Tearaway (Review)

Kreativität steht bei LittleBigPlanet-Studio Media Molecule traditionell hoch oben auf der Prioritätenliste. Ausnahmsweise gilt das bei Tearaway allerdings vornehmlich in Hinblick auf die Präsentation, denn Tearaway ist ein traditionelles 3D Jump & Run mit vorgefertigten Levels, das durch zahlreiche inszenatorische Eingriffsmöglichkeiten des Spielers aufgewertet wird.

In Tearaway übernimmt man in die Kontrolle über einen Postboten. Das mag für sich nicht sonderlich interessant klingen, doch das besondere an diesem Postboten ist, dass er nicht viele Briefe austrägt, sondern nur einen einzelnen Brief transportiert. Zudem ist der Empfänger dieses Briefs nicht etwa irgendein Charakter im Spiel, sondern der Spieler selbst. Kein Klagen also mehr über müde Postboten, die die Post nicht rechtzeitig austragen, in Tearaway ist man selbst verantwortlich für die Pünktlichkeit der Lieferung. Neugierig, was das Spiel mir denn hier mitteilen möchte, habe ich mich gleich aufgemacht, Iota, so der Name des Postboten, schnell zu mir zu geleiten.

Spielerisch ist Tearaway eine sehr eigenwillige Konzeption. Grundsätzlich handelt es sich bei Tearaway sicherlich um ein Jump & Run, typische Jump & Run-Herausforderungen spielen hier allerdings nur eine sehr geringe Rolle. Sicher, Iota muss durchaus nicht selten springen, die Navigation durch die Spielwelt ist im Grunde alles, was man im Spiel wirklich tun muss. Doch es ist sehr offensichtlich, dass Media Molecule das Jump & Run-Gameplay nicht zum Fokus des Spieldesigns gemacht hat. Zunächst einmal fällt gleich auf, dass die Spielmechanik ein wenig unpräzise ist. Der Sprung ist bei weitem nicht so schlecht umgesetzt wie in LittleBigPlanet, doch die niedrige Sprunghöhe und geringe Sprungweite sorgen dafür, dass der Sprung sich dennoch nicht optimal anfühlt. Auch die Steuerung Iotas auf dem Boden erweist sich als ein wenig zu sensibel, was in etwas brenzligeren Situationen problematisch werden kann.

Doch Tearaway ist abseits der vordergründigen Gameplay-Ebene ein viel ungewöhnlicheres – und auch besseres – Spiel, als man auf Grund der Gameplay-Ebene annehmen möchte. Tearaway legt nämlich ein besonderes Augenmerk auf die besonderen Eingabemethoden der PlayStation Vita und die Kreativität des Spielers. Ob Bewegungssensor, Touchscreen, Rückseiten-Touchfeld, Mikrofon oder Kamera, es gibt kein Feature, das in Tearaway keine Verwendung findet. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei verschiedene Einsatzmethoden für die neuen Eingabemethoden. Im normalen Gameplay finden vor allem die Touch-Möglichkeiten und der Bewegungssensor Verwendung. So kann man später im Spiel – ähnlich wie in Yoshi’s Universal Gravitation – Plattformen mittels Bewegung der PlayStation Vita steuern. Schon früh im Spiel und über das ganze Spiel hinweg spielt das rückseitige Touchpanel eine große Rolle. Über dieses Feld kann man Gegner besiegen, Iota springen lassen oder auch Plattformen bewegen.

