Die (Review)

Artwork zu Nobody Wants to Die

Der Tod ist unser ständiger Begleiter. Wenn ihr also nicht gerade eine Turritopsis dohrnii-Qualle seid, wird er uns wohl alle ereilen. Seit jeher malen sich Autor:innen über alle Genregrenzen hinweg aus, wie eine Welt ohne Sterblichkeit wirklich aussehe. Ob nun einzelne Wesen unter uns wie The Highlander oder ganze Gesellschaften wie in In Time, den Möglichkeiten “unsterblicher Geschichten” sind kaum Grenzen gesetzt. Letztgenannte Form müssen sich allerdings gewissen, anspruchsvollen Regeln unterwerfen. Sonst leidet die “Natürlichkeit” der fiktiven Welt zu stark. Unter diese Herausforderung fällt auch Nobody Wants to Die. Und schafft es weitestgehend, diesem Anspruch gerecht zu werden. 

Die unwirkliche Welt von Nobody Wants to Die

In einer Welt, in der die Menschen gesetzlich das Recht auf Unsterblichkeit haben, ist Mord ein schwerwiegendes, fast unmögliches Verbrechen. Denn egal wie zerstört der menschliche Körper ist, mit der Technologie in 2329 kann der Geist des Menschen in einen “frischen” Körper transferiert werden. Unserem Helden James Karra, Detective beim Department of Mortality in New York, ist das schon hin und wieder passiert. Erst zwei Wochen vor Beginn des Spiels wurde Karra in eine schwerwiegende Zugkatastrophe verwickelt und leidet daher noch immer an den Folgen seines Transfers.

Als wäre das nicht genug, muss er sich nun an eine neue Partnerin gewöhnen, die wirklich gar nichts von ihm hält. Sein Chef wirkt nach jahrzehntelanger Freundschaft distanziert. Und der erste Fall – inoffiziell versteht sich – ist ein lupenreiner und unwiderruflicher Mord an einem der Gründungsväter der Unsterblichkeit. Schöne neue Welt.

Screenshot aus Nobody Wants to Die
Einfach mal die Seele baumeln lassen.

Aber diese Welt ist das Highlight von Nobody Wants to Die. New York ist über die Jahrhunderte zu einer schier endlos großen Megapolis gewachsen. Überall fliegen Autos durch die engen Straßen, vorbei an gewaltigen Werbetafeln. Gerade Freunde der Welten aus Blade Runner oder 5th Element werden sich hier visuell heimisch fühlen. Und gesellschaftlich? Wer viel Geld verdient, kann aus den dreckigen Unter- und Mitteletagen der Stadt ganz nach oben ziehen. Oder sich für sein “nächstes” Leben den Körper eines gesunden Menschen ohne Schnickschnack besorgen.

Die Unsterblichkeit in Nobody Wants to Die hat nämlich einen großen Haken. Da jeder Mensch in dieser Welt ein Recht auf Unsterblichkeit hat, müssen auch gewisse Bedingungen eingehalten werden. Im Alter von 21 Jahren steht der eigene Körper der Allgemeinheit zur Verfügung und – na ratet mal! – muss ausbezahlt werden, um nicht in den Kreislauf der unsterblichen Seelen zu kommen. Wer also nicht genug Geld zu seinem Geburtstag hat oder sich einen neuen Körper kauft, dessen “Seele” wandert erst einmal in die Bank. Yeah?

Dem Mörder auf der Spur

Doch so weit ist es mit James Karra zu Beginn von Nobody Wants to Die noch lange nicht. Aus der Ego-Perspektive untersuchen wir Tatorte und begegnen dabei unter anderem dem Leichnam eines Mannes, dessen Ichorite (das Element verantwortlich für den Seelentransfer) komplett zerstört ist. Doch was ist geschehen? Der knapp achtstündige Kriminalfall verschleppt uns hinter die Kulissen der High Society dieser Welt und lässt uns mehr und mehr erahnen, was es mit der Unsterblichkeit wirklich auf sich hat. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel zur Handlung erzählen, doch wer auch nur ansatzweise einen Crime-Noir-Thriller gesehen hat, der kennt die üblichen Klischees. Nahezu jede Checkbox streicht Nobody Wants to Die ab, schafft es aber dank seiner Welt dennoch einigermaßen frisch zu wirken. 

Dadurch fehlt es aber dem Kriminalfall ein wenig an Tiefe. Wir lernen Karra und seine neue Partnerin gut kennen. Beide sind jeder für sich ein Opfer der unsterblichen Welt. Aber wenn die Locations nicht wären, würde der Plot von langer Hand ersichtlich sein.

