
Eventuell war ich vor 46 Tagen zu harsch zu Deck Nine Games. In den Village-Most Wanted habe ich “von einer gerechten Welt” geredet, in der Don’t Nod weiterhin an Life is Strange arbeitet. Hätte allerdings das Studio aus Colorado nicht übernommen, hätten sich die Franzosen eventuell nicht so frei entfalten können (auch wenn erst kürzlich im Studio ein wenig Chaos geherrscht hat, wie u.A. gamesindustry.biz berichtet). Doch im Kern bleibe ich bei meiner Grundaussage: Beide bisherigen LiS-Titel von Deck Nine waren ungemein wechselhaft. Und jetzt kehrt in Life is Strange: Double Exposure Max Caulfield aus dem allerersten Ableger zurück! In welche Richtung es allerdings gehen würde, habe ich so wahrlich nicht kommen sehen.
Life is Strange: Double Exposure schreibt Max’ Geschichte weiter
Ein kurzer Rückblick zum Start: Im ersten Life is Strange ging es um Max Caulfield, die miterleben muss, wie ihre Freundin Chloe auf der Highschool-Toilette umgebracht wird. Von Trauer und Verzweiflung geplagt, entwickelt sie die Fähigkeit, in der Zeit zu reisen, und verhindert dieses traumatische Erlebnis. Doch Zeitreisen haben natürlich immer einen Haken und das wahre Chaos beginnt erst.
Springen wir rüber zu Life is Strange: Double Exposure! Hier geht es um Max Caulfield – mittlerweile Artist in Residence an einer angesehenen Kunstuniversität -, die miterleben muss, wie ihre Freundin Safi umgebracht wird. Von Trauer und Verzweiflung geplagt, aber nach Jahren ohne Zeitreise-Shenanigans, erwachen plötzlich ganz neue Kräfte in ihr. Stattdessen kann sie in eine parallele Dimension übertreten, in der Safi noch am Leben ist. Doch auch Multiversen haben natürlich immer einen Haken und…ihr erkennt das Muster sicherlich.

Es ist erstaunlich, wie nah sich Deck Nine Games in Life is Strange: Double Exposure am originalen Werk orientiert. Nicht nur ist die Ausgangslage eine ähnliche und die Struktur der Geschichte weist Parallelen auf. Das Spiel mit den Fähigkeiten ist abseits von »Oh nein, das wird uns sicher etwas kosten!«-Gerede an manchen Stellen weitestgehend ähnlich. So werden schnell die Fähigkeiten für mehr ausgenutzt, als bloß die Rettung eines geliebten Menschen. Dabei beginnt Life is Strange: Double Exposure meiner Ansicht nach richtig stark.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
Life is Strange: Double Exposure macht es sich einfach und setzt beide Enden des direkten Vorgängers als Kanon an. Es ist unsere Entscheidung, welchem (insgesamt irrelevanten) Ende wir folgen wollen. Chloe-Fans müssen dann ganz stark sein, denn es ist schon sehr bescheiden, wie das für sie positive Ende eingebaut wurde. Aber vielleicht auch ganz gut, dass wir nicht miterleben müssen, wie Chloe in Life is Strange: Double Exposure hineingezogen wird, denn…naja, ich spann euch da erstmal auf die Folter.
Fans der bisherigen Ableger werden sofort in Life is Strange: Double Exposure hineinfinden. Die ersten zwei von insgesamt fünf Kapiteln entwerfen ein spannendes Mysterium rund um Safis Ableben. Die Charaktere sind gut gezeichnet und die Dialoge unterhaltsam. Und auch die Fähigkeit, sich zwischen zwei Welten hin und her bewegen zu können, wirkt zu Beginn sehr faszinierend und hat Potenzial. Es wird zwar nie erklärt, warum Max nun zusätzlich wandeln und Gegenstände transportieren kann, aber dies ist für mich noch die richtige Form des Mysteriums, was ich gerne hinnehme.
