Martha is Dead (Review)

Artwork Martha is Dead

Einige Videospiele sind nicht nur rein zum Vergnügen da, sollen wollen auf interaktive Weise Wissen vermitteln. Solche Serious Games haben oftmals einen Bildungs-technischen Hintergrund und verzahnen spielerische sowie pädagogische Inhalte miteinander. Das Adventure The Town of Light war vor einigen nicht gänzlich dafür gedacht, um didaktisch hochwertige Inhalte zu vermitteln. Dennoch schaffte es der Titel, ein eher unbeleuchtetes Kapitel der Psychiatrie-Geschichte mit einer persönlichen Note zu versehen. Waren allerdings damals noch die Horror-Elemente spärlich besetzt, bringt LKA Games dieser Tage mit Martha is Dead ein reinrassiges Horror-Adventure auf den Markt. Leider konnte mich das Spiel nicht so begeistern, wie deren Erstlingswerk.

Tote Schwestern und andere Gefahren in Martha is Dead

Wir schreiben das Jahr 1944. Der Weltkrieg ist bis in die entferntesten Winkel Italiens vorgedrungen und die Resistenza versucht die nationalsozialistische Besatzungsmacht zu dezimieren. Mittendrin befinden sich Giulia und Martha, Zwillinge und Töchter eines deutschen Wehrmacht-Kommandanten mit einer italienischen Einheimischen. Wir schlüpfen in die Rolle von Giulia, die unbeschwert ihre Zeit damit verbringt, Fotos von der Umgebung zu machen. Eines Tages treibt allerdings die Leiche einer jungen Frau im nahegelegenen See – ihre gehörlose Schwester Martha. Doch da hört das Unglück nicht auf, denn ihre Eltern halten nicht Martha, sondern Giulia für die Tote. Und Giulia selbst korrigiert, komplett aus der Bahn geworfen, ihre Eltern nicht.

Fortan muss Giulia mit der Identität ihrer Schwester leben, während gleichzeitig die Vorbereitungen von Marthas Beerdigung als Giulia anstehen. Doch etwas ist faul an ihrem Tod. Giulia versucht daher, der Wahrheit auf die Spur zu kommen und stellt selber Ermittlungen an. Probleme in der Familie, wachsende Zweifel an Martha-Giulias geistiger Gesundheit und ein Abenteuer zwischen Rebellen und Besatzern sind dabei nicht die einzigen Hindernisse auf ihrem Weg. Auch die Legende der Weißen Frau vom See stellt eine Bedrohung für Giulia und ihre Zukunft dar.

Welche Geheimnisse umranken den Tod von Giulias Zwillingsschwester Martha?

Martha is Dead versucht viele unterschiedliche Plotebenen miteinander in Einklang zu bringen. Persönliches und psychologisches Drama einerseits, historische und übernatürliche Begebenheiten andererseits. Ein wenig erinnert mich Martha is Dead daher an den Film Pan’s Labyrinth, der ähnliche Themen anschneidet. Leider klappt in Martha is Dead die Verzahnung dieser Ebenen beileibe nicht so gut wie in meinem assoziierten Film. Stattdessen springt die Handlung sehr stark, gerade weil die Motivation von Giulia als Hauptcharakter an mancher Stelle erzwungen erscheint. 

Von wirren Stories, unerwarteten Wendungen und ein winziger Prise Horror

Diese sprunghaften Momente haben zur Folge, dass sich die Tage der Erzählung sehr fragmenthaft anfühlen. Das Pacing wird auf diese Weise oft unterbrochen und ein wirklich intensives Gefühl der Bedrohung und des Schreckens will sich nicht wirklich einstellen. Martha is Dead benutzt zwar etliche Szenen und teilweise wundervoll abstrakte Bilder des Wahnsinns, die in Erinnerung bleiben. Für das Genre fehlt aber leider ein wenig die Anspannung, die ein gutes Horrorspiel erzeugen will.

Es fällt mir allerdings sehr schwer, die gesamte Story von Martha is Dead in das rechte Licht zu rücken. Grund hierfür sind Enthüllungen gegen Ende des Spiels, die stellenweise das gesamte Geschehen auf den Kopf stellen und Fragen aus der ersten Hälfte des Spiels auf unerwartete Weise aufklärt. An der Stelle will ich nicht spoilern, da dieser Aspekt das Spiel meiner Ansicht nach aufwertet. Es ist allerdings sehr schade, wenn die Präsentation der Geschichte dieser nicht ansatzweise gerecht werden kann. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass diese Aufklärung der Ereignisse nicht allen Spieler:innen gefallen wird.

