Observer: System Redux (Review)

Artwork von Observer.

Jeder Mensch hat Geheimnisse und vergräbt diese unter einer dicken Schicht aus Erinnerungen und Gefühlen. Und je dunkler ein Mysterium, desto schwieriger lassen sich Informationen zu diesem bergen. In der dystopischen Zukunft von Observer: System Redux ist es die Aufgabe der titelgebenden Beobachter für diese Geheimnisse in die Köpfe der Bürger:innen einzudringen und kriminelle Machenschaften zu beenden. Ich habe mich mutig für euch in die aufwühlenden und verstörenden Gefühlswelten des Spiels gestürzt und kann euch nur empfehlen, es mir gleich zu tun.

Observer: System Redux folgt weiterhin als erweiterte Fassung des Originals dem Polizeiermittler Daniel Lazarski, leider etwas lustlos gespielt und vertont vom Schauspieler Rutger Hauer (u.a. Blade Runner). Im Warschau des Jahres 2084 – einer Welt, in der Menschen durch mechanische Erweiterungen zusehends ihre biologische Menschlichkeit verlieren – nutzt er die technischen Errungenschaften der Zeit, um kriminelle Aktivitäten zu untersuchen.

Dazu hackt er sich unter Anderem in die Implantate seiner Mitmenschen ein, sofern er glaubt, damit wichtige Informationen zu seinen Untersuchungen zu erhalten. Doch jedes Hacken birgt enorme Risiken. Lazarski erlebt bruchstückhafte Erinnerungen, verstörend aufgepeitscht durch die Emotionen der Menschen, am eigenen Leib mit. Und wenn er nicht aufpasst, mischen sich seine eigenen Erinnerungen in das Gewirr an Bildern und Szenen rein.

Verregnete Liebesgrüße von Observer

Wir lernen Lazarski an einem verregneten Tag im Dienstwagen kennen, als plötzlich sein Sohn anruft. Adam, der aufgrund einer familiären Tragödie seinen Vater hasst, versucht ein letztes Mal Lazarski von seiner eigenen Ideologie und den totalitären Machenschaften der Chiron Corporation zu überzeugen. Lazarski verfolgt die Quelle des Anrufs in ein altes Wohngebäude zurück und begibt sich sofort dahin. Doch bereits nach kurzer Zeit verhängt die Regierung einen Lockdown über das Gebäude und Lazarski ist dort gemeinsam mit den Anwohner:innen und dem Hausmeister Janus gefangen. Anstatt Adam zu finden, stößt er auf eine Reihe von brutal zugerichteten Leichen. Und der Täter befindet sich noch immer im Gebäude.

Screenshot aus dem Marketing von Observer: System Redux. Darstellung vom Hausmeister Janus in seinem Büro.
Ein wenig langsam, ein wenig wirr – der perfekte Hausmeister für ein Gebäude am Rande der Gesellschaft

Bereits bei meiner Vesper-Review habe ich mein Faible für Science-Fiction ausgedrückt und Observer reiht sich für mich durchaus zu den besseren Vertretern dieser narrativen Zunft ein. Das Bloober Team hat eine wahnsinnig dichte Welt erschaffen, die viele philosophische Fragestellungen aufwirft. Vor allem die Befragungen an den Wohnungstüren sowie die in System Redux neu hinzugekommenen Nebenmissionen werfen einen tiefen Blick auf die kreierte Zukunft.

Doch diese Welt ist nur die Bühne für eine abwechslungsreiche und gegen Ende sehr persönliche Detektivgeschichte. Nicht jeder von euch wird es mögen, dass der Plot die Welt auf diese Weise zur Nebenrolle degradiert. Doch gerade dieser Fokus auf Lazarski und die wichtigsten Charaktere machen Observer zu einer im Endeffekt guten und denkwürdigen Story.

Mittendrin dank Ego-Perspektive

Spielerisch gestaltet sich Observer als Psycho-Horror-Adventure, in dem wir aus der Ego-Perspektive das abgeriegelte Gebäude erkunden. Wir untersuchen mit zwei gesonderten Sichtmodi, biologisch und technisch, Tatorte, um so viele Hinweise wie möglich zu entdecken, und befragen eventuelle Zeugen an deren Haustür. Ein tiefgründiges Hinweis- und Ermittlungssystem wie beispielsweise in den Sherlock Holmes-Spielen von Frogwares sucht man zwar vergebens, dafür bietet Observer dennoch einige gute Ideen, um so viel Abwechslung wie möglich im Spiel zu bieten. Der Kern besteht darin durch die engen, abstrakten Gänge zu laufen und Hinweise zu sammeln. Zudem verstecken sich im gesamten Spiel zahlreiche Sammelgegenstände und jede Befragung erweitert narrativ die Welt.