Schwieriger wird es hingegen bei der Beziehung zwischen Max und Safi. Ja, wir erleben, dass sich beide sehr gut verstehen und Safi eine große Rolle darin spielt, sich in der neuen Heimat nach Jahren des “Auf der Straße-Lebens” zurechtzufinden. Doch es wirkt schnell danach, als würde Deck Nine hier gerne eine Chloe 2.0 zimmern wollen. Zur Erinnerung: Die Schuldgefühle gegenüber Chloe erwuchsen aus einer Mischung aus Kindheitsfreundschaft und anschließend jahrelanger, kalter Schulter von Max aus. In Life is Strange: Double Exposure bekommen wir nie wirklich ein Gefühl dafür, warum Safi Max so viel bedeutet. Vor allem, weil sich unter dem Cast diverse romantische Optionen verstecken, Safi aber keine davon ist. Selbst diesen Punkt hat Safi nicht zu ihren Gunsten.
Gewohnte Welten, unbekannte Ufer
Spielerisch hat sich bei Life is Strange: Double Exposure wenig getan im Vergleich zu den vorherigen Teilen der Reihe. Erneut erkunden wir abgeschlossene Gebiete, um Charaktere zu finden und Informationen zu erhalten. Hin und wieder müssen wir mit Items kleinere Aufgaben lösen, um Dinge zu erreichen, die die Story voranbringen. Diese sind nett, aber oftmals auch nicht wirklich anspruchsvoll. Herauszufinden, was einen Lehrer ablenkt, um an dessen Koffer zu gelangen, war bei seinem großen Ego nicht allzu schwer. Der Gameplayloop besteht eher darin, der Story zu folgen und das Level zu erkunden, um Interaktionspunkte zu finden.

Ein wenig komplexer wird es zu Beginn mit Max’ Fähigkeiten. Im Grunde teilt sich das Level in zwei Ebenen auf – einmal die Welt, in der Safi lebt, und die Welt, in der sie getötet wurde. Wechseln wir die Welt, verändern sich offensichtlich Dialoge und Stimmung. Hin und wieder ist das notwendig, um mit einem Impuls Schatten aus der anderen Dimension zu sehen und so Lösungen auf der Spur zu sein. Zudem sind manche Wege geöffnet, die in der anderen Dimension verschlossen sind. Doch auch hier erweitert sich lediglich der Suchradius, wie bereits bei allen anderen Spielen der Reihe fehlen die spielerischen Puzzle, für die wir Hirnschmalz benötigen.
Das Erleben der Story, Welt und Charaktere steht im Zentrum und so sind es dann auch die wenigen Nebenaktivitäten, die diesem Zweck unterworfen sind. In den Leveln können wir beispielsweise vereinzelte Fotos schießen, die wir als Starfotografin der Uni direkt im Internet veröffentlichen können. Gleichzeitig lassen sich Polaroids finden, die Szenen aus anderen, alternativen Zeitlinien zu zeigen scheinen. Gruselig! Und zu guter Letzt haben wir ein Smartphone mit Nachrichten der anderen Charaktere und Social-Media-Postings, aber auch Notizen und ein Tagebuch, die sich im Verlauf der Handlung allmählich füllen.
Life is Strange: Double Exposure geht die Puste schnell aus
Bis zum Ende von Kapitel 2 habe ich das Spiel erhalten, welches ich mir erhofft habe von Life is Strange: Double Exposure. Interessanter Weise erhielten Käufer der Ultimate Edition bereits vorab Zugriff auf diese Episoden und ich frage mich, ob dies ein Zufall ist. Oder eher eine Chiffre. Denn mit Kapitel 3 beginnt ein steter Abstieg in der Geschichte von Max Caulfield und dem Mord an Safi.
