What Lies in the Multiverse (Review)

Titelbild mit Logo von What Lies in the Multiverse

In irgendeiner parallelen Welt zu der unsrigen wird eventuell Hähnchen nach Kakao schmecken. In einer weiteren Welt würde es wohl allgemeine Sitte sein, bei der Begrüßung anderer Menschen mit den Ohren zu schlackern. Und in einer dritten Welt würde ich wohl dem Trend folgen und Elden Ring spielen, anstatt diese Zeilen zu verfassen. Doch wir befinden uns im Hier und Jetzt. Denn anstelle von Limgrave habe ich die Reise durch verrückte, parallele Welten in What Lies in the Multiverse auf mich genommen. Und keine einzige Sekunde bereut! Aber wie hätte ich auch ahnen können, dass der kleine Indie-Titel für mich zum ersten Geheimtipp des Jahres mutiert?

What Lies in the Multiverse?

Doch eine Liebe auf den ersten Blick war What Lies in the Multiverse nicht. Der grobe 2D-Pixelstil mag seine Freunde haben – ich bin keiner davon. Ich mag feine Pixelart, weniger den eher grobschlächtigen Ton dieses Spiels. Zudem fängt das Spiel narrativ ein wenig zäh an, Prolog und Kapitel 1 sind sehr verhalten und mit größerem Fokus auf humorvolle Momente, als auf die beiden Hauptcharaktere. Doch ich sei verdammt, wenn mich sowas abhalten würde!

Oh no! Sind wir wirklich schuld am instabilen Multiversum?

Eigentlich beginnt What Lies in the Multiverse als relativ simple Abenteuergeschichte. Eher zufällig bringt unsere Spielfigur die Barriere zwischen parallelen Dimensionen ins Wanken, als er sein selbst geschriebenes Computerprogramm aktiviert. Gerade noch rechtzeitig erscheint der Reisende Everett, um das drohende Chaos einzudämmen. Doch weil das Multiversum weiterhin bedroht ist in sich zusammenzufallen, beschließen wir als Everetts Assistent die unterschiedlichen Welten zu bereisen.

Da sich der Beginn des Spiels für mich ein wenig zog, hat mich die stete Kurve nach oben in Bezug auf die Geschichte, aber allen voran den Charakteren unerwartet stark mitgerissen. What Lies in the Multiverse ist auf seiten des Plots sicherlich nicht überraschend. Und doch überzeugt das Spiel mit seinen unheimlich vielschichtigen Charakteren. Es dauert eine Weile, aber mit zunehmender Spieldauer offenbaren sich mehr und mehr Details, die ein nachvollziehbares Bild von den Menschen, ihren Beziehungen sowie deren Motive zeichnen. Zuletzt hatte ich diesen Eindruck bei Chicory: A Colorful Tale und dies war mein persönliches Spiel 2021. Wäre die Story abseits der Charaktere genauso vielschichtig, hätte What Lies in the Multiverse ein Kandidat auf Chicorys Nachfolge sein können. Es ist erstaunlich, wie doppeldeutig der Titel des Spiels mutiert, wenn man die Figuren nach und nach kennenlernen darf.

Eine Dimension am Rande des Abgrunds

Doch das Multiversum droht in sich zusammenzufallen, denn immer mehr Instabilitäten breiten sich in den Welten aus. Mal sind es abstrakte Löcher im Raum. Dann sind es wieder Objekte, die zwei Welten zugleich angehören und im Grunde zwischen denen herum glitchen. Everett will wieder Ordnung in das Chaos des Multiversums bringen, weswegen es sein Ziel ist, die Forschung seines Freundes Ez fortzusetzen. 

Auf unserem Weg zur allerersten Instabilität gilt es unwegsames Gelände und verwinkelte Straßenschluchten zu überwinden. Stets verfolgt von den ehemaligen Kollegen Everetts, die uns daran hindern wollen, die verbliebene Stabilität des Multiversums aufs Spiel zu setzen, ist dies kein so leichtes Unterfangen. In den knapp sieben Spielstunden gilt es in neun Kapiteln stets aufs Neue einen Pfad zum Ziel zu finden. Die Vielfalt von Puzzle-Mechaniken, die sich What Lies in the Multiverse einfallen lässt, kann sich über die gesamte Spielzeit sehen lassen.