Fotografieren ist eine wahre Freude – nur leider zu selten genutzt

Ebenso missfallen dürfte Einigen das Thema Martha is Dead auf PlayStation. Erst vor wenigen Wochen enthüllte Wired Productions, dass sich die Handelsfassung verzögert, da inhaltliche Korrekturen vorgenommen werden mussten. Diese beinhalten zwei Szenen, die nicht interaktiv sind, sowie eine Szene mit fehlender Textzeile. Diese Änderungen sind marginal und den Aufschrei, den es im Vorfeld stellenweise gab, nicht wert. Gerade wenn man bedenkt, welch groteske Bilder Martha is Dead ansonsten zu bieten hat.

Gefallen hat mir allerdings die Option, selber wählen zu dürfen zwischen einer zensierten und unzensierten Präsentation beim Start des Spiels. Nicht so optimal wie Content-Warnungen, aber dennoch hilfreich für Menschen, denen gewisse Inhalte zu schneidend geraten.

Einmal lächeln bitte, lieber Geist!

Doch genug von meinem Storyfetisch und auf in das zweite, große Element des Gamedesign: das Gameplay. Wir steuern in Martha is Dead die mittlerweile als Martha genannte Giulia (nicht so verwirrend, wie es klingt) aus der Ego-Perspektive. Uns steht dabei die Familienvilla der Mutter sowie die nähere Umgebung zur Erkundung frei. Abseits von vereinzelten, in der Story wichtigen Momenten steht die gesamte Umgebung zur Verfügung. Zudem schalten sich mit jedem Tag, der vergeht, neue Bereiche frei.

Martha is Dead spielt sich dabei wie ein handelsübliches Adventure. Wir erkunden die Level, interagieren mit manchen Objekten und stecken diese bei Bedarf ins Inventar. Sehr früh erhalten wir eine Fotokamera, mit der wir an besonderen Stellen Fotos aufnehmen können. Diese müssen wir allerdings in der Dunkelkammer Schritt für Schritt selber entwickeln. Das bedeutet, an einem Apparat die richtigen Einstellungen fixen, im Wasserbad auf das richtige Timing achten. Und schon sehen wir, ob unser Objekt der Begierde auch ein gutes Fotomotiv gewesen ist. Mir hat dieser sehr simple Loop aus Fotos aufnehmen und selber entwickeln sehr gefallen. Leider ist dieser viel zu selten und bietet dem Horrortitel kein festes Gameplay-Fundament, auf dem sich das Spiel selber entfalten kann.

Bewegtbild-Gif von Martha is Dead

Morsen, was das Zeug hält

Ähnlich sieht es bei den anderen Elementen des Gameplays aus. Echte Rätsel haben wir beispielsweise nur in ausgewählten Segmenten des Spiels zu lösen, die sich wiederholen. Sehr nett ist die Idee, dass Giulia an einem versteckten Fernschreiber wichtige Nachrichten in Morsecode kodieren und dekodieren muss. Ärgerlich waren diese Szenen nur, weil sich technisch das ein oder andere Problem einschlich.

Zudem taucht im letzten Part ein weiteres Element auf, in denen Giulia Szenen aus der Vergangenheit an einem Puppenhaus rekapitulieren lassen will. Diese Szenen sehen gut aus, der Puppenstil zieht sich als Thema häufig durch Martha is Dead. Hier geht es für uns darum, die Erinnerungen korrekt wiederzugeben und aus den bisher entdeckten Dingen den richtigen Ablauf einzustellen. Wer im Verlauf des Spiels aufgepasst hat, dürfte daher wenige Probleme bekommen, die korrekten Eingaben zu machen. Leider ist aber der endgültige Pfad, den diese Sequenzen nehmen sollen, teilweise so willkürlich, dass wir mehrmals beginnen müssen. Und das bedeutet, noch einmal von vorne beginnen und die sehr langsam aufbauende Szene nach und nach zu wiederholen. Gerade im Finale meiner Ansicht nach ein extremer Bruch im Pacing von Martha is Dead.

