Ohne Spiele auf dem Weg zum Erfolg? Xbox in 2022

Vor exakt zwei Jahren habe ich mich bereits mit der schwierigen Ausgangslage für Microsofts Xbox Series X auseinandergesetzt und allerlei Ratschläge formuliert, um die Konsole zum Erfolg zu führen – oder zumindest aus der Identitätskrise heraus. Heute, eine Pandemie später, bietet es sich an, einerseits auf den Status Quo von damals zurückzublicken, aber auch einen Blick in die Zukunft zu werfen. Was ist übrig geblieben von den großen Ambitionen?

Phil Spencers Zukunftsvision beschrieb ich damals als Dreiklang aus Spieleflut, Xbox als Service und der damit einhergehenden Abkehr vom klassischen Generationsdenken. Letzteres hat man vor allem mit dem Smart Delivery-System ziemlich effektiv umgesetzt. Viele Spiele erscheinen derzeit noch sowohl für die aktuelle Series-, als auch für die alten One-Plattformen. Trotzdem wird, ganz ohne Zutun vom Spieler, stets die beste Version für das eigene System ausgewählt und installiert. Die Konsole erkennt automatisch die besten Einstellungen für euer Endgerät und lässt euch keine Zeit damit verschwenden, Inhalte oder Speicherstände manuell herunterzuladen. Nicht zu vernachlässigen ist zudem die mittlerweile breit verfügbare Cloud, die es euch sogar ermöglicht aktuelle Spiele auf Mobilgeräten, eurer Xbox One oder neuerdings sogar direkt auf dem Samsung Smart TV zu spielen. Zwar ist die Verfügbarkeit von Games und Gameplayqualität (noch) nicht auf einem Level mit der klassischen Hardware, aber der Schritt weg vom Erscheinungsrhythmus neuer Konsolen, die das Vorgängermodell quasi obsolet machen, ist getan.

Gamepass als neues Zugpferd
Der Servicegedanke wird mit dem immer eindrucksvolleren Gamepass unter Beweis gestellt. Die alljährliche Pressekonferenz im Sommer stellt nicht länger Konsolenexklusivität in den Vordergrund, sondern prahlt stattdessen mit den großen Titeln, die direkt in Microsofts Bibliothek erscheinen. Statt sich abzukapseln und Schranken in Form von konkreter Hardware um die eigenen Produkte zu errichten, bietet Microsoft lieber das Abomodell zum unschlagbaren Probierpreis auf möglichst vielen Endgeräten an. Obwohl man stets betont, dass Gamepass bereits jetzt wirtschaftlich erfolgreich ist, stellt sich mir die Frage, wie genau Microsoft diesen Service auf Dauer aufrechterhalten kann. Sei es drum, die Endnutzer freuen sich über das reichhaltige Angebot und viele dürften vom Prinzip des zwanglosen Spielens überzeugt worden sein.

Der Treibstoff fehlt
Obwohl zwei von drei Vorhaben auf einem guten Weg sind, bleibt Skepsis beim dritten und wahrscheinlich wichtigsten Aspekt: Die Versorgung mit Spielen. Was hat sich hier in den letzten zwei Jahren getan? Ist die erhoffte „Quantitäts- und Qualitätsoffensive“ eingetreten? Von Halo Infinite habe ich mir einen echten Brecher erhofft; ein Spiel, das „mit Recht seinen Status als Aushängeschild der Konsole behalten darf“. Der Ego-Shooter war zwar insgesamt ein gutes Spiel, aber die großen Erwartungen wurden nicht erfüllt. Gerade in den Monaten seit Release hat sich 343 Industries schwer damit getan, den Wunsch der Fans nach neuen Inhalten nachzukommen und grundlegende Probleme mit der Online-Komponente zu beheben. Für die nahe Zukunft stehen einige signifikante Updates an, sodass ich den Titel noch nicht gänzlich abgeschrieben habe. Das Momentum wurde aber nicht genutzt, wie die sinkenden Spielerzahlen und ansteigender Frust seit Release beweisen. 2020 erwähnte ich auch Everwild von Rare, das seitdem in der Versenkung verschwand. Das gewünschte neue Forza von Turn 10 hingegen wurde vor wenigen Wochen enthüllt und sieht tatsächlich eindrucksvoll aus – erscheint aber nun voraussichtlich erst knapp drei Jahre nach Veröffentlichung des Artikels im Frühjahr 2023. Immerhin wurde das Fable-Reboot wie erwartet enthüllt – bisher aber nur mit einem nichtssagenden CGI-Teaser ohne konkrete News. Genauso erging es dem, damals noch mysteriösen, Projekt von The Initiative, das sich zwischenzeitlich als Perfect Dark-Reboot entpuppte. Seit dem Trailer von Ende 2020 herrscht Funkstille.

