Tentacular (Review)

Artwork zu Tentacular

Vor wenigen Wochen eröffnete Sony mit PlayStation VR 2 seine zweite Generation virtueller Realität in Wohn- und Spielzimmer. Ich fand das erste Headset bereits sehr toll, auch wenn leider die wirklich großen Blockbuster gefehlt haben. Und dieser Trend setzt sich auf PSVR2 meinerseits fort. Anstatt mich in der gefährlichen Welt von Horizon auf die Spitze eines mit Sicherheit ebenso gefährlichen Berges zu begeben, ließ ich mir Tentakel wachsen. Lange, wabbelige Tentakel, mit denen ich meine Heimat terrorisieren werde. Tentacular bewies dabei als in allen Belangen ideale Einführung in diese zweite Generation. Mit allen Stärken und Schwächen.

Wachstumsschub für mich mit Tentacular

Mir sind allerdings nicht ohne Grund Tentakel gewachsen. Und bevor hier jemand auf schweinische Gedanken kommt: In Tentacular übernehme ich die Rolle eines riesigen Oktopus, der an seinem Geburtstag eine schreckliche Nachricht erhält. Er ist adoptiert worden! Einst fand unsere Schwester ein mutterloses Ei und zog das darin befindliche Wesen sorgsam auf. Über die Jahre ist das kleine Wesen allerdings zu einem sehr großen Wesen geworden. Einen solchen Wachstumsschub bekomme ich auch nur virtuell…

Die Einwohner:innen von La Kalmar, meiner Heimat, sind allerdings sehr argwöhnisch dem gewaltigen Oktopoden gegenüber. Darum hat der Bürgermeister eine Idee! Als Aushilfe einer Baufirma soll es uns gelingen, unser Ansehen in der Bevölkerung zu verbessern. Doch als wir dort an unserem ersten Tag ein verschüttetes Raumschiff ausgraben, nimmt die Katastrophe seinen Lauf.

Fortan sind wir Dreh- und Angelpunkt eines Physik-basierten Puzzle-Abenteuers, auf der Spur der Geheimnisse rund um das Raumschiff…und unsere Herkunft! Mit einem recht sympathischen Cast von Charakteren sowie humorvollen Ideen gehen wir unterschiedliche Missionen an und versuchen, das darin befindliche Puzzle zu lösen. Wenn die Charaktere allesamt nicht in einem seltsamen Babbelsprache reden würden, die mich sehr stark gestört hat, hätte ich die wahrscheinlich auch richtig ins Herz schließen können.

Fingerspitzengefühl mit wabbeligen Tentakeln

Spielerisch dreht sich in Tentacular alles darum, dass wir mit unseren zwei Tentakeln unterschiedliche Aufträge angehen. Diese können unterschiedlichster Natur sein und erweitern sich im Verlauf der Kampagne stetig. Das wichtigste Werkzeug sind herumliegende Objekte wie Schiffscontainer oder Metallstreben, die wir mit Magneten fixieren und so abstrakte Gebilde nachstellen können. Oder wir fixieren ein anderes Objekt in schier unmöglicher Position. Wo genau dies geschehen soll, sehen wir meist durch einen gelben Schatten in der Welt, der sich manchmal aber vor dem hellen Hintergrund schwer abhebt. Dieser färbt sich allerdings grün, wenn das Objekt korrekt platziert ist. Oder rot, wenn es sich um den falschen Gegenstand handelt.

Screenshot aus Tentacular. An einem Straßenrand steht eine Person, die zu uns aufschaut und sagt "I hope you don't eat humans."
Sei nett zu mir, dann versprech ich dir das auch!

Das Level ist meist ein abgestecktes Gebiet im Ozean, in dem sich verschiedene Inseln befinden. Hinter uns befindet sich in der Regel das Haus eines Mannes, der uns das Level wieder in den Ausgangszustand zurückversetzt oder Hinweise gibt. Ersteres kann schon sehr nützlich sein, wenn ein wichtiges Objekt außerhalb unserer Reichweite landet und nicht respawnen kann. Zusätzlich befindet sich meist linksseitig eine Vorrichtung, die uns mit neuen Magneten versorgen kann. Und irgendwo im Level befindet sich meist eine Schalttafel, die uns die Zeit anzeigt und über den Stand der gegenwärtigen Aufgaben unterrichtet.

