Farewell North (Review)

Artwork und Logo zu Farewell North

In den vergangenen Jahren ist der Stellenwert des Auteurs in der öffentlichen Wahrnehmung von Videospielen immer bedeutender geworden. Lange Zeit war es vor allem Hideo Kojima, der als Ausnahme der Regel galt, dass das Entwicklerstudio selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Dies hat sich mehr und mehr gewandelt. Neil Druckman als Kopf hinter The Last of Us oder Cory Barlog in den God of War– Neuauflagen als große Beispiele. Derek Yu (u.a. Spelunky), Sam Barlow (u.a. Her Story) oder Mike Bithell (u.a. Thomas was alone) als exemplarische Beispiele für die Indie-Szene. Und vielleicht kann in naher Zukunft auch Kyle Banks in eine solche Riege vorstoßen. Denn sein Debüt Farewell North war vielversprechend. Nicht frei von kleinen Fehlern und mich persönlich am Ende ein wenig aufregend, aber vielversprechend.

Abschied nehmen in Farewell North

Farewell North verschlägt uns in den hohen Norden der schottischen Highlands. Um… naja… Abschied zu nehmen, wie der englische Titel bereits verrät. Wir schlüpfen dabei in die knuddelige Haut des Border Collies Chesley, welcher seine Besitzerin auf ihrem Trip zur Memory Lane begleitet. Der schottische Loch, dessen Inseln und Buchten wir fortan bereisen, war einst unsere Heimat. Hier haben wir Schafe gehütet, Kaninchen durch die Wiesen und Felder gejagt und sind gemütlich Kanu gefahren. Doch das Leben ist unbarmherzig kurz und selbst nach Jahren der Ferne gilt es, hin und wieder in der Vergangenheit ab zu tauchen.

Und diese Vergangenheit, die wir über die knapp sieben Spielstunden (plus minus ein wenig je nach Spielertyp) erfahren, ist… ganz nett. Die Story von Farewell North ist schwierig zu bewerten. Alle Erinnerungen, die wir auf den Inseln des Lochs erleben, sind stimmig und erzählen ganz interessante Episoden aus dem Leben unserer beiden Protagonisten. Aber so ganz passen sie nicht in den gesamten Kontext des Spiels.

Eine Open World mit narrativen Untiefen…

Der Plot führt uns insgesamt über fünf größere Inseln. Als Open World-Titel ist Farewell North allerdings auch mit einigen Nebeninseln ausgestattet, die wir mit dem Kanu erreichen können. Haben wir eines der neuen Kapitel abgeschlossen, tauchen auf dem Kompass neue Markierungen auf, um dann entweder dem Plot zu folgen oder einer Nebenhandlung einen Besuch abzustatten. Dies sorgt meiner Ansicht nach dafür, dass die Reise als Gesamtheit zäh und zusammenhanglos erzählt wird. 

Screenshot aus Farewell North

Doch auch die Haupterinnerungen auf den fünf großen Inseln mäandern vor sich hin. Um dann im Finale wuchtig zu explodieren mit einem Twist – so vorhersehbar er auf struktureller und inhaltlicher Ebene war -, der unter die Haut gehen kann. Ich persönlich mochte ihn inhaltlich, aber aufgrund der zähen Erzählung zuvor im Endeffekt nicht. Aber da meist eh einzelne Momente in der Erinnerung bleiben, fragmentiert und pointiert wie die Inselerzählungen von Farewell North, wird auch dieser Twist die Erinnerung sein, die noch in Jahren bei mir bleibt. Und nicht die Stunden zuvor.

…malerischen Kulissen und spielerische Blüten

Doch bekanntlich ist der Weg das Ziel und unsere Reise über den Loch mitten in Schottland führt uns nicht nur zurück in die Erinnerungen unserer Besitzerin. Je mehr Erinnerungen wir wieder aufdecken können, desto farbiger wird die Welt wieder. Und je farbenfroher die Welt ist, desto lebendiger wirkt sie zugleich, wenn wir als Chesley durch die Areale pflügen. Neben den eigentlichen Aufgaben für den Plot gibt es Open World-typisch diverse Sammelgegenstände und Minimissionen zu bewältigen. 