Nobody Wants to Die bietet zudem durch Dialogoptionen und andere Entscheidungen insgesamt vier unterschiedliche Enden. Ich hatte eines der beiden schlechten Enden und es gefiel mir. Es ist bitter und es ist süß zugleich. Hier packt die Unbarmherzigkeit der Welt und des hinter dem Mord steckende Geheimnis eiskalt zu. Wenn ich dazu das gute Ende vergleiche, welches ich im Nachhinein gelesen habe…nicht nur sind es lediglich wenige Schlüsselentscheidungen, die wirklich relevant sind. Gleichzeitig löst sich alles auf und unser Held bekommt seine verdiente Belohnung. Mag funktionieren, aber zum Ton des gesamten Spiels und seiner Charaktere passte mein Ende wie die Faust aufs Auge. 

Zeitspielereien und ausbaufähige Deduktion

Nichtsdestotrotz ist die Narrative und das visuelle Artdesign der Welt das Prunkstück von Nobody Wants to Die. Spielerisch handelt es sich um ein narratives Adventure mit eingestreuten Ermittlungsoptionen. An einem Tatort stehen uns drei Geräte zur Verfügung. Eine UV-Lampe zum Erkennen von Blutspuren und ein Röntgenradar mögen unter Umständen noch zu den herkömmlichen Utensilien eines Detective gehören. Der Zeitumkehrer hingegen dürfte etwas weniger orthodox sein. 

Screenshot aus Nobody Wants to Die
Was ist hier passiert? Unser Armreif verrät es uns vielleicht.

Mit diesem Armband können wir an bestimmten Stellen die Geschehnisse zurückspulen. Einwirken können wir nicht, aber Informationen aus Gegenständen, Flugbahnen von Kugeln oder anderen Dingen gewinnen, die wir in der Gegenwart nicht finden konnten. Auf diese Weise rekonstruieren wir den Tathergang. Es ist leider ernüchternd, dass die Ermittlung an den Tatorten weitestgehend linear vonstatten geht und zudem der nächste Punkt in der Spielwelt im Interface direkt angezeigt wird. Das nimmt uns ein wenig die Eigeninitiative und das eigentlich spielerische Element. Da hilft auch das Drücken einer kurzen Schultertasten-Sequenz beim Beginn einer Rekonstruktion nicht, um darüber hinweg zu täuschen.

Ein wenig mehr Gameplay bietet die Deduktion unserer Ermittlungsergebnisse. Hier präsentiert uns Nobody Wants to Die Beweise und andere Informationen, die wir über das vorangegangene Kapitel gesammelt haben. Jeder Schritt wird von einer Fragestellung begleitet, die wir über den korrekten Gegenstand legen sollen. Liegen wir falsch, gibt es in der Regel einen kurzen Dialog zwischen James und Sara, der uns darauf hinweist. Korrekte Verknüpfungen verbinden die beiden Elemente des Netzes miteinander und öffnen neue Fragestellungen. 

Dies ist auf der Oberfläche ein sehr interessantes System, welches entfernt an die Deduktionen in den Sherlock Holmes-Titeln erinnert. Es fehlt allerdings die “Option”, komplett falsch liegen zu dürfen, weswegen die Verknüpfung von Frage und Beweis oftmals rein durch Ausprobieren zustande kommen kann. Mir kam es zudem so vor, als wären die Fragen oder deren Antworten hin und wieder nicht konkret genug, um logisch zwingend zu sein. Oder mehrere Verknüpfungen wären potenziell möglich, aber nur eine hilft uns, in der Story voranzukommen. Hier wäre definitiv Luft nach oben.

Nobody Wants to Die kennt seine Stärken

Im Endeffekt ist Nobody Wants to Die mit seinen spielerischen Mitteln lediglich Abwechslung gelungen. Denn vielmehr schimmert durch das Design dieser Elemente hindurch, dass es sich im Kern um ein Narrative Adventure handelt. Dies gelingt auch auf ganzer Linie, denn visuelles und akustisches Design, allen voran die (englischen) Sprecher, sind ungemein hochwertig gestaltet. 

Und insgesamt muss man dem polnischen Studio Critical Hit Games attestieren, dass Nobody Wants to Die in seinem Genre ein richtig gutes Debüt darstellt. Die Welt ist fantastisch und der davor gewobene Kriminalfall interessant. Es mag nicht alles neu sein, vor allem die Charaktere sind mehr oder weniger Genreklassiker, doch narrativ wirkt Nobody Wants to Die stimmig. Spielerisch ist definitiv noch Luft nach oben. Ermittlungen verlaufen im Grunde wie an der Schnur gezogen. Und Deduktionen sind interessant, aber zu einfach auszuhebeln und manchmal nicht ganz schlüssig. Somit ist Nobody Wants to Die vor allem an Spieler:innen wie …nunja…mich gerichtet, die sich auch gerne einfach in eine gut erzählte und zuweilen spannende Geschichte vertiefen wollen. Kriminologen, die Spaß am Rätseln und Schlussfolgern haben, werden hier allerdings nicht das finden, was sie finden wollen.

Unsterbliche auf der PlayStation 5 sterben sehen. Ein herzlicher Dank geht an Plaion und Critical Hit Games für die Bereitstellung des Mustercodes.

In meinen Augen vergleichbares Spiel:

Cover des Spiels Observer: System Redux