Hinzu kommt die Verwendung der Eingabemethoden zur Personalisierung des Spiels und zur Einbindung des Spielers in das Spiel. Die Kamera bringt das Gesicht des Spielers in das Spiel, das Mikrofon, um seine Stimme im Spiel zu verwenden. Nicht für Sprachkommandos, sondern ausschließlich aus darstellerischen Gründen. Der Touchscreen wird hingegen primär dafür verwendet, Dinge im Spiel zu basteln. Immer wieder im Spiel wird man dazu aufgefordert, gelegentlich sogar dazu gezwungen, Objekte aus Papier auszuschneiden und Dinge in der Umgebung zu dekorieren. Auch Iota selbst kann man dekorieren. Doch der Anspruch an die Kreativität hört nicht mit dem Spiel auf. Im Spiel schaltet man nach und nach immer weitere Schnittmuster frei, die man dann online von der Tearaway-Website herunterladen kann. Mit Hilfe dieser Schnittmuster kann man Charaktere und Objekte aus der Spielwelt von Tearaway nachbasteln. In der Geschichte wird dies sogar eingebunden, da die reale Welt eine auch in der Geschichte relevante Welt ist.

Die Verwendung der verschiedenen Features der PlayStation Vita ist also vollumfänglich und spricht – wie man es von Media Molecule gewohnt ist – die Kreativität des Spielers an. Allerdings muss man die Verwendung der Features auch ein wenig kritisieren. Das auffälligste Problem ergibt sich beim Basteln im Spiel. Auf Grund des kapazitiven Touchscreens der PlayStation Vita und des Fehlens eines Stylus ist man stets sehr ungenau beim Malen und hat obendrein das Problem, dass der Finger, wenn man Linien schließen möchte, schlicht im Weg ist und man nicht erkennt, wie man den Finger bewegen muss, um die Linien zu schließen.

Im eigentlichen Gameplay erweist sich die Feature-Nutzung bisweilen aber noch als etwas problematischer. Die gleichzeitige Verwendung von Rückseiten-Touchfeld und dem linken Analogstick, gerne sogar noch kombiniert mit dem Kreuz-Knopf, ist besonders mit kleinen Händen – was in Anbetracht der offensichtlich sehr jungen Zielgruppe nicht unwichtig ist – alles andere als elegant. Auch die Bewegungssteuerung ist an einigen Stellen ziemlich unglücklich geraten. Hier hätte man sich vielleicht etwas genauer an Yoshi’s Universal Gravitation halten sollen und eine simple Links-Mitte-Rechts-Bewegungssteuerung umsetzen sollen. Wenn man nämlich gleichzeitig hüpfen und die Vita in einer unangenehmen Position halten soll, ist das schlichtweg unkomfortabel. Leider hat Media Molecule ein wichtiges Element von 3D Jump & Runs vernachlässigt: Den Schatten unmittelbar unter dem Charakter. Tearaway ist zwar erst im letzten Drittel mit einigen etwas ernsthafteren Sprungsequenzen gespickt, dann stellt sich die Entscheidung zu dynamischen Schatten aber als echtes Ärgernis heraus. Das steht dann allerdings auch im Kontrast zum wahnsinnig niedrigen Schwierigkeitsgrad, den das Spiel ansonsten vorzuweisen hat.

Tearaway ist ein ganz schwieriger Fall. Das Basis-Gameplay ist eher durchwachsen, das Leveldesign, wiederum aus Gameplay-Sicht, ist zumeist mau. Im Gegenzug weiß Tearaway mit einer liebevollen Geschichte, einer absolut fantastischen Präsentation und sehr vielen Ideen zu begeistern. Ein Spiel-Charakter sagt irgendwann im Spiel einmal „Wir wollten mal was neues ausprobieren“ – und das scheint der Leitsatz des Spiels zu sein. Ganz bewusst wird auf ein fokussiertes Design und ein perfekt ausgearbeitetes Gameplay verzichtet und an die Kreativität des Spielers appelliert. Wer nach etwas neuem sucht, mit der geringen Spielzeit – ich habe das Spiel an einem Vormittag durchgespielt – und dem eher mauen Gameplay leben kann, der kann zugreifen. Eltern, die nach einem Spiel suchen, das ihre Kinder auch zu kreativen Handlungen abseits des eigentlichen Spiels animiert, der kann bedenkenlos zugreifen. Jump & Run-Experten werden aber wohl leider unterbeansprucht werden.

Getestet auf PlayStation Vita.