Before Your Eyes (Review)

Artwork Before Your Eyes. Logo unten. Grafik zeigt ein Gewässer mit einem kleinen SPielzeugschiff links und dem Schiff des Fährmanns rechts. Im Hintergrund ragt ein schwarzer Turm über die Szenerie.

Im Bereich der Indiespiele stoße ich immer wieder auf Titel, die versuchen die spielerischen und narrativen Möglichkeiten des Mediums auszuloten. Gefühlt einzigartige Konzepte, die sich nach einer erstaunlichen Erfahrung anhören, entpuppen sich aber oftmals als blanker Aufhänger, um Interesse zu schüren. Und so stieß ich auf das Adventure Before Your Eyes, in dem sich Blinzeln zu einem Teil der Steuerung verwandelt. Neugierig auf das Potenzial dieses Spiels habe ich mir meine Webcam geschnappt und meine eigenen Augen zum Controller verwandelt.

Wer bereits einmal im Berliner Game Science Center gewesen ist, kennt eventuell das Spiel Eye Asteroids. Hier übernehmen unsere Augen ebenfalls die Rolle des Controllers: Wir visieren Meteoriten an und schießen diese ab, während wir gleichzeitig mit unserem Raumschiff anderen Hindernissen ausweichen. Dies war außergewöhnlich anstrengend. Das Tracking der Augen war schwach und ich musste meine Brille ausziehen, damit es wirklich gut funktionierte.

Eine ungewöhnliche Steuerung bei Before Your Eyes

Before Your Eyes geht nicht ganz so weit. Unsere Webcam registriert lediglich den Lidschlag unserer Augen, die Blickrichtung wird nicht erkannt oder gar verfolgt. Schauen wir allerdings vom Bildschirm weg, wertet das Spiel dies als Blinzeln. Ich war angenehm überrascht, wie präzise das Spiel meine Bewegung erkannt hat, obwohl ich meine Brille aufbehalten habe. Ich kann allerdings keine Garantie dafür geben, dass es bei allen Spieler:innen gleichermaßen klappt oder ob es an der Qualität der Webcam liegt.

Die Mechanik des narrativen Spiels basiert darauf, dass wir die Lebensgeschichte von Benjamin Brynn miterleben. Wir streifen durch chronologische Erinnerungen, manipulieren unser Blickfeld durch ein Blinzeln und interagieren mit einigen Elementen der Spielwelt. Auch Entscheidungen lassen sich auf diese Weise treffen. Mit der Maus steuern wir die Richtung unseres Blickes und sobald der Zeiger auf dem richtigen Symbol landet, können wir durch Blinzeln die jeweilige Aktion starten.

Screenshot aus Before Your Eyes. Im Zentrum sitzt der Fährmann in Tiergestalt und gelber Regenjacke auf einem Hocker. Wir befinden uns auf einem Schiff in einem Gewässer, auf dessen Reling sich mehrere Möwen tummeln und zum Fährmann blicken.

Der Fährmann hebt seine rechte Hand, worüber sich ein weißes Augenlidsymbol befindet. Der Untertitel lautet: "Wenn du verstehst, was ich sage, hm, dann blinzle über meiner Hand hier."
Der Fährmann beobachtet mit uns die Epochen unseres Lebens und beurteilt sie

Kernmechanik ist hingegen der Zeitsprung. Sobald ein Metronom eingeblendet ist, sorgt jeder unplatzierte Lidschlag für ein Ende der jeweiligen Szene und wir betreten die nächste Episode von Benjamins Leben. In Verbindung mit der Maus ergeben sich so interessante, spielerische Ideen. So folgen wir beispielsweise mit der Maus einen Pfad über Klaviertasten, während wir gleichzeitig nicht blinzeln dürfen, weil ansonsten die Szene ein Ende findet. Zum Glück weiß aber Before Your Eyes, dass eine solche Steuerung gemeinsam mit dem Druck, Inhalte unachtsam zu verpassen, auf Dauer sehr anstrengend sein kann.

