Pikmin 4 (Review)

Pikmin 4 hat eine bewegte Geschichte hinter sich, denn obgleich Serien-Vater Shigeru Miyamoto noch zu Lebzeiten der Wii U in einem Interview betonte, dass das vierte Pikmin-Abenteuer kurz vor der Fertigstellung sei, mussten sich Fans der Reihe so lange wie noch nie zuvor gedulden, bis sie den nächsten Pikmin-Teil spielen durften. Ganze zehn Jahre sind seit Pikmin 3 vergangen, doch im Sommer dieses Jahres war es endlich soweit und Pikmin 4 – von einem übrigens größtenteils aus neuen Entwicklern bestehenden Team entwickelt – bringt die kleinen bunten Arbeiter auf die Nintendo Switch.

Bevor man in Pikmin 4 loslegen kann, muss man zunächst eine Hauptfigur gestalten, mit der man das Spiel spielen möchte. Anders als die drei Vorgänger setzt Pikmin 4 also nicht auf einen fest designten Hauptcharakter. Man spielt ein Mitglied eines Rettungstrupps, der auf einen Hilferuf eines wohl bekannten Raumschiffkapitäns reagiert. Captain Olimar hat nämlich mal wieder entschieden, dass es eine gute Idee ist, dem Planeten der Pikmin nahe zu kommen und ist in Folge dessen mal wieder abgestürzt. Die Rettungstruppe hat selbst ebenfalls technische Schwierigkeiten und wird über den Planeten verstreute. Der Spieler muss nun Glitzerium sammeln, um die Reichweite des Raumschiffs wieder zu erhöhen und so in den verschiedenen Gebieten des Planeten zunächst den eigenen Rettungstrupp und dann Captain Olimar zu retten.

Strukturell weicht Pikmin 4 insoweit von seinen Vorgängern ab, als dass man jeden Tag zunächst am zentralen Landeplatz beginnt, wo man mit den bisher geretteten Raumfahrern reden kann, eine Hand voll Pikmin ohne Zeitdruck züchten kann und schließlich seinen Fortschritt in Nebenmissionen überprüfen kann. Anschließend kann man sich für einen der Landeplätze des Planeten entscheiden, die man bereits freigeschaltet hat und den eigentlichen Tag beginnen.

Am Landeplatz erkundet man dann in wohlbekannter Pikmin-Manier eine kompakte offene Umgebung, sammelt Schätze, die mit Glitzerium entlohnt werden, und züchtet neue Pikmin. Neu hinzugekommen ist die Möglichkeit, eine weitere Ressource zu sammeln, die man einerseits verwenden kann, um im Lager neue Fähigkeiten für Olimar freizuschalten und andererseits, um an verschiedenen Stellen auf der Karte Bauwerke wie eine Brücke zu errichten. Ein wenig zweifelhaft ist dieser veränderte Designansatz an einigen Stellen, an denen man das Baumaterial direkt neben einer Baustelle findet. Statt das Baumaterial direkt zur Baustelle zu transportieren, muss man dann Pikmin abstellen, die das Baumaterial zum Schiff bringen und weitere Pikmin, die Baumaterial vom Schiff zur Baustelle tragen. Das ist zwar nur ein kleiner Schönheitsfehler, aber da Pikmin dann am meisten Spaß macht, wenn man sich eine möglichst effiziente Vorgehensweise überlegt, ist das doch ein kleines Ärgernis.

