Vesper (Review)

Artwork zu Vesper. Rechts mittig befindet sich das weiße Logo auf schwarzem Hintergrund. Links steht unten der Protagonist Seven, in dessen Hintergrund sieht man die Umrisse einer großen bedrohlichen Monstrosität.

Die Science-Fiction hat bereits viele apokalyptischen Erzählungen erlebt und überlebt, in der Roboter und Androiden zentraler Bestandteil der Welt sind. Umso mehr brauchen Spiele wie der Puzzle-Plattformer Vesper andere hervorstechende Merkmale, um aus der Masse hervorzustechen. Dem italienischen Entwicklerstudio Cordens Interactive gelang dies mit seinem visuell eindrucksvollen Artstyle – einem wilden Cocktail aus Limbo und Farbkontraststudie. Da ich Indie-Titel sehr gerne mag und Science-Fiction in der Regel zu meinen favorisierten Genres der Literatur gehört, haben wir Vesper zu uns ins Village eingeladen und geschaut, ob mehr unter dessen hübscher Haube steckt.

Bedrückende Atmosphäre im Vesper

Als würde es bei vielen apokalyptischen Geschichten zum guten Ton gehören, beginnt Vesper mit einem Prolog, in dem wir mittendrin die Katastrophe erleben. Als namenloser Androide fliehen wir vor einem ominösen Bösen, während um uns herum Tempel zusammenbrechen und andere Androiden erschossen werden. Nur mit Müh und Not können wir eine Rettungskapsel aktivieren, welche auf einen benachbarten Planeten zusteuert und dort abstürzt..

Doch der Absturz ist erst der Anfang und anschließend beginnt Vesper erst richtig. In der Gestalt des Androiden Seven, der aus einem Raumschiffwrack klettert, erkunden wir fortan den uns unbekannten Planeten. Angetrieben von einem Instinkt fliehen wir vor feindlichen Androiden und versuchen die Ordnung im Chaos der Welt wiederherzustellen. Um erfolgreich zu sein, müssen Seven und wir lernen die Energie des Lichtes, die jedem Wesen innewohnt, zu nutzen. Nur so können wir der Korruption der bösen Roboter sowie dem alles verschlingenden Zero Light entgegentreten.

Screenshot aus Vesper. In der Mitte steht eine Sanduhr-förmige Apparatur, aus deren Zentrum ein helles Licht ausstrahlt. Unten steht die kleine Figur des Roboters. Links und rechts von der Apparatur sieht man zwei größere Roboter auf einem Thron in der Luft schwebend.
Der kleine, namenlose Roboter im Prolog versucht irgendwie die Katastrophe abzuwenden

Vesper erzählt eine düstere Heldengeschichte in einer futuristischen und sehr eindrucksvollen Welt. Dies geschieht in der Regel durch das Leveldesign selbst oder sammelbare Logs, die uns einen Blick auf die Vergangenheit gewähren. Dialogzeilen sind eher spärlich verteilt. Einige Male plagen Seven zudem Erinnerungen an eine andere Zeit, in der die Schöpfer der Roboter den Planeten verlassen und ihre mechanischen Kinder zurückgelassen haben. In solchen kurzen Szenen können wir Seven steuern, aber ansonsten nicht mit der Welt interagieren.

Eine Hommage an die Klassiker

Die Designer des Spiels haben ein großes Augenmerk auf die visuelle Wucht des Spiels gelegt, um der Geschichte eine nachhallende und eindrückliche Atmosphäre zu verleihen. Dies gelingt die meiste Zeit sehr gut, unterstützt vom sehr intensiven Soundtrack und Sounddesign. Hin und wieder greift man hingegen darauf zurück, uns durch mehrere Bildschirme der Levels zu leiten, in der sich keine Interaktionen oder spielerische Elemente befinden. An diesen Stellen verlässt sich Cordens Interactive zu sehr auf sein narratives Leveldesign und bietet für sein sehr langsames Pacing zu wenig Inhalt.

Das Entwicklerstudio hinter Vesper bezeichnet ihr Projekt selbst als Hommage an die Rätselplattformer der 90er Jahre. Damals haben Titel wie Oddworld: Abe’s Oddysee oder Heart of Darkness viele Spieler in ihren Bann gezogen und ein solches Spiel wollten die Italiener:innen mit Vesper entwickeln. Spielerisch ist ihnen dieses Vorhaben eindeutig gelungen. Unser Held Seven läuft durch zumeist lineare Abschnitte von Bildschirm zu Bildschirm, umgeht Feinde, löst Rätsel und überwindet kurze Platforming-Passagen. In insgesamt fünf Kapiteln stehen immer wieder neue Fertigkeiten und Ideen im Vordergrund, die das Spieldesign dominieren. 