Das Spiel ist nach knapp einer bis anderthalb Stunden beendet und auch die Szenen sind im Großen und Ganzen so gestaltet, dass wir alles notwendige mitbekommen bis der Zeitsprung überhaupt einsetzen kann. Stellen, an denen ein langes Offenhalten der Augen notwendig ist, sind aber dennoch vorhanden.

In einem Augenblick läuft das ganze Leben an uns vorbei

Wir dürfen uns die Frage stellen, ob diese Mechanik in der Form wirklich für jede Person geeignet ist. In den Optionen ließe sich diese Form der Steuerung ausschalten. Dies degradiert allerdings Before Your Eyes zu einem spielerisch öden Adventure ohne fürsprechende Argumente jenseits der Story.

Ein unbeabsichtigtes Blinzeln ist leider unumgänglich. Der plötzliche Abbruch von Szenen und Dialogen kann daher stellenweise sehr frustrierend sein. Ich habe mich oftmals dabei erwischt, genervt nach einem Zeitsprung weg zu blicken und meine Kontrolle über das Blinzeln zu verlieren. Dies sorgte dementsprechend für die Szene danach zu noch weniger Kontrolle. Frust ist vorprogrammiert, sofern wir der Story etwas abgewinnen können. Sicherlich ist dies teilweise mein eigenes Problem, dennoch stelle ich mir die Bandbreite an Frustpotenzial für unterschiedliche Spieler:innen sehr weit vor.

Screenshot. In einem schwarzen Dunst erkennt man nur Bruchstücke einer Szenerie. Im Vordergrund steht ein kleines Kinderklavier mit vielen Bausteinen drumherum. Im Hintergrund befindet sich ein normales Klavier, an dem eine Frau sitzt und zu uns über die Schulter schaut. Der Untertitel lautet: "Warte nur ein bisschen. Sicher wirst du schon bald besser spielen als ich."
Dreh- und Angelpunkt ist die Beziehung zur stetig fordernden Mutter

Before Your Eyes erzählt in seiner kurzen Laufzeit die emotionale Geschichte eines Jungen und seiner Zeit auf Erden. Ein mysteriöser Fährmann sammelt unsere Seele ein und will sie an eine mächtige Wächterin verkaufen, um sich selbst Reichtum und uns das Paradies zu bescheren. Damit dies gelingt, müssen wir ihm (und später ihr) die Geschichte unseres Lebens zeigen. Das Team von GoodbyeWorld Games verfasste eine emotionale Handlung, in der tiefgründige Themen wie Tod und Verlust sowie Gefühle wie Zweifel und Bedauern den zentralen Kern einnehmen. 

Diese menschliche Komponente ohne wirkliches Ziel in der Narrative funktioniert, Szenen und Dialoge leiden aber unter dem Zeitsprung durch unbeabsichtigtes Blinzeln. Die immersive Verbindung aus flüchtigen Momenten und Drama mag zwar klappen und Sinn ergeben, kommt mir als Storyliebhaber aber leider nicht durchdacht genug daher. Dafür habe ich mir selbst zu viele Dialoge der Charaktere selbst vorenthalten.

Before Your Eyes als Kleinod emotionaler Adventure-Geschichten

Die einzigartige Komponente von Before Your Eyes hat mein Interesse geweckt. Mit einem Augenaufschlag die Spielwelt zu verändern oder anderweitig zu interagieren fühlte sich frisch an und hebt das Adventure aus der Masse hervor. Die Handlung des Spiels ist ganz gut, aber sehr offensichtlich darauf aus, Emotionen zu schüren. Dies gelingt stellenweise, auch wenn es in dem Punkt nicht an andere Genrevertreter wie That Dragon, Cancer heranreicht.

Dennoch harmonieren hier meiner Ansicht nach Gameplay und Narrative nur bedingt miteinander. Es gibt einige nette Ideen im Spieldesign, diese werden allerdings in der kurzen Spielzeit kaum erweitert. Sie kratzen bloß an der Oberfläche des Möglichen. Daher empfehle ich das Spiel allen, die mal ein etwas anderes Adventure erleben wollen. Weil es allerdings sein Potenzial nur selten ausreizt, gibt es keine uneingeschränkte Empfehlung meinerseits.

Gespielt auf PC via Steam.