Marvel Snap (Review)

Artwork mit Logo zu Marvel Snap

Vor vielen, vielen Jahren hatte mich das Sammelkarten-Monster ganz fest in seinen Krallen. Egal ob Magic: The Gathering, Yu-Gi-Oh! oder Pokémon – ich habe gerade diese Big Player sehr geliebt. Damals, in der physischen Welt, war es mein löchriger Sparstrumpf, der mir Grenzen gesetzt hat. Heutzutage, mit vielen digitalen Möglichkeiten, ist es gottseidank die Vernunft. Doch gerade aufgrund dieser Erfahrungen und mein Wissen über die aktuelle Free2Play-Landschaft wuchs seit Ankündigung von Marvel Snap die Skepsis. Dass ich nun hier sitze und ein Review zu diesem Spiel schreibe, ohne dass mein warnender Zeigefinger zuckt, hätte ich sicherlich nicht erwartet.

Duelle im endlosen Universum von Marvel Snap

Es begann kurz vor der heißen Sommerphase, als Disney das Sammelkarten-Spiel Marvel Snap enthüllte. Das aktuell wahrscheinlich populärste Medienfranchise der Welt als Free2Play-Spiel? Ich sah schon die kleinen Kinder mit langen Finger die Kreditkarten ihrer Eltern stibitzen. Eventuell ist das auch stellenweise so, aber Entwarnung vorweg: Marvel Snap ist abseits seiner Genre- und Finanzierungswurzeln kein wirtschaftlich unmoralisches Angebot. Ja, ich schau auf dich, Diablo Immortal! Aber dazu später mehr.

In Marvel Snap treten wir in 1 vs. 1-Duellen gegen andere Spieler:innen (und leider allem Anschein nach sehr viele Bots) an. Allgemein ist das Ziel, ein schlagkräftiges Deck aus zwölf unterschiedlichen Karten zu erstellen und somit mindestens zwei von drei Standorten zu gewinnen. Uns bleiben dafür sechs Züge, um auf den Standorten so viele Punkte wie möglich zu sammeln und somit unserem Widersacher Würfel abzuluchsen. Denn nur mit diesen Würfeln steigen wir entsprechend die Ränge auf.

Screenshot aus Marvel Snap
Oh nein, die Eichhörnchen werden mein Untergang sein!

Der Umfang von Marvel Snap ist noch relativ überschaubar, denn abseits zufälliger Kämpfe gegen einen Gegner gibt es wenig Spielerisches zu entdecken. Zielgerichtete Duelle mit Freunden sollen zu einem späteren Zeitpunkt ins Spiel hinzukommen. Leider sorgt das (noch) für ein wenig Unmut bei mir, da Experimente mit neuen Decks und Strategien jedes Mal ein Risiko darstellen. Zum Glück gilt aber sowohl beim normalen Rangaufstieg als auch beim Season Pass: Sind Meilensteine einmal erreicht, sind auch Niederlagen oder Rangabstieg verschmerzbar. Ärgerlich, sicherlich, aber verschmerzbar.

Simpler Gameplay-Loop, komplexe Strategien

Die Regeln eines Duells sind auf den ersten Blick simpel. Jeder Spieler zieht zu Beginn vier Karten aus seinem Deck und der Erste der drei Standorte wird – von links nach rechts – aufgedeckt. In den sechs Zügen eines Matches erhalten wir aufsteigend von 1 bis 6 Energiepunkte, die wir für unsere Karten ausgeben können. Eine Karte wird an einem Standort platziert und deren Stärke entspricht der Punktzahl auf unserer Seite. Wer am Ende an mindestens zwei Standorten die meisten Punkte ausspielen konnte, der gewinnt das Duell. 

Doch selbstverständlich ist es nicht so einfach. Einzelne Karten, allesamt Charaktere aus dem gewaltigen Marvel-Comic-Kosmos, haben bestimmte Effekte, die Einfluss auf das Geschehen nehmen. Hier wird eine Karte des Gegners zerstört, dort eine eigene Karte verstärkt oder dann manipuliert es plötzlich das gesamte Spielfeld. Der Clou beim Deckbau fußt in der Beschränkung auf zwölf individuelle Karten. Synergien oder Strategien, aber auch ein Blick auf die optimale Nutzung der Züge sind enorm wichtig, um funktionierende Decks zu schaffen. 

Screenshot aus Marvel Snap
Kommunikation mit den anderen Spielern geschieht weitestgehend über Snappen (Einsatz erhöhen), Sprechblasen und Icons

Was allerdings Marvel Snap besonders dynamisch und meiner Ansicht nach auch abwechslungsreich macht, sind die Standorte. Diese besitzen ihrerseits ebenfalls Fähigkeiten, welche Einfluss auf den Spielverlauf nehmen können. Das bedeutet, beim Deckbau sollten wir also nicht nur in Betracht ziehen, wie die Karten untereinander interagieren. Auch Synergien oder Grenzen unseres Decks je nach zufälliger Standortauswahl können über Sieg und Niederlage entscheiden. Diese Fülle an strategischen Möglichkeiten gibt Marvel Snap einen großen Reiz und enorm viel spielerische Tiefe. 