Der “wahre” Horror von Martha is Dead

Als ich vor einigen Jahren The Town of Light gespielt habe, gab es auf der PlayStation 4 immer wieder zahlreiche Framerate-Einbrüche. Doch abseits dessen war es ein recht ansehnliches und stabiles Adventure. Martha is Dead ist ebenfalls sehr ansehnlich und hat einige, sehr detaillierte Modelle und vor allem Landschaftsaufnahmen zu bieten. Leider ist das Spiel auf PlayStation 5 dennoch das Opfer zahlreicher Makel geworden, die den Spielspaß trüben.

Screenshot aus Martha is Dead
Wundervolle Optik, interessante Idee, zähes Spielelement

Ein großer Aspekt, der mir schon früh missfiel, war der Einsatz der adaptiven Trigger. Bei jeder einzelnen Interaktion wirkte ein Widerstand, ohne jegliche Nuancen je nach Schwere der jeweiligen Tätigkeit. Auf Dauer fand ich diesen Widerstand leider sehr störend. Dies war aber zum Glück kein Grund für mich, nachtragend zum Spiel zu sein. Schlimmer waren da eher die sehr miesen Bugs innerhalb vereinzelter Abschnitte, die meine Steuerung unmöglich gemacht haben. In den bereits erwähnten Codiersequenzen beispielsweise müssen wir durch unterschiedliches Drücken der Kreuztaste morsen. Es ist allerdings sehr häufig vorgekommen, dass die Eingaben nicht richtig erkannt werden und ein Vorankommen daher unmöglich war. Neuladen des Speicherstandes war die Folge. Und solche kleineren Bugs wie ausgefallene Lichtquellen oder andere Scherereien gab es immer wieder.

Gleichzeitig ist der Klang des Spiels auf mehreren Ebenen kein Genuß für die Ohren gewesen. Musik ist eher besänftigend, als bedrohlich in manchen Sequenzen. Und das Audiodesign mancher Sequenzen  wirkte eher unfreiwillig komisch. Eine Wanderung durch den düsteren Wald beispielsweise hat ein sehr seltsames, verfremdetes Geräusch, was an eine unheimliche Kreatur erinnern soll – oder zumindest mich daran erinnerte. Die stete Wiederholung war allerdings alles andere als furchteinflößend. 

Eher gelangweilt, als seltsam und verfremdet waren hingegen die Synchronsprecher. Egal ob auf Deutsch oder Englisch – kein Charakter abseits von Giulia schien seiner Rolle und den jeweiligen Momenten gerecht zu werden. Auf diese Weise wirkte manche Szene eher komisch, als dramatisch, wenn Charaktere die zugegebenermaßen nicht wirklich ausgefeilten Dialoge zum Besten gaben.

Viel Liebe, aber auch viel Frust

Martha is Dead kann von Glück sagen, dass ich einen Platz in meinem Herzen für solch eine Art von abstrakter Stories reserviert habe. Ich fand die Handlung trotz ihres zähen Pacings und der Sprünge recht interessant. Zudem sind die verstörenden Bilder, die nicht jedem Magen gut tun werden, sehr abstrakt und kreativ. Das Adventure-Gameplay ist solide und gerade das Fotografieren und Entwickeln hat mir viel Spaß gemacht. Und da die Optik abgesehen von manchem Ruckler sehr ansehnlich ist, macht das Spiel einiges an Boden gut.

Diesen Vorsprung braucht es auch, um guten Gewissens Freunden abstrakter Mysterygeschichten Martha is Dead empfehlen zu können. Denn Horror findet man hier nur spärlich wieder, während gleichzeitig die gesamte Akustik des Spiels nie eine dichte Atmosphäre aufkommen lassen. Es hilft auch nicht gerade, dass einige Bugs den Spielspaß dauerhaft trüben können, weil Steuerung oder Optik dermaßen eingeschränkt werden, dass jeder Fortschritt schwierig wird. Sehr schade, denn Martha is Dead könnte ein echter Geheimtipp sein, wenn Game Direction und technische Qualitätskontrolle ein wenig aufmerksamer gewesen wären.

Getestet auf PlayStation 5. Ein herzlicher Dank geht an Wired Productions für die Bereitstellung des Mustercodes..