Weil wir das Gefühl bekommen, dass auch in der zweiten Zeitlinie das Leben von Safi in Gefahr ist, beginnen wir mit Ermittlungen. Prinzipiell mag ich solche Ausgangslagen und auch Life is Strange: Double Exposure macht hier vieles richtig. Gerade solche Geschichten à la Twin Peaks, Stranger Things und Konsorten, in denen hinter die Kulissen einer Gemeinschaft geblickt wird, versprechen Spannung, Drama und auch Witz. Und so gibt es manche interessante Anekdoten, die in Life is Strange: Double Exposure Spannung versprechen. Dreh- und Angelpunkt ist beispielsweise eine verstorbene Schülerin aus der Vergangenheit, die…jetzt sind wir wieder bei Parallelen zum Erstling…für Safi eine große Rolle spielt.
Und dennoch fühlen sich diese aus den Charakteren entsprungene Geschichten fast schon irrelevant an im Vergleich zu all den Problemen, denen Max durch ihre Fähigkeiten ausgesetzt ist.
Kapitel 3 ist zerrissen. Einigen guten Szenen – Stealth im Astronomie-Labor als tolles Beispiel – stehen erste hanebüchene Momente entgegen. Hier wird inhaltlich beispielsweise ein Thema aufgemacht, das später kurz angesprochen wird, aber niemals eine Rolle im Gesamtkontext von Life is Strange: Double Exposure spielt. Du darfst in meinen Augen keine Handlungsfäden, die du aufwirfst, ignorieren, wenn sie ganze Szenenabfolgen dominieren. Und das passiert hier.
Logisch und zugleich auch absurd
In Life is Strange: True Colors, welches ich mochte, auch wenn ich es als den schwächsten Teil der Reihe sehe, richtete in meinen Augen vor allem das letzte Kapitel großen Schaden an der Geschichte des Spiels an. Vorher gab es einzelne Momente, die im Konflikt mit der Moral von Alex’ Fähigkeiten standen, aber nichts Schwerwiegendes. Wenn ich bedenke, dass ich im ersten Teil lediglich mit der Absurdität der letzten Entscheidung hadere, ist dies schon ein starker Rückschritt gewesen.
Bei Life is Strange: Double Exposure hört es nämlich nicht bei missachteten Handlungsfäden auf. Mit dem Übergang von Kapitel 3 zu 4 öffnet Deck Nine Games ein neues Kapitel, welches fast schon logisch im Franchise erscheint. Und dennoch: Als meine Frau, mit der ich gemeinsam gespielt habe, ihre Theorie früh verkündet hat (und sie hat ein fantastisches Gespür dafür), nannte sie diese direkt auch »Bullshit«. Dem habe ich zugestimmt, aber was glaubt ihr, worauf es im Endeffekt hinausgelaufen ist? Absurd…
Rückblickend ist es irgendwann aber logisch für das Franchise gewesen, was in Life is Strange: Double Exposure an dieser Stelle passiert. Es folgt zu Beginn des vierten Abschnitts daher ein elendig langer Exposition-Dialog, der sich enorm hinzieht und wenig über die beteiligten Charaktere verrät. Danach kehren wir erstmal zurück, spielen eine größere “Puzzle”-Sequenz, in der wir – übertrieben gesprochen – einem anderen Charakter einen Streich spielen. Das Mysterium rund um Safis Tod ist damit quasi beendet und wir können uns anderen Dingen widmen. Kapitel 5 zum Beispiel!
Und dann bricht Life is Strange: Double Exposure zusammen
Es fällt mir in diesem Review enorm schwer, so wenige Spoiler wie möglich zu verwenden. Aber Genre- und Gamedesign-bedingt ist das Fundament von Life is Strange: Double Exposure nun einmal seine Handlung. Und dieses Fundament gerät in Kapitel 5 extrem ins Wanken.
