Dicefolk (Review)

Artwork Dicefolk

In den letzten Monaten habe ich zahlreiche sehr unterschiedliche Monster-Sammelspielel gespielt. Und doch hatten Persona 3 Reload, Dragon Quest Monsters oder Cassette Beasts stets eines gemein: sie waren Rollenspiele. Abseits von dem Genre ist das Sammeln von Monstern eine Nische innerhalb einer Nische. Adore entfernte sich als Echtzeit-Actionspiel ein Stück weit, doch wirklich überzeugen konnte mich der Titel letztes Jahr nicht. Dieser Tage erlebte ich mit Dicefolk nun einen neuen Versuch, aus den Konventionen der eigenen Nische auszubrechen. Und bereits nach wenigen Stunden ist mein Urteil über dieses Spiel gefallen wie die Würfel des Cäsar.

Monster-Collecting à la Dicefolk

Roguelites haben in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen und die ein oder andere erfolgreiche Hybride auf den Markt gebracht. Monstersammler wie Dicefolk sind da noch eine Ausnahme – sofern mich mein unvollständiges Wissen über die Szene nicht trübt. Was hingegen gar nicht mal so selten von Indies aufgegriffen wird, ist das Spielprinzip von Slay the Spire. Und wer das verdammt gute Cardbuilding-Rogue kennt, wird dieses in vielen Ansätzen bei Dicefolk wiedererkennen.

Wir schlüpfen in die Rolle der jungen Alea (Inside-Joke für alle mit Latinum), welche mit ihren Würfeln die Macht besitzt, fremde Chimären zu beschwören und zu kontrollieren. Um einer dunklen Bedrohung gewappnet zu sein, reisen wir durch verschiedene Welten und versuchen uns der dämonischen Chimäre Salem entgegenzustellen. Ganz im Stile eines Roguelites bauen wir in jedem Durchgang ein neues Team von drei Chimären auf, welches durch Equipment und andere Fähigkeiten stark genug wird, um dem Kampf gegen Salem eine neue Richtung zu geben.

Die Qual der Wahl – welche Chimäre soll ich in mein Team aufnehmen, welche rauswerfen?

Metaprogression geschieht lediglich durch den Highscore am Ende eines (nicht-)erfolgreichen Durchganges. Je öfter wir also die Reise durch die gefährlichen Areale von Dicefolk auf uns nehmen, desto mehr neue Chimären oder Reiseziele lassen sich freischalten. Ansonsten nehmen wir lediglich Statistiken, Archiveinträge und andere Detailinformationen mit, die sich nach und nach ansammeln.

Ein Team, sie zu knechten

Zu Beginn haben wir die Wahl zwischen vier Talismanen. Jedes steht für eine Form von strategischer Ausrichtung, für den Durchgang und die Art von Chimären. Alea startet immer mit einem Dreierteam leicht unterschiedlicher Standard-Chimären, die sich an diesen Talismanen orientieren. Der Krieger-Talisman beispielsweise ist darauf spezialisiert, mit Stärke Schaden an den Gegnern zu nehmen, während das Pain-Talisman Fähigkeiten nutzt, die den eigenen Chimären Schaden zufügen, um die Oberhand zu behalten. Nach knapp zwanzig Spielstunden entdecke ich immer noch neue Strategien und Möglichkeiten, mein Team aufzustellen und feindliche Truppe am effektivsten zu bekämpfen.

Jede Chimäre hat ihre eigenen Basiswerte – Lebenspunkte, Stärke, Intelligenz oder Mana, je nach Art – und Spezialfähigkeiten. So greift beispielsweise eine Gattung den Gegner am Ende des Zuges an, wenn sie selbst nicht bei vollem Leben ist. Eine andere fügt vereinzelten Feinden unter bestimmten Bedingungen Blutung zú,

Eine solche Bedingung kann beispielsweise eng mit der Aufstellung des Teams zusammenhängen. Beide Teams des rundenbasierten Kampfsystems stehen sich auf einem Kreis gegenüber und nehmen dort ihre Positionen ein. Dabei hat jedes Teams – unseres und der Gegner – einen Anführer, welcher dem Gegner direkt gegenübersteht. Die anderen Chimären mögen zwar im Hintergrund stehen, können aber auch jederzeit direkt in das Geschehen einwirken.

Strategisch und individuell, aber auch simpel

Jede Runde des Kampfes wird durch Würfel ausgedrückt. Die Seiten dieser Würfel können wir im Laufe eines Durchganges teilweise selbst bestimmen und somit den Faktor des Zufalls (oder vielmehr ungewollter Ereignisse) minimieren. Es gibt beispielsweise Würfelseiten für normale Angriffe, Duelle mit Schaden für beide Seiten oder Verteidigungsbuffs. Auch die Aufstellung lässt sich durchrotieren, um eventuell von Fähigkeiten zu profitieren oder die eigene Chimäre aus der Schussbahn zu bekommen.

Screenshot zu Dicefolk

Der Kniff des Kampfsystems ist allerdings nicht bloß das Würfelspiel dahinter, sondern auch die “direkte” Kontrolle der gegnerischen Aktionen. Für jede Chimäre auf dem Feld gibt es mindestens einen Würfel (wir können im Verlauf mehr Würfel für unser Team freischalten). Eigene und gegnerische Würfel sind im Kampfbildschirm unterhalb der Aufstellungen sichtbar. Während wir unsere Züge nicht notwendigerweise ausreizen müssen, sind alle Würfel des Gegners in einer Runde zwingend zu aktivieren. Wann dies geschieht, ist allerdings uns überlassen. Dies gibt den Kämpfen eine große taktische Komponente und reduziert das durch Würfel natürliche Glücksproblem erheblich. Sicherlich fallen die Würfel nach Zufall, aber wir sind diesem nur selten ausgeliefert, wie ich es beispielsweise zuletzt bei Primateria oder auch bei Dicey Dungeons bemängelt habe.