Neben den Oberweltgebieten an sich gibt es in Pikmin 4 auch wieder die aus Pikmin 2 bekannten Höhlen zu erkunden. Diese kommen in Pikmin 4 in drei verschiedenen Varianten daher. Die am häufigsten vorkommenden Höhlen haben kein Zeitlimit und stellen den Spieler einfach vor die Herausforderung, mit den Pikmin, die er von der Oberwelt mit in die Höhle genommen hat, mehrere Ebenen mit Gegnern und kleinen Rätseln zu überstehen – und dabei natürlich alle Schätze aufzulesen, die er unterwegs findet. Wenn man an Pikmin 2 zurückdenkt und zusätzlich bedenkt, dass man in Pikmin 4 zunächst mit einer drastisch beschnittenen Zahl an Pikmin unterwegs ist – zu Beginn gerade einmal 10 – klingt das zunächst ziemlich fordernd. Tatsächlich sin ddie normalen Höhlen aber ziemlich entspannt und dürften nur selten brenzlig werden. Dass man zudem jederzeit die aktuelle Ebene von vorn beginnen kann, wenn man z. B. in einem unerwarteten Ereignis zu viele Pikmin verloren hat, entspannt die Situation zusätzlich.

Die weiteren beiden Höhlentypen nennen sich Dandori-Kämpfe. In jedem Gebiet gibt es ein VS-Dandori, bei dem man im Splitscreen gegen einen computergesteuerten Gegner antreten muss und mehr Punkte in einer vorgegebenen Zeit erzielen muss als der Gegner. Diese Missionen dienen auch als Endgegnerkampf, sind in meinen Augen aber der schwächste Inhalt des Spiels. Der geteilte Bildschirm und der sich stark wiederholende Ablauf in den VS-Kämpfen haben dafür gesorgt, dass die Kämpfe mir ihrer geringen Zahl zum Trotz schnell tierisch auf die Nerven gegangen sind.

Ganz anders sieht das bei den Dandori-Aufgaben für Einzelspieler aus. Hierbei handelt es sich im Grunde um die Challenge-Mode-Missionen aus Pikmin 3, in denen es das Ziel ist, so viele Schätze wie möglich in einer beschränkten Zeit zu sammeln. Abhängig davon, wie vollständig man das Gebiet abgrast, wird man im Anschluss mit einer von vier Medaillen belohnt; das Erzielen der Bronze-Medaille ist Pflicht, um die Höhle erfolgreich abzuschließen, wohingegen die Platin-Medaille nur Spielern zugestanden wird, die die Höhle komplett leerräumen. Hierzu ist insbesondere die Koordination aus Pikmin züchten, Gegner bekämpfen und schrittweisen Abtransport der Schätze entscheidend und nur wenn man genau im Auge hat, dass alle Pikmin vollbeschäftigt sind, hat man Aussichten auf die Platin-Medaille. Die Challenges sind klar der anspruchsvollste Teil von Pikmin 4. Da es kein Zeitlimit im Spiel gibt, kann man das Hauptspiel ansonsten wahlweise stressfrei angehen.

Fans von Multi-Tasking müssen in Pikmin 4 mit einem deutlich überschaubareren Team Vorlieb nehmen. Der selbsterstellte Captain wird nämlich nur von einem Hund, Otschin, unterstützt. Das Team aus drei Captains, das in Pikmin 3 noch einen enormen Grad an Parallelisierung zugelassen hat, ist hier passé. Otschin kann, sobald man entsprechende Fähigkeiten freigschaltet hat, zwar als unabhängiger zweiter Charakter genutzt werden, so dass man zumindest zwei Pikmin-Teams parallel kontrollieren kann, allerdings muss man berücksichtigen, dass sich die Fähigkeiten von Otschin und dem Captain unterscheiden und man oftmals nur mit Teamwork weiterkommt. So kann Otschin bestimmte Objekte in den Levels kaputt rammen, buddeln und durch bestimmte Löcher kriechen, wohingegen der Captain klettern kann und Pikmin höher werfen kann. In der Konsequenz wird man in vielen Fällen doch mit beiden zusammen auf Streifjagd gehen. Die Pikmin danken es einem, denn sie können in diesem Fall sicher im Fell von Otschin mitlaufen, statt in einer großen Traube hinter dem Captain her zu wuseln.

