City Escape (Meisterstücke)

In der Serie Meisterstücke stellen wir euch einzelne Level und Szenen vor, die wir zu den Höhepunkten der Videospielunterhaltung zählen. Dabei muss ein Meisterstück nicht unbedingt aus einem Spiel stammen, das wir gleichsam als Vorzeigespiel ansehen. Gelegentlich gelingt Entwicklern auch in einem sonst nicht allzu besonderen Spiel ein kleines Meisterstück.

Der wohl stärkste Einstieg in ein Videospiel ist in meinen Augen das Level City Escape aus Sonic Adventure 2. Das erste Level in Sonic Adventure 2 bleibt zuallererst einmal wegen seines markanten Rock-Themas im Kopf. Escape from the City treibt mit seinem hohen Tempo und kräftigen Tönen den Adrenalinspiegel schon vor dem ersten Spieler-Input nach oben und steht bereits stellvertretend für das Thema des gesamten Levels. Über den Sinn des Liedtextes sollte man möglichst den Mantel des Schweigens hüllen, aber der Umstand, dass erstmals in einem Sonic-Spiel Gesang auch im Level Verwendung findet, betont den wilderen Ansatz des zweiten Sonic Adventure-Spiels.

Trotz seiner Kürze – Mission 4 fordert vom Spieler, das Level in unter drei Minuten abzuschließen – weist City Escape einen starken dramaturgischen Aufbau auf, der parallel zur spielerischen Entwicklung steht. Im ersten Abschnitt des Levels ist Sonic gerade aus dem Militärhubschrauber entkommen und nutzt nun ein abgebrochenes Metalstück vom Hubschrauber als Surfbrett, um die engen Straßen der San Francisco nachempfundenen Stadt herab zu sausen. In diesem Abschnitt kann Sonic nichts zustoßen, allerdings kann er eine Reihe von Tricks machen, die einerseits dafür sorgen, dass der Abschnitt in wiederholten Durchläufen nicht wie eine unnötige Wartezeit wirkt, andererseits das Extremsport-Feeling transportiert, das in Sonic Adventure 2 stets mitschwingt.

Nach dem kurzen Boarding-Ausritt ist Sonic wieder zu Fuß unterwegs und das Spiel schlägt traditionellere Jump & Run Töne an. Sonic kann sich frei bewegen und springen, auch wenn die Kamera hier wie im Rest des Spiels eine klare Richtung vorgibt. Neue Spielelemente werden in diesem Abschnitt sehr schonend eingeführt und stets zunächst ohne eine Gefahr für den Spieler darzustellen. Gleichzeitig bieten sie aber viel Raum für einen runden Abschluss, wenn der Spieler etwas geübter ist. Sei es das Grinden auf einem Geländer, das zunächst in der Mitte einer sicheren Treppe verläuft oder das Bekämpfen von Gegnern, die beinahe pazifistisch veranlagt sind, mit der Homing Attack über sicherem Boden. Immerzu deutet das Spiel auch Neulingen aber schon durch enge Parallelwege und optionale Levelelemente an, dass Überleben längst nicht alles ist und dass die verschiedenen Elemente zu einem großen Ganzen kombiniert eine deutlich andere Spielerfahrung versprechen. Ein Versprechen, das in wiederholten Durchläufen auf fulminante Weise eingelöst wird.

Interessant ist die kurze Sektion in der die Kamera vor Sonic schwenkt, während er ein Gebäude herunterläuft. In dieser Szene kann dem Spieler nichts passieren und sie dient augenscheinlich nur dem Spektakel, in der Tat behält der Spieler aber die Kontrolle über Sonic und kann sich so kurz vor dem Finale schon einmal mit der Steuerung aus der Frontansicht vertraut machen.

Besagtes Finale kombiniert dann die Front-Ansicht mit dem Trick-Aspekt des Einstiegs und spannt auf diese Weise gekonnt den Bogen um das Level. Sonic wird hier von einem Militärtruck verfolgt und muss vor diesem davonrennen. Auch wenn dieser Abschnitt grundsätzlich relativ leicht ist, ist das Reaktionsfenster für die Trickschanzen – und damit verbundene Bonuspunkte – ziemlich eng. Durch die konstante Bedrohung des herannahenden Trucks ist aber auch bei einem einfachen Durchlauf ohne Ambitionen auf eine Höchstpunktzahl reichlich Adrenalin inklusive, denn wenn man sich auf der engen Straße verfranst, kann man ohne weiteres noch ein Igelleben auf dem Gewissen haben.

City Escape schafft es, das ganze Potential des Sonic-Spielkonzepts in 3D auf engem Raum zu entfalten. Es kombiniert ein voll interaktives Narrativ mit einem durchgehenden Nervenkitzel und stößt den Spieler an unzähligen Stellen dazu an, sich auf Highscore-Jagd zu begeben. Die Präsentation kombiniert einen halbrealistischen Stil mit markanten Rock-Klängen und einer rasanten Kameraführung und nimmt den Spieler von Beginn an mit. Das macht City Escape in meinen Augen zu einem echten Meisterstück.