So sammeln wir beispielsweise überall Ruhebänke ein, die uns eine wundervolle Aussicht über die malerischen Kulissen bieten, oder entdecken Irrlichter. Diesen jagen wir entweder hinterher oder bewältigen auf dem Weg zu ihnen kleinere Parcours. Als Belohnung erhalten wir mehr Ausdauer, um länger durch die Gegend sprinten zu können. Leider ist die Sprungphysik unseres Border Collies seltsam und zuweilen störrisch. Diese kurzen Segmente sind nicht wirklich häufig, dennoch haben sie mir Frust beschert. Die Idee ist toll und wurde in der Art in vergleichbaren Titeln wie Spirit of the North (Ich sehe ein Muster!) bereits genutzt, darum ist es schade, wenn die Physik nicht mitspielen will. 

Gleichzeitig gilt es hier und da Leuchttürme aufzubauen oder durch das Entdecken von Musiknoten unserer Besitzerin dabei zu helfen, sich an das Lied ihrer Mutter zu erinnern. Letztere finden wir nur zwischen den Inseln auf dem Wasser. Und die Steuerung des Kanus ist…schwierig. Wenn das Paddeln mit den Schultertasten funktioniert, dann richtig. Allerdings nervte mich Farewell North immer wieder mit Hinweisen, dass es doch eine simplifizierte Kanusteuerung gäbe. Hey, ich mag es, mein Boot gegen Felswände zu steuern, okay??!

Screenshot zu Farewell North
Simples, aber passendes Gameplay zu den narrativen Bedingungen des Spiels

Farewell North und das “übliche” Genre-Problem

Nicht ganz so schwierig war der Rest des Spiels, auch wenn sich in einem Kapitel das Spiel plötzlich zu einem Stealth-Titel entwickelt hat? Dieser weirde Turn hat zwar inhaltlich (für dieses Kapitel zumindest) Sinn gemacht, aber spielerisch kam es aus dem Nichts und war nach kürzester Zeit zu einfach zu bewältigen. Wie so oft bei Indies dieser künstlerischen Art habe ich das Gefühl, spielerische Elemente sind eingebracht worden, aber nicht genug ausgereizt. Was ich sehr schade finde, denn gerade diese “Artsy”-Indies würden meiner Ansicht nach von clever in die Kunst konstruierten Gameplay bzw. Kunst aus dem Gameplay heraus profitieren können. 

Wie so etwas aussehen kann, zeigt Farewell North gleich selbst: Als Border Collie sind wir Schäferhund der Inseln gewesen. Und zahlreiche Segmente bauen auf dieser Form von Gameplay auf, in dem wir Schafe oder andere Tiere finden und zurück nach Hause treiben sollen. Dies hätte ich gerne auch auf andere Aufgaben angewandt und mich mehr als “Hund” fühlen wollen.

Und so war Farewell North für mich wie so oft bei Spielen dieser Art schwierig zu bewerten. Was Kyle Banks spielerisch beabsichtigt hat, wird deutlich. Die Open World, auch wenn sie weitestgehend linear wirkt, wird mit abwechslungsreichen Aufgaben gefüllt. Das Kanu-Gameplay ist schwierig und unsere Passion als Schäferhund ist simpel, aber effektiv. Aber der Rest kratzt an der Oberfläche oder wird durch die Steuerung und Physik behindert. Die malerischen Kulissen der Berge, Wäldern und Wiesen auf den Inseln sowie manch Sonnenstrahl ist zauberhaft, doch die fragmentiert erzählte Geschichte ließ Farewell North länger erscheinen, als es eigentlich war. Ich hatte meinen Spaß daran, Border Collie zu sein. Doch wie so oft fehlt der letzte Kniff, um den Titel auch Leuten zu empfehlen, die aus ihrer Genre-Komfortzone ausbrechen wollen. Dies wird aber hoffentlich Kyle Banks nächster Titel schaffen, denn die Handschrift ist deutlich zu erkennen.

Abschied auf Xbox Series X genommen. Ein herzlicher Dank geht an Kyle Banks und die Mooneye Studios für die Bereitstellung des Mustercodes.