Alte Laster und neue Muster

Wie eingangs erwähnt: Seit meiner Kindheit stehe ich auf (Sammel)kartenspiele und ihr habt dies eventuell schon aus meiner Slay the Spire-Review herauslesen können. Es war damals eine wilde Zeit mit wenig Geld in meiner Tasche, aber umso größeres Herz für die Karten von Wizards, Konami und Co. Das digitale Zeitalter hat mir allerdings die Möglichkeit gegeben, dieser Freude auch ohne großen Geldaufwand nachzugehen. Auch wenn ich bereits einmal einen Season Pass von Marvel Snap gekauft habe – meine erste Mikrotransaktion jemals!

Fällt also jemand in alte Muster zurück? Dies war zumindest meine Sorge, denn der spielerische Ablauf von Marvel Snap, die taktische Komponente sowie der Sammelwahn sind ein Cocktail, der mir schmeckt. Und doch kann ich es verneinen, denn Marvel Snap hat den F2P-Umständen entsprechend ein relativ sorgfältiges Bezahlsystem.

Screenshot aus Marvel Snap
Die eigene Sammlung füllt sich über die Zeit sehr schnell

Spieler:innen können für zwei Dinge in Marvel Snap Geld ausgeben. In erster Linie kauft man unterschiedlich große Pakete von Gold. Mit dieser Währung lassen sich Missionen oder Kartenvarianten freischalten sowie Credits kaufen. Die Credits sind der Treibstoff für die Progression des eigenen Sammlungslevels. Sie erhöhen das Level einzelner Karten und machen sie “seltener”. Und je höher wir insgesamt steigen, desto bessere Karten können wir für die Sammlung ergattern. Eine weitere komplett erspielbare Währung sind Booster, die Karten-spezifisch und für deren Aufstieg notwendig sind. 

Während ich dies schreibe, laufen zudem die Vorbereitungen auf eine letzte erspielbare Währung, sogenannte Tokens, mit denen man spezifische Karten auswählen und kaufen kann. Diese zielgerichtete Progression fehlte bisher im sehr auf Zufall ausgerichteten System. Hier würde ich den Finger in die Wunde legen wollen, denn diese Mechaniken sind in Verbindung mit dem gesamten Sammelaspekt und dem sehr guten Spiel im Hintergrund, psychologisch sehr verführerisch. Leider Usus bei Free2play-Spielen.

Die andere Variante – und diejenige, die von mir bisher Geld gesehen hat – sind Season Passes. Diese monatlichen Events bieten zeitexklusive Karten bzw. exklusive Avatare und Kartenhintergründe sowie eine Fülle weiterer Boni, arrangiert an eine eigene Questreihe abseits der sich erneuernden Hauptmissionen. Die exklusiven Inhalte des Season Pass sind weitestgehend kosmetischer Natur. Die zeitexklusiven Karten werden nach wenigen Monaten dem Kreislauf der anderen Karten zugeführt. Man könnte daher den Verdacht äußern, dies wäre ein zeitliches Pay2Win…allerdings nicht, wenn man so schlecht ist wie ich!

Marvel Snap ist ein kleiner Überraschungshit

Marvel Snap hat mich auf vielen Ebenen überrascht. Einerseits ist das zugrundeliegende Kartenspiel sehr gut, bringt ungemein viel Tiefe hinein und macht mir unheimlich viel Spaß. So ist eine Busfahrt schnell mal in Windeseile vorbei, wenn dort meine Katze Goose Galactus und andere Titanen des Marvel Universums in die Schranken weist. Andererseits ist der Support des Spiels gegenwärtig noch sehr aktiv, Probleme werden schnell behoben und kreative Lösungen gefunden (Tokenshop aktuell). 

Doch dann sind da die Free2play-Mechaniken, die mich auch weiterhin skeptisch machen. Ich hoffe, das Spiel bleibt in der gegenwärtigen Form. Die meisten Mechaniken zielen eher auf Dauermotivation ab und es ist möglich, auf Dauer ohne Bezahlen seinen Spaß zu haben. Ob man daher so groß über ein Damoklesschwert berichten muss, das stets über solchen Onlinespielen schwebt, finde ich müßig. Außer es nutzt im Spieldesign und Bezahlsystem unmoralische Kniffe. Und diese erkenne ich bei meinem Überraschungshit 2022 nicht.

Schnippisch auf PC und Samsung Galaxy A70 gespielt.