Die Züge des Gegners kontrollieren zu können, ist einerseits eine sehr individuelle Mechanik und nützlich, um dem Zufall entgegenzuwirken. Andererseits spielt es aber auch in ein Problem hinein, welches Dicefolk immer wieder verfolgt: Kämpfe werden stellenweise zu einfach. Dann rotieren wir einfach den Gegner in die “schwächste” Position oder bauen unsere Verteidigung dementsprechend auf. Buffs und Debuffs sind unter Umständen weitaus sinnloser für den Gegner oder nützlicher für uns. Das Kampfsystem hat zahlreiche Möglichkeiten, um sehr individuelle Strategien zu verfolgen – aber nur wenige reichen aus, um erfolgreich zu sein.

Auf Wanderschaft in Dicefolk

Auch wenn es ein Achievement dafür gibt, mit seinen Starter-Chimären ans Ziel zu kommen, so lohnt es sich, auf seiner Reise neue Chimären ins Team aufzunehmen. Wir reisen auf unserem Weg zu Salem durch drei unterschiedliche Gebiete. In jedem Gebiet befinden sich drei Statuen, welche uns zufällig eine Chimäre anbieten. Allerdings können wir von diesen Statuen pro Welt nur eine Chimäre ins Team aufnehmen. Entscheiden wir uns zu warten und alle drei Optionen miteinander vergleichen zu können, gehen uns allerdings alternative Heilmöglichkeiten verloren. Statuen verwandeln sich nämlich in Truhen mit Heidelbeeren, wenn wir uns bereits frühzeitig für eine neue Chimäre entscheiden. Entscheidungen sind wie immer bei Roguelites auch bei Dicefolk wichtig.

Der Pfad durch jedes Gebiet ist zu Beginn weitestgehend unbekannt und deckt sich erst Schritt für Schritt auf. Kämpfe gegen Standardgegner decken neue Abzweigungen und somit auch besondere Orte auf, an denen wir Boni erhalten, um unsere Chimären stärker zu machen. Händler oder herumwandernde Personen bieten uns Verbrauchsitems oder Equipment, der Schmied optimiert unsere Würfeloptionen. Weitere Orte nehmen direkten Einfluss auf die Werte unserer Chimären. Dicefolk hat viele Optionen, jeden Run sehr individuell zu gestalten und das Team dementsprechend zu individualisieren. 

Bewegtbild aus Dicefolk
Das Wandern ist Aleas Lust

Doch anders als bei vielen anderen Roguelites können wir die Pfade eines Gebietes jederzeit neu begehen. Manche Orte sind nach erstmaligem Besuch nicht mehr betretbar, aber wieder andere so oft wie möglich. Gerade die Händler oder der Schmied lassen sich mehrmals besuchen. Wir können also jederzeit auf eventuelle Fehler oder neue Ressourcen reagieren und unser Team dementsprechend aufstocken. Auch dies nimmt dem Würfel- und Gegnerzufall die Schärfe und macht Dicefolk weitaus einfacher, als es das Genre normalerweise ist. 

Iacta alea est!

Zum Überblick: Ich hatte nach neun Durchgängen bereits fünf erfolgreiche Spielrunden, wovon vier das Tor zu Salem mit den Talismanen geöffnet haben und zwei selbigen erledigt haben. Wenn ich da an meine Statistiken in Hades, Spelunky oder Slay the Spire zurückdenke… fast schon trivial.

Sicherlich kann man das Argument anführen, dass es dem Genre nicht schadet, wenn ein Vertreter eher einfacher ist. Dicefolk macht nichtsdestotrotz viel Spaß, aber das Fehlen der Herausforderung motiviert kaum dazu, die Tiefe des Kampfsystems, der Chimären und ihre Fähigkeiten auszureizen. Ich habe beispielsweise nie Mana benutzen müssen in den initialen Durchgängen. Und auch andere Strategien habe ich bisher gesehen, aber waren nicht notwendig, um ein schlagkräftiges Team auf die Beine zu stellen. Zum Glück schaltet sich nach dem erstmaligen Besiegen von Salem ein Herausforderungsmodus mit mehreren Leveln frei, welcher uns auf jeder Stufe neue Boni und eine Erhöhung der Schwierigkeit garantiert. Wer also bereits wie ich vom Grundgameplay angetan ist, findet in Dicefolk jede Menge weitere Spielstunden nach dem Durchspielen wieder.

Denn Dicefolk gibt sich spielerisch abseits der fehlenden Herausforderung im Genrevergleich keine Blöße. Das Teammanagement ist einfach und sehr abwechslungsreich und das Kampfsystem durch seine strategische Komponente einzigartig. Tiny Ghoul hat zudem stark darauf geachtet, dass der Zufall keine zu große Rolle einnimmt – bei Spielen mit Würfeln als Hauptgimmick eine große Herausforderung. Die dafür genutzten Elemente hebeln allerdings die Schwierigkeit aus und motivieren kaum, die Spieltiefe von Dicefolk auszukundschaften. Der Titel erreicht so vielleicht nicht die Höhen mancher Rogue-Genrekollegen, aber ist durchaus meiner Ansicht nach ein sehr spaßiger Vertreter eines eher Veränderungs-unwilligen Monstersammel-Genres.

Chimären auf Steam Deck im Würfelspiel betrogen. Ein herzlicher Dank geht an die Tiny Ghoul und Good Shepard Entertainment für die Bereitstellung des Mustercodes.