Die Dimensionen sind sich oftmals sehr ähnlich

Zumeist nutzt das Spiel seine titelgebenden Multiversen, um interessante Rätsel- und Platforming-Passagen zu inszenieren. Dann erhalten wir für eine Weile die Fähigkeit, zwischen zwei unterschiedlichen Dimensionen wechseln zu können, um Objekte zu manipulieren, Schlüssel zu finden und Türen zu öffnen. So gilt es oftmals Kisten zu verschieben, um hochgelegene Plattformen zu erreichen. Doch abseits glitchender Kisten ist jedes Objekt an seine Realität gebunden. Wir müssen daher stets beide Bildschirme im Auge behalten, wie welches Objekt angeordnet gehört, um sicher das Ziel zu erreichen. Stellenweise müssen wir während der Sprünge die Dimension wechseln, da sonst der Sturz in der falschen Welt einige Knochen brechen könnte.

Rückkehr zu alten Rätseltugenden

Zugleich bietet der Wechsel innerhalb des Multiversums auch die Möglichkeit, von der jeweiligen Umwelt zu profitieren. Vereister Boden in einer Welt kann uns zum Beispiel die notwendige Geschwindigkeit verleihen, um Lücken in einer anderen Welt zu überwinden. What Lies in the Multiverse hat einige nette Ideen, die stets zum jeweiligen Setting passen, um zwei Welten voneinander abhängig zu machen.

Hier liegt aber auch bereits ein Problem: In der Regel gibt es nur zwei Welten. Wir wechseln zwischen Welt A und B hin und her und je nach Kapitel verändern sich die jeweiligen Gegebenheiten. Eis hier, Ranken da, umgekehrte Schwerkraft dort. Wie viel Potenzial es hätte, diese einzelnen Elemente kreativ miteinander zu verbinden, beweist ein kurzer, späterer Abschnitt im Spiel. Dennoch bleibt What Lies in the Multiverse in dem Punkt weit hinter seinen spielerischen Möglichkeiten zurück. 

Zeitgleich gibt es zahlreiche Abschnitte, die sich auf herkömmliche Schalter-, Leiter- und Kistenrätsel fokussieren, ohne die Idee eines Multiversums spielerisch einzubinden. Es ist sehr schade, dass das Spiel diesen Weg später einschlägt, um narrativ runder zu wirken, aber damit die spielerischen Potenziale kaum auszuschöpfen. Hier fehlte mir ein wenig der Mut des Studios aus der insgesamt sehr guten Idee noch mehr herauszuholen. Ein wenig fühle ich mich da an Wandersong erinnert, welches auch narrativ rund, sympathisch und stellenweise sehr gut konstruiert war, aber im Gameplay zu verhalten agierte. Aber hey, dessen Entwickler hat anschließend Chicory abgeliefert. Kann Studio Voyager das mit dem nächsten Titel nach What Lies in the Multiverse ebenfalls gelingen?

What Lies in the Multiverse deutet viel Potenzial an

Ich habe What Lies in the Multiverse lieben gelernt. Ich musste einsehen, dass die vielen guten Ideen, die das Spiel im Leveldesign bietet, zu schnell wieder fallengelassen werden. Wirklich anspruchsvoll wird der Puzzle-Platformer nie und kaum ist das Potenzial einer Mechanik greifbar, entschwindet sie bereits wieder in eine parallele Dimension. Doch was Studio Voyager hier spielerisch designt hat, ist solide und kann über die volle Laufzeit unterhalten.

Im Endeffekt möchte What Lies in the Multiverse in erster Linie eine Geschichte von verschrobenen, fehlgeleiteten und gebrochenen Menschen erzählen, die sich vor dem Hintergrund einer Tragödie entzweien oder wieder zueinander finden können. Dieses Spiel ist für all diejenigen, die sich nicht in unbarmherzige Gefechte mit Maschinendinos oder düsteren Fürsten stürzen wollen. Sondern stattdessen lieber eine kleine, sympathische Geschichte am Rande des Multiversums erleben wollen.

Getestet auf Xbox Series X. Ein herzlicher Dank geht an Untold Tales für die Bereitstellung des Mustercodes..