Ich habe während des Spielens einen enorm großen “Hass” von vielen Fans der Reihe auf dieses Kapitel mitbekommen, ohne mich ernsthaft zu spoilern. Diesem Tenor kann ich mich zum Glück nicht anschließen. Aber es ist auch keine Augenweide, da die Ereignisse am Ende von Kapitel 4 hin zu Kapitel 5 weitestgehend langatmig und zäh werden. Zudem wird mir in einer immens wichtigen Entscheidung selbige abgenommen, was gerade bei einem solchen Adventure einfach falsch ist.

Hier erweist sich Life is Strange: Double Exposure als Opfer seines starren Spieldesigns. Immer wieder müssen wir große, duale Entscheidungen treffen, die am Kapitelende mit den anderen Spieler:innen verglichen werden. Manche sind okay, andere moralisch extrem eindimensional. Die abgenommene Entscheidung hingegen “muss” passieren, weil sie im Grunde ein narrativ dritter Weg ist. Max steht vor der Wahl zwischen Option A und B, sie entscheidet sich für C. Weil das Gamedesign von Life is Strange abseits von Dialogen dies nicht “erlaubt” [Verdammt Deck Nine, ihr seid die Entwickler, erlaubt es einfach!], passiert alles in einer Cutscene.
Was folgt, ist ein mehr oder weniger zusammenhangloser Ritt durch dieselben Level wie vorher, mit denselben Charakteren, die nun in Gefahr schweben. Hier wird dann thematisch auch nochmal die Vergangenheit von Max herausgekramt, um ihr Trauma abzuarbeiten – welches aber komplett aus dem Zusammenhang gerissen fühlt. Wenn es um die Vergangenheit ging, war es manchmal Chloe, manchmal die Zerstörung von Arcadia Bay. Aber das Trauma aus dem Ende? Da wurde definitiv nicht drauf hingearbeitet. Allgemein fehlen meiner Ansicht nach in Life is Strange: Double Exposure narrative Höhepunkte, wie erwähntes Trauma im ersten Ableger oder auch die Geschichte rund um Kate.
Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende?
Und so nähern wir uns dem Ende meiner Review, passend zu meiner Kritik an Kapitel 5. Denn zum Abschluss macht Life is Strange: Double Exposure dort noch ein allerletztes Fass auf. Ja, ich habe bereits vorhin geschrieben, dies ist in der Theorie eine fast schon logisch erscheinende Richtung für das Franchise. Und bei der allerletzten Einblendung des Spiels musste ich leider lauthals lachen. Ich verstehe die Fans, dass sie diesen perspektivischen Weg innerhalb des Franchise hassen, habe allerdings selber nur Kopfschütteln dafür übrig. Anstatt “intime” Charakterdynamiken zu erkunden, wie in den Vorgängern und zu Beginn von Life is Strange: Double Exposure, läuft es jetzt Gefahr, in vollkommen neue Bahnen gelenkt zu werden. Mir geht damit ein wenig die Identität von Life is Strange verloren.

Und so stehe ich nun da und hadere. Life is Strange: Double Exposure ist zu Beginn eine interessante Fortsetzung, die aber irgendwann eigentlich keine Fortsetzung mehr sein will, sondern ein Abziehbild seiner selbst. Was wir an den bisherigen Teilen geliebt haben, ist immer noch vorhanden, wenn auch stark abgekupfert von Don’t Nods Life is Strange-Premiere. Aber was wir an den bisherigen Teilen gehasst haben, wächst immer weiter und manifestiert sich inhaltlich, aber auch in der Rezeption der Fans als falschen (Fort)Schritt. Im Gesamtpaket empfand ich Life is Strange: Double Exposure vor allem zahm und oftmals uninspiriert, dem man aber die Liebe des gesamten Teams dahinter enorm anmerkt. Doch Liebe reicht in diesem Fall nicht aus, sondern kann unter Umständen sogar schaden.
Auf PlayStation 5 durch parallele Welten gewandelt! Ein herzlicher Dank geht an Square Enix und Deck Nine Games für die Bereitstellung eines Mustercodes.