Hoffnung machen Obsidian Entertainment, die sowohl große RPGs in Aussicht gestellt haben als auch mit Pentiment und Grounded zwei vielversprechende Titel schon in Kürze veröffentlichen. Ebenfalls mausert sich Senua’s Saga zu einem vielversprechenden Titel, der mit echtem Gameplay-Material aufwartete, aber einen Release-Termin schuldig bleibt. Trotz dieses eher ernüchternden Rückblicks gibt es auch positive Entwicklungen zu vermelden. 2021 war ein starkes Jahr für Xbox hauseigenes Spieleangebot. Psychonauts 2 durfte sich auf den Game Awards mit echten Hochkarätern messen, die Neuauflage des Flugsimulators ist wahnsinnig eindrucksvoll und auch Forza Horizon 5 lieferte die gewünschte Qualität ab und war sogar eines der am besten bewerteten Spiele im vergangenen Jahr.

Von Halo Infinite habe ich mir einen echten Brecher erhofft; ein Spiel, das ‚mit Recht seinen Status als Aushängeschild der Konsole behalten darf‘.

Was bringt die Zukunft?
2022 sieht hingegen sowohl gemessen am eigenen Output vom Vorjahr als auch im direkten Vergleich mit der Konkurrenz von Sony und Nintendo fürchterlich schwach aus. Zwar erscheinen ein paar kleinere Titel (bspw. As Dusk Falls, Grounded und Pentiment), aber echte eigene Triple-A-Kracher bleibt uns Microsoft schuldig. Das liegt auch an den enttäuschenden kurzfristigen Verschiebungen von Bethesdas Starfield und Redfall. Stattdessen erschien, durch bestehende Verträge erzwungenermaßen, mit GhostWire: Tokyo sogar noch ein First Party-Spiel ausschließlich für die Konkurrenz – ohne offizielles Statement ob und wann auch Xboxler zocken dürfen. Angesichts des schwachen Jahres reibt das noch zusätzliches Salz in die Wunden des über viele Jahre geschundenen Fans.


2020 habe ich mich bereits einer Metapher von Phil Spencer am Lenkrad eines Fahrzeugs bedient. Zum Abschluss möchte ich darauf zurückkommen: Trotz des Kaufs von vielen Studios und gigantischen Publishern wie Bethesda und Activision, kommt Microsoft schwerer voran als möglich wäre. Ja, am Horizont warten viele vielversprechende Titel. Ja, die neue Strategie ist eindeutig geworden. Trotzdem benötigt Xbox die großen Spiele als Treibstoff. Es reicht nicht, alle paar Monate und meist am Jahresende aufzutanken. Gerade wer viele Milliarden in sein Gefährt steckt, sollte stattdessen darauf achten regelmäßig, kontinuierlich und rechtzeitig den Tank zu füllen, sonst bleibt man auf der Strecke und sieht die Konkurrenz davonfahren. Ich hoffe, dass ich in 2024 endlich über etwas anderes schreiben kann als den mangelnden Spieleoutput von Xbox.