Pokémon Karmesin & Purpur (Review)

Mit Pokémon Karmesin & Purpur ist die Reihe nun in der neunten Generation angekommen. Vorab wurden viele große Versprechungen gemacht. Eine Open World, die frei erkundet werden kann. Drei Stories mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die man ganz nach belieben durchspielen kann. Ein Mehrspielermodus, in dem man gemeinsam mit bis zu drei Freund:innen gemeinsam Abenteuer erleben kann. Aber kann das Spiel all diese Versprechen auch einhalten?

Die Technik

Okay, nehmen wir die bittere Medizin gleich vorweg: Technisch sind Pokémon Karmesin und Pokémon Purpur eine Katastrophe. Die Texturen sind verwaschen, die Pop-Ins sind völlig unzeitgemäß, die Spielabstürze nicht so selten, wie sie sein sollten und die Bildrate leider alles andere als stabil.

Kurz gesagt: Wenn man bedenkt, dass Pokémon das zweitgrößte Medien-Franchise weltweit ist, und damit sogar noch vor Mickey Mouse und Star Wars liegt, sind die Spiele, die sie abliefern, eine absolute Frechheit. Da wir sie ihnen aber trotzdem jedes Mal gierig aus den Händen reißen, haben sie leider keinen Anreiz, etwas daran zu ändern.

Wer über diese Aspekte nicht hinweg sehen kann und sich die ganze Spielzeit lang darüber ärgert, wie das Spiel aussieht, sollte an dieser Stelle umdrehen. Alle, die trotzdem bereit sind, sich auf das Spielerlebnis einzulassen, erwartet ein unfassbares Pokémon-Erlebnis.

Die Open World

Wir befinden uns in Paldea, einer Region, die geografisch und kulturell an Spanien angelehnt ist. Und zum allerersten Mal in einem Hauptspiel der Pokémon-Reihe, steht uns die ganze Welt offen. Routen sind ein Ding der Vergangenheit, stattdessen gibt es nun verschiedene Zonen zu erkunden. Und auch, wenn das Spiel versucht uns durch Abgründe und Hindernisse am Anfang noch etwas mehr zu leiten, so gibt es für findige Trainer:innen doch diverse Wege, die es ermöglichen, die gesamte Welt zu erkunden, ohne auch nur einen einzigen Schritt in die Hauptstadt zu setzen und die eigentliche Geschichte zu beginnen. Ist das so gewollt? Auf keinen Fall. Ist es schwierig? Jap. Aber das Tolle ist: es geht!

Doch die Sache hat auch einen Haken. Da es kein Level-Scaling gibt, stößt man beim Erkunden der Welt schnell auf Hürden, die sich kaum überwinden lassen. Mein Level 12 Enton hat einfach keine Chance, wenn wir plötzlich einem Level 53 Girafarig gegenüber stehen. So hat man zwar immer zwei oder drei mögliche Anlaufpunkte auf seinem aktuellen Level und kann sich aussuchen, in welcher Reihenfolge man diese angeht, aber die wirkliche Freiheit bleibt damit leider aus.

Die drei Stories

Im Rahmen der Hauptgeschichte werden wir schnell auf die sogenannte Schatzsuche geschickt. Dabei geht es darum, die Region selbstständig und frei zu erkunden. Was genau für einen Schatz man sucht, bleibt jedem selbst überlassen. Sind es die Freundschaften, die wir unterwegs knüpfen? Ist es die Vervollständigung des Pokédex? Oder wird ein seltenes, schillerndes Pokémon unser ganz persönlicher Schatz? Die Schatzsuche selbst teilt die Hauptgeschichte dann in drei unterschiedliche Teilgeschichten auf.

Auf dem Weg des Champs ist es unser Ziel, die acht Pokémon-Arenen der Region herauszufordern und zu besiegen, um uns in der Pokémon-Liga messen zu dürfen und den Champ-Rang zu erhalten. Es ist die klassische Pokémon-Erfahrung. Immer wieder treffen wir dabei auf unsere Nachbarin, Rivalin und Freundin Nemila, die ganz begeistert von Pokémon-Kämpfen ist.

Der Pfad der Legenden führt uns auf die Spur verschiedener Herrscher-Pokémon. Diese übergroßen Exemplaren scheint etwas zu verbinden und gemeinsam mit unserem Schulkameraden Pepper gehen wir den Mythen auf den Grund.

Und dann gibt es noch die Straße der Sterne. Dies ist die vielleicht schwächste der drei Geschichten, die eigentlich die wichtigste Botschaft enthält. Hier geht es um Team-Star, eine Bande von Schulrüpeln, die allen Ärger machen. Wir werden von einem mysteriösen Kontakt darum gebeten, das Team zu besiegen und es aufzulösen, doch was dabei zu Tage kommt, ist eine ganz andere Motivation, als die der „bösen Teams“ der vergangenen Editionen.

