Neva (Review)

Artwork zu Neva

Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Keine zwei Meinungen schien es hingegen bei Gris, das 2018 erschien, gegeben zu haben. Das opulente Werk der spanischen Nomada Studios war in jedem einzelnen Frame einem Gemälde aus einem Kunstmuseum so unglaublich nah. Doch obwohl die ganze Welt das Spiel damals gefeiert hat, gab es – bei mir und in meinem Umfeld – sehr kritische Stimmen. Ich mag zwar Gris, aber gerade weil es zusätzlich zu seiner künstlerischen Ader auch spielerische Dinge versucht, fällt umso mehr auf, wie viel Potenzial auf dem Weg liegen blieb. Neva ist nun das zweite Projekt des Studios, welches wieder wunderschön aussieht. Doch steckt zumindest diesmal ein klein wenig mehr unter der Oberfläche?

Neva – Ein Kunst-Indie, wie er im Buche steht

Ich habe hier im Village schon zahlreiche dieser Kunst-Indies getestet, mal mit mehr, aber viel öfter mit weniger Erfolg vonseiten des jeweiligen Titels. In den meisten Fällen fehlt mir persönlich dann noch dieser letzte Schritt, dieses i-Tüpfelchen. Gris fällt für mich eher in eine höhere Kategorie, aber was heißt das schon, wenn sich nahezu alle Titel mit einer gelben Ampel bei mir einreihen. Und auch Neva wird sich am Ende – sorry für den Spoiler – mit der Farbe des Neids zufriedengeben müssen. 

Neva ist ein 2D-Plattforming-Actioner, in dem wir die junge Alba steuern, die gemeinsam mit dem kleinen Hirschwolf (so taufe ich die Rasse jetzt einfach mal) Neva durch das Leben schlägt. Weil dunkle Schatten das Land korrumpiert haben und dabei auch Nevas Mutter starb, suchen die beiden gemeinsam nach der Quelle des Unheils. Ich würde gerne sagen, auf ihrem Weg erleben die beiden zahlreiche Überraschungen. Doch leider ist der Plot von Neva eindimensional und es fehlt die Tiefe in der Symbolik von Gris. Diese war zwar dort mit dem Holzhammer unterwegs, aber gab dem Spiel eine dritte Bedeutungsebene. 

Neva hat diese Ebene nicht, stattdessen orientiert sich das Spiel vor allem an Action-fokussierteren Titeln wie der Ori-Reihe – hübsch anzusehen, aber weitestgehend in narrativen Momenten mit Zwiebeln-Schneiden beschäftigt. Dies gelingt Neva allerdings nicht so gut, weil die beinahe wortlose Narrative zu wenig vermittelt. Zudem wirken die einzelnen Storybeats wie an der Checkliste entlang entwickelt. 

Screenshot aus Neva
Das Wandern ist des Ritters Frust…

Dass das Pacing von Neva hier ebenfalls nicht wirklich hilft, um die flache Geschichte hervorzuheben, tut dann sein Übriges. Wie in so vielen Kunst-Indies gibt es lange Laufflächen ohne Interaktion. In denen zoomt dann die Kamera heraus, damit wir einen schönen Blick auf die Umgebung haben. Diese Technik ist mir so richtig erst bei meiner Review zu Voyage bewusst geworden und sehe ich seitdem ständig im Genre (u.a. bei Planet of Lana). Ich merke, ich bin kein Fan davon. Ja, die Künstler:innen in Entwicklungsteams sollen sich kreativ austoben. Ich bitte darum! Aber dann baut solche Sequenzen sinnvoll ein. Denn auch als Vibe-Check dienen diese nicht wirklich, erst recht, wenn narrative und spielerische Gegenstücke zu kurz und unspektakulär ausfallen.

Das Verlangen nach Mehr!

Und das passiert leider auch in Neva. Denn nicht nur die narrativen Komponenten fallen flach aus, auch beim Gameplay fehlt mir was. Zugegeben – ich habe das Verlangen, mehr zu wollen. Platforming und Kämpfe bieten viele interessante Ideen. Aber wenn diese 1. zu leicht ausfallen oder 2. zu kurz ausfallen (oder 3. beides davon), dann sehe ich das Paradebeispiel von verschenktem Potenzial vor mir.

Aber sehen wir es andersherum: Wenn dieses Verlangen existiert, dann scheint Neva einiges richtig gemacht zu haben. Wir beginnen unsere Reise mit einem sehr schmalen Moveset: ein Schwert um Gegner anzugreifen, eine Ausweichrolle und einen Doppelsprung. Zu Beginn ist unser Wolf Neva auch noch viel zu jung und ängstlich, weswegen er keine große Hilfe ist. Alba spielt sich allgemein sehr flott und vor allem die versteckten Lichter, die als Sammelgegenstand dienen, haben die ein oder andere interessante Sprung-Sequenz zu bieten. Der Hauptpfad hingegen hat seine Momente, folgt aber stets denselben Mustern.