Abwechslungsreichtum auf den sieben Weltmeeren

Diese sind über den Verlauf sehr abwechslungsreich. Hier und da basteln wir die genannten, abstrakten Gebilde. Manchmal müssen wir sehr aktiv und kreativ werden und unsere Möglichkeiten auf engem Raum derart gut nutzen, dass wir auch in der Ferne Aufgaben lösen können. Stromleitungen dienen sich hier sehr gut als Steinschleuderersatz, hab ich mir sagen lassen! Dann gibt es mal ein wortwörtliches, dreidimensionales Puzzle, bei dem wir Fingerspitzengefühl bewahren müssen. 

Die unterschiedlichen Arten von Magneten, Objekten, aber auch Aufgabenstellungen lassen spielerisch keine Langeweile aufkommen und können über die knapp 7 Stunden Spielzeit gut unterhalten. Zudem gibt es noch Side Missions innerhalb der Kampagne, die ganz besondere Herausforderungen bieten können. Und wer einfach nur kreativ sein will, der kann auf den “Playground” gehen und eigene Kreationen im virtuellen Raum erschaffen. Tentacular ist aber besonders dann meiner Ansicht nach am besten, wenn wir in eine Mission reingehen, auf den ersten Blick gar keinen Plan haben und ganz langsam sich die Möglichkeiten eröffnen. Solche Aha-Momente haben wenige Puzzler.

Und plötzlich ist alles für die Tonne…

Leider wird der sehr positive Gesamteindruck von einer ganzen Reihe von Kleinigkeiten getrübt. Aufgrund der Babbelsprache reden die Charaktere in Sprechblasen. Das Anvisieren geht dank Eyetracking des Headsets sehr gut, dennoch kann es sein, dass der Text weiter scrollt, wenn wir nicht hinschauen. Zum Glück reicht es bei wichtigen Missionsbeschreibungen, wenn wir den Charakter auf den Kopf tatschen, damit dieser sich wiederholt. Die Story hingegen geht verloren.

Bewegtbild von Tentacular

Schwerwiegender sind zwei Aspekte, die eventuell eher an PlayStation VR 2 liegen und nicht an Tentacular. Wie bereits in der vorherigen Generation lässt sich unsere Ansicht mit Druck auf OPTIONS neu justieren. Dies kann bei Tentacular allerdings dafür sorgen, dass ein sorgsam aufgebautes Gebilde einstürzt. Unsere Tentakel werden ohne Toleranzzeit direkt als körperlich vom Spiel wahrgenommen und wenn nach einer Neujustierung die gesamte Arbeit zerstört werden kann…sehr ärgerlich.

Gleichzeitig hat Tentacular ein seltsames Problem mit dem Zoom der Brille. Sobald der Kopf zu nah an die Ränder der Playarea gerät, kann es passieren, dass ein starker Zoom zentral vor unsere Augen projiziert wird. Dieser plötzliche Umschwung des Bildes ist schrecklich und hat mir mehr enorme Übelkeit verliehen. Motion Sickness könnte gegebenenfalls auch ein Problem werden, da wir uns stets im Ozean befinden und der Wellengang eine zusätzliche Bewegung in unserem Blickfeld darstellt. Leider bietet Tentacular keinen Sitzmodus, der die Spielwelt an eine ruhigere Position anpasst. Sitzen ist kein Problem, allerdings verlangen einige Puzzle dennoch ein Werkeln an erhöhter Position. Personen, die bei VR zu Motion Sickness leiden, könnten bei Tentacular eventuell Probleme bekommen, obwohl das Spiel eher zur ruhigen Sorte gehört.

Tentacular – Ein toller Puzzler mit Schönheitsmakeln

Mein erster, intensiver Ausflug mit PSVR 2 in die wabbelige Welt von Tentacular hat sich gelohnt. Zwar gibt es einige Dinge, die einem schwachen Magen mehr schaden würden, als man erwarten dürfte. Aber insgesamt ist Tentacular ein sehr gutes Spiel. Die Welt ist sympathisch, der Humor punktiert und wir können Hunde streicheln! Wenn das alleine nicht für Grün sorgt, was dann?

Spielerisch zeichnet sich Tentacular durch abwechslungsreiche Puzzle aus, die uns über den Verlauf ihrer Kampagne zu unterhalten wissen. Obwohl ich eher ein Fan härterer Kopfnüsse bin, war es die Mischung aus Kreativität und Fingerspitzengefühl, die mir richtig gut gefallen hat. Und wer noch mehr Hunger auf tentakelige Puzzle-Einlagen hat, bekommt mit dem Playground einen Endlos-Modus serviert, der sicherlich lange Zeit unterhalten kann.

Via PlayStation VR 2 auf PlayStation 5 tentakelt. Ein herzlicher Dank geht an Devolver Digital für die Bereitstellung des Mustercodes.