Man sieht schon, ganz so neu sind die drei Geschichten dann doch nicht. Auch in den älteren Spielen haben wir auf dem Weg zur Pokémon-Liga die acht Arenen bezwungen, einem kriminellen Team das Handwerk gelegt und etwas über legendäre und mystische Pokémon gelernt. Jetzt sind diese Geschichten bloß nicht mehr so eng miteinander verwoben, wie zuvor. Die vorab in den Trailern suggerierte Entscheidungsfreiheit, welcher der drei Teilgeschichten man nachgehen möchte, stimmt so allerdings nicht ganz. Denn um die Hauptgeschichte abschließen zu können, müssen zunächst alle drei Teilgeschichten durchgespielt werden. Da aber alle unterschiedlich genug sind, das Spielgeschehen aufzulockern, ist das viel mehr ein Vergnügen, als eine Pflicht.

Über den Abschluss der Hauptgeschichte möchte ich an dieser Stelle gar nicht viel verraten und stattdessen einfach nur dazu raten, mindestens zu spielen, bis der Abspann läuft.

Der Mehrspielermodus

Seit die Trailer uns angekündigt hatten, dass wir mit bis zu vier Spieler:innen gemeinsam durch Paldea streifen können, haben wir uns gefragt, wie das umgesetzt wird. Welche Einschränkungen wird es dabei geben? Können wir die Welt weiter erkunden? Kann man die Story gemeinsam erleben?

Und an dieser Stelle gibt es sehr gute Neuigkeiten für alle, die sich auf die Mehrspielerfunktionen gefreut haben: Fast alles ist möglich!

Sobald zwei, drei oder vier Spieler:innen sich miteinander verbunden haben, befinden sie sich alle in der Welt, die eingeladen hat. Alle vier können sich frei bewegen und sogar an den vier entlegensten Winkeln der Region aufhalten, ohne dass man irgendwelche (zusätzlichen) Ruckler oder gar Lags bemerken kann. Die Schnellreisefunktion per Flugtaxi kann ohne Probleme genutzt werden und es das Spiel muss nicht einmal anhalten, wie bei Animal Crossing: New Horizons, wenn andere die Welt verlassen oder sich verbinden. Man hat komplette Freiheit, alles zu tun, was man möchte. Bis auf eine Einschränkung: Die Tera-Raid-Kämpfe an den Kristallen in der Oberwelt können nur vom Host erstellt werden. Allerdings bekommen alle Besucher die Option beizutreten, egal wo sie sich gerade befinden. Und nach dem Kampf werden alle wieder dort abgesetzt, wo sie zuletzt unterwegs waren. Super!

Jede:r Spieler:in bringt den eigenen Story-Fortschritt mit. Habe ich das Spiel bereits beendet und jemand anderes muss z.B. noch alle Arenen angehen, so ist das kein Problem. Betritt man ein Story-Gebäude, wie eben eine Arena, wird eine eigene Instanz eröffnet, in der nur man selbst an den Gesprächen teilnimmt. So können wirklich alle gemeinsam ihre ganz eigene Geschichte erleben, während man Seite an Seite mit Freunden reist.

Versionsexklusive Pokémon, also solche, die es entweder nur in Karmesin oder nur in Purpur gibt, bringen die Besucher direkt mit, wenn sich die zwei Versionen verbinden. Besuche ich mit meinem Trainer aus Karmesin z.B. die Welt meiner Frau, die Purpur spielt, dann tauchen die versionsexklusiven Pok´émon aus meiner Version in meiner Umgebung auf. Laufe ich mit ihr zusammen rum, können wir so dann nach und nach die Pokémon fangen, die wir sonst nur durchs Tauschen bekommen würden. Die einzige Ausnahme bilden dabei ein paar besondere Pokémon, die man erst im Endgame antreffen kann. Hier ist man weiterhin auf den Tausch angewiesen.

Das Fazit

Pokémon Karmesin und Purpur sind sehr nah dran an dem Pokémon-Spiel, von dem ich seit meiner Kindheit geträumt habe. Die offene Welt, der Mehrspielermodus und die Pokémon, die die Oberwelt bevölkern sorgen dafür, dass man sich wirklich so fühlt, als wäre man ein waschechter Pokémontrainer auf Reisen.

Ein paar Wehrmutstropfen gibt es allerdings. Zum einen die schon erwähnte technische Komponente. Zum anderen fehlt auch hier, wie schon in Schwert und Schild, wieder ein vollständiger Nationaldex. Die 400 enthaltenen Pokémon sind natürlich ohne Frage eine ganze Menge. Aber gerade, wenn man seine persönlichen Favoriten vermisst, fällt es schwer darüber hinweg zu sehen. Ich hoffe, dass es auch für Karmesin und Purpur wieder Zusatzinhalte geben wird, die uns ein paar alte Bekannte zurückbringen.

Ansonsten ist das Spiel durchzogen von Liebe zum Detail und einem großen Verständnis davon, was die Spieler:innen möchten. Insbesondere die Wettkampf-Community dürfte mit vielen Erleichterungen, was bspw. den Erhalt von bestimmten Items angeht, sehr zufrieden sein.

Für alle Pokémon-Fans und solche, die es werden wollen, kann ich daher nur eine klare Empfehlung aussprechen. Der Spaß wiegt viel mehr, als die technischen Stolpersteine.