So werden wir wieder und wieder von der obersten Entität der Schatten angegriffen und fallen in einen geschlossenen Bereich. Dort müssen wir dann diverse Lebenslichter befreien, um den Weg zurück zu finden. Platforming in diesen Sequenzen ist wirklich nett, aber auch wenig anspruchsvoll. Aber um mit den Worten unseres Jump’n’Run-Dinos zu sprechen, sie sind auch nicht bloß “Beschäftigungstherapie”. Mein persönliches Problem besteht vielmehr darin – und da ist es eine starke Parallele zu Gris – dass die Herausforderungen so schnell abgehakt sind, ohne die Idee weiter zu erkunden.

So gibt es beispielsweise in einem Kapitel plötzlich kurze Abschnitte, die Platforming und Kampfgameplay vermischen. Neon White lässt an dieser Stelle herzlich grüßen. Dies spielt sich flüssig, zackig und intuitiv gut. Und dann ist das Kapitel auch schon vorbei. Warum nur, warum?

Mit der Macht des Hirschwolfes!

Bei den Kämpfen sieht es ein wenig besser aus. Hier besteht ein klarer Anstieg im Design vom ersten bis zum letzten Kapitel, die sich so beim Platforming nicht finden lassen. Nicht nur Neva wird mit jedem Kapitel stärker und ist bald ein wichtiger Part unseres Kampfsystems, auch das Gegnerdesign wird immer kreativer. So nervig sie auch waren, aber die Schatten, deren Kopf aus Quadern des Levels bestehen, stellen uns im ersten Moment auf eine gute Probe. 

Screenshot aus Neva
Auftakt in ein starkes Kapitel

Es bleibt zwar weiterhin so, dass nach einem Gefecht das Pacing unnötig in die Länge gestreckt wird, aber übergreifend ist ein roter Faden erkennbar. Dieser endet dann bei der obersten Entität…und mein erster Kommentar war »Sorry, ich hab schonmal Soulslikes gespielt«. Selten hat mich ein finaler Kampf emotional so wenig getroffen, weil es viel zu schnell geschehen war. Und selten habe ich im ersten Versuch so gut ausgesehen. Die erste Phase war nahezu geschenkt, weil der Gegner zu wenig drauf hatte und im Vergleich zu allen Gegnern vorher keine anderen Faktoren hatte, die den Kampf erschwert hätten. Und auch die zweite war schneller vorbei, als ich schauen konnte. 

Gerade weil das vorangegangene Kapitel mir spielerisch enorm gut gefallen hat, da hier sehr viel mit Perspektive und Spiegelungen gearbeitet wurde, sticht der Endboss hier enorm heraus. Die letzte Stunde war im Grunde mit seiner Verbindung der Kampfszenen auf “unsichtbaren” Plattformen oder unsichtbaren Gegnern richtig spaßig. Dies war das Neva, was ich wirklich geliebt habe, denn vorher war es solide, aber leider auch nicht mehr. Und dann kam der Bosskampf und es war viel zu schnell vorbei. Ehrlich, das frustriert mich bei Kunst-Indies so sehr. Ähnlich fühlte ich mich auch schon bei Omno. Aber erst am Ende Muskeln spielen lassen, bringt es halt auch nur, wenn die Landung glückt. Und das hat bei Neva der Bossskampf nicht geschafft.

Ich will mehr, als Neva mir geboten hat

Und dann fühle ich mich auch wieder und wieder wie eine gesprungene Schallplatte. Ich liebe es, wenn sich Künstler:innen und Gamedesigner:innen austoben. Zwar fand ich jetzt auf künstlerischer Ebene Neva schwächer als das erste Werk von Gris, da mir zu oft Nebel, Wolken oder Dunkelheit eine gute Sicht boten, aber es sucht dennoch seinesgleichen. Aber bitte, bitte, liebe Entwickler (nicht nur Nomada Studios) – hört nicht nach kürzester Zeit auf. Oder beschränkt euch auf Kernideen. Es gibt so viele kürzere Indies, die ihre Möglichkeiten mehr auszuschöpfen scheinen. Hier fiele mir spontan Sayonara: Wild Hearts ein – gerade mal eine knappe Stunde lang, aber in Anbetracht dessen, was es sein will, richtig stark. Beschränkt euch oder folgt euren Ideen bis zum Ende. So ist es am Ende nichts Halbes und nichts Ganzes.

Dies ist bei Neva leider wieder der Fall. Ich liebe diese Form der Spiele und Neva gefällt mir prinzipiell auch besser als das Vorgänger-Projekt des Studios. Das Kampfsystem baut sich nach und nach auf, mit einigen spannenden Ideen im Gegner-Design. Aber lasst mich nicht immer wieder nach mehr gieren. Eure tollen Ideen sind es wert, weiter ergründet zu werden. Es gelang beim letzten spielerischen Kapitel von Neva sehr gut. Aber am Ende sitze ich dann wieder nur da und bin ernüchterter über ein eigentlich gutes Spiel, als ich sein will. Ich könnte meine Ansprüche runterschrauben. Aber ich sehe ja, dass ihr alle Zutaten, die notwendig sind, vor euch liegen habt. Aus diesem Grund macht mehr Spiele wie Neva, welche den Vorgänger immer ein Stück weit überflügeln. Dann ergrünt unsere Ampel links auch von meiner Seite für euch irgendwann.

Hirschwolf auf Steam Deck aufgezogen. Ein herzlicher Dank geht an Nomada Studios und Devolver Digital für die Bereitstellung eines Mustercodes.