Die Zahl der Pikmin-Farben wurde im Vergleich zum Vorgänger noch einmal um zwei erhöht. So gibt es neu Eispikmin, die dazu verwendet werden können, kleine Wasserflächen einzufrieren und für andere Pikmin-Sorten passierbar zu machen, und die grünen Leuchtpikmin. Diese trifft man bei den neuen Nachtexpeditionen, die ein wenig an Tower Defense angelehnt sind. Ziel ist es hier, einen sogenannten Leuchtturm zu verteidigen, bis die Nacht vorbei ist. Besonders aggressive Formen der von den Tagexpeditionen bekannten Gegner versuchen, den Leuchtbau zu zerstören und der Spieler muss sie mit seinen Leuchtpikmin stoppen. Leuchtpikmin vereinen die Stärken aller anderen Pikmin-Sorten und haben einen zusätzlichen Vorteil: Immer, wenn sie eine Aufgabe erledigt haben, teleportieren sie automatisch zurück zum Spieler. Die Nachtexpeditionen sind etwas hektischer als die Expeditionen zu Tage, sind aber auch relativ einfach, so dass auch wenig geübte Spieler hier nur selten Probleme bekommen sollten.

Alle übrigen, aus den Vorgängern bekannten Pikmin-Sorten sind ebenfalls wieder mit von der Partie, wobei die weißen und lila Pikmin bis kurz vor Ende des Spiels ausschließlich als Mitbringsel aus Höhlen verfügbar sind. Generell lernt man Pikmin-Sorten in Pikmin 4 in zwei Phasen kennen. Zunächst findet man in verschiedenen Höhlen einzelne Exemplare einer bestimmten Pikmin-Sorte, die man nach Abschluss der Höhle behalten und auch in der Oberwelt einsetzen kann, aber nicht nutzen kann, um neue Pikmin dieser Sorte zu züchten. Später findet man dann farbige Zwiebeln, die wie Schätze abtransportiert werden können und die Hauptzwiebel um eine weitere produzierbare Pikmin-Farbe erweitert. Zusätzlich gibt es auch eine spezielle Zwiebel, die die Zahl der mitführbaren Pikmin erhöht. Von anfangs zehn kann man die maximale Pikmin-Truppenstärke im Verlauf des Spiels auf die gewohnten 100 erhöhen. Im Gegenzug zu der über weite Teile des Spiels reduzierten Anzahl wurde die Langlebigkeit der Pikmin deutlich erhöht, so dass Pikmin-Tode in Pikmin 4 bedeutend seltener sind als in den Vorgängern.

Optisch unterscheidet sich Pikmin 4 kaum merklich von Pikmin 3, obwohl es auf einer neuen Engine – der Unreal Engine 4, statt einer hauseigenen Engine von Nintendo – basiert. Die Framerate ist mit 30 Bildern in der Sekunde zwar nicht so hoch, wie man es von Nintendo üblicherweise gewohnt ist, ist aber immerhin durchweg stabil und in Anbetracht der vielen halbwegs intelligent agierenden Spielfiguren nachvollziehbar limitiert. Musikalisch setzt Pikmin 4 auf einen ähnlichen Stil wie die Vorgänger, verliert aber für meinen Geschmack ein Stück des melancholischen Untertons vergangener Soundtracks.

Pikmin 4 ist ein tolles Strategie-Action-Adventure-Hybridspiel und kann mit durchdachtem und abwechslungsreichem Spieldesign punkten. Im Hinblick auf den Grad der möglichen Parallelität markiert es allerdings auch einen merklichen Rückschritt im Vergleich zu Pikmin 3. Das hat zur Folge, dass Pikmin 4 etwas einsteigerfreundlicher ist als sein direkter Vorgänger, aber gleichzeitig nicht die Intensität von Pikmin 3 erreichen kann. Das ist jedoch Meckern auf hohem Niveau, Pikmin 4 ist ein exzellentes Spiel, dem jeder, dem die Idee zusagt, eine Chance geben sollte.

Getestet auf Nintendo Switch.