Screenshot aus Observer. Im Vordergrund sieht man den Eingang zum Tattoo-Shop. Dahinter steht eine gewaltige Taube über dem Haus empor ragen. Regenwetter bei Nacht.
Riesentauben sind wahrscheinlich noch das unbeeindruckendste Bild aus Observer

Stoßen wir dann doch auf ein Hindernis, hat Observer unterschiedliche Wege, um uns auf die Probe zu stellen. Viele Türen lassen sich beispielsweise nur mit einem Code öffnen, den wir entweder hacken oder in den verwinkelten Fluren und Zimmern finden können. Hin und wieder stoßen wir auf Computer, die uns nur dann mehr Informationen zu den Besitzern verschaffen, wenn wir clever an die Sache herangehen. Passwörter und andere Hinweise lassen sich oftmals in der Spielwelt wiederentdecken. Hier gilt mein Lob vor allem zwei Nebenmissionen, die es so nur in System Redux gibt. Inhaltlich erweitern diese zwar die Hauptgeschichte nicht, bieten aber Abwechslung auf narrativer und spielerischer Ebene.

In den Köpfen der Anderen

Einige Male können wir uns dann in die Gedanken ermordeter Personen hacken, um Hinweise auf deren Tod zu finden. Visuell sind diese Level beeindruckend, aber auch stellenweise “zu viel” und überfordernd. Bloober Team erschafft mit diesen Abschnitten eine sehr abstrakte Atmosphäre und wirft eine Fülle an Sounds und Bildern auf uns.

Weniger wäre mehr, so allerdings überlagern diese Momente oftmals deutlich die Narrative und das Gameplay. Auffällig wird dies vor allem in den seltenen Schleichleveln, deren Aufbau nicht gut durchdacht wirken und sehr anspruchslos sind. Einzig ein simples Rätsel mit einem sehr anhänglichen Fernseher in absurder Dunkelheit bleibt mir wohl eine Weile im Gedächtnis hängen.

Es ist allerdings sehr auffällig, wie gut Bloober Team die visuellen Möglichkeiten seines Genres und Settings zu nutzen weiß. Ein Abschnitt beispielsweise innerhalb einer Traumsequenz lotst uns durch ein unsichtbares Labyrinth und immer wieder blendet sich der Pfad einer anderen Dimension ein. Durch die abrupten Wechsel, die beklemmende Atmosphäre und das Sounddesign kam ich mir oft wie in einem Albtraum vor. Also Ziel erreicht von Bloober Team, würde ich sagen! Später im Spiel erweitert sich das Konzept und wir müssen nicht nur einen Weg finden, sondern auch mit Elementen darin interagieren, um uns zu befreien. 

Und dann plötzlich: Spinnen!

All dies wirkt sehr organisch zusammenhängend und ergibt ein stimmiges sowie spannendes Gesamtbild. Bis man sich dann an einen Computer setzt und …oh, hallo With Fire and Swords: Spiders!

Screenshot eines Levels aus WIth Fire and Swords: Spiders. Links sieht man das Ganglabyrinth, rechts daneben das Inventar für Münzen und Schwerter sowie den Titel »The fire seems to work«. Unten rechts sieht man die EInblendung der Kreistaste mit der Beschriftung »Go Back To Menu«.
Oh noo…ich muss eine Prinzessin mit Goldstücken versorgen!

Zur Entspannung von all dem Wahnsinn um Lazarski herum haben die Computer im Gebäude dieses kleine Puzzle-Spiel installiert. Neue Level schalten sich entweder durch das Finden neuer PCs oder Voranschreiten in der Hauptstory frei. Die Regeln sind einfach: Unser Krieger muss alle Münzen sammeln und damit zur Prinzessin am Ende gelangen. Entdecken ihn normale Spinnen, verfolgen diese den Krieger unbarmherzig, größere Spinnen sind schneller, verfolgen aber nur auf Sicht. Ergattern wir auf unserem Weg ein flammendes Schwert, können wir einen vernichtenden Schlag gegen eine oder mehrere Spinnen gleichzeitig ausführen.

Dieses Minispiel hat mir viel Spaß gemacht und war eine willkommene Abwechslung zum Rest des Spiels. Einige Kopfnüsse, gerade gegen Ende, sind schon sehr haarig und das Spielkonzept hätte sogar noch mehr Level vertragen können. Aber hey, die Welt geht unter, ein meuchelnder Mörder ist dir auf dem Fersen. Doch spiel erstmal deinen kleinen Puzzler zu Ende! Die Prioritäten von Videospielfiguren und -spieler:innen.