Screenshot aus Vesper. Darstellung eines speziellen Rätsels. Hintergrund ist in orangefarbenes Licht getaucht.
Laser, Respawnpunkte, Gegner, Licht und mehr erzeugen viele kreative, aber leichte Rätsel

Still und heimlich gegen die tickende Uhr

Kern des Spiels sind eindeutig seine Rätselbildschirme. Während zu Beginn unsere Möglichkeiten eingeschränkt sind, gibt es für uns nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir verstecken uns in dunklen Gräsern und beobachten die Wegrouten unserer Feinde. Oder wir nutzen das richtige Timing für die Flucht, um erfolgreich anrauschenden Gegnern zu entkommen. 

Recht schnell gelangen wir in den Besitz der Drive-Gun, einer prinzipiell harmlosen Waffe. Mit dieser Waffe absorbieren wir Lichtenergie und aktivieren so Schalter oder Lampen, um Wege freizuschalten oder das Zero Light einzudämmen. Zusätzlich können wir mit dieser Energie die Kontrolle über Gegner übernehmen, um spezielle Schalter zu aktivieren und andere Hindernisse zu überwinden. Sobald wir fertig sind, aktivieren wir die Selbstzerstörung des Gegners und können so unseren Weg fortsetzen.

Die Rätsel von Vesper sind in der Regel nicht anspruchsvoll und wir können anhand von Ziffern, Gegnern und anderen Elementen schnell zu einer Lösung kommen. Die Elemente bauen später auch aufeinander auf, aber die wirklich Schwierigkeit wird durch das richtige Timing aufgebaut. Uns bleiben oftmals nur wenige Momente, um eine Situation zu überblicken, die sich über mehrere Bildschirme erstreckt. Unter Druck durch Gegner und Zero Light stehend und ohne eine vollständige Übersicht über unsere Optionen entstehen so schnell frustige Momente. 

Eine zähe Wanderschaft durch zerrüttete Ruinen

Ein großes Problem von Vesper bestand für mich allerdings nicht in der Form des Rätseldesign, sondern in den etwaigen Platforming-Abschnitten. Seven bewegt sich prinzipiell sehr langsam, weswegen auch bei Fluchtsequenzen das richtige Timing und eine Ideallinie notwendig sind. Dies erhöht zwar die Spannung auf narrativer Ebene, entwickelt aber so zu einer stellenweise zähen Angelegenheit.

Abseits vom Rennen bleibt aber nur noch ein sehr starrer Hüpfer übrig, um Hindernisse wie Lücken oder Minen zu überspringen. Dieser ist allerdings relativ niedrig, gerade genug um manche Kante darüber zu erreichen. Zudem ist er sehr kurz und es sind oftmals präzise Absprünge notwendig, um von einer Kante zur nächsten zu springen. Lücken sind derart platziert, dass wir oftmals nur sehr knapp ankommen und uns gerade so an der Kante festhalten. Dies bremst uns jäh ab und es kommt kaum eine fließende Bewegung zustande.

Screenshot einer Darstellung eines speziellen Rätsels. Hintergrund ist in blaues Licht getaucht, auf einer unteren Ebene sieht man eine schwarz pulsierende Barrikade aus Zero Light.
Dem Zero Light sollten wir nicht zu nahe kommen

Seven hält sich beinahe schon notorisch an jeder Kante fest, die er zu überspringen versucht. Das nahm sehr viel vom Pacing in entsprechenden Sequenzen heraus, egal ob ich unter Zeitdruck stand oder es sich lediglich um eine Wanderschaft durch das Level handelte. Leider erweist sich durch das Design der Level der Sprung in den auf Timing basierenden Fluchtpassagen als hinderlich. Oftmals sprang ich nur einen Augenblick zu früh ab, kaum erkennbar durch das sehr dunkle Artdesign der Level, weswegen ich die rettende Kante nicht mehr greifen konnte. Gerade das Entkommen vor dem Zero Light bietet aufgrund der lang zurückliegenden Checkpoints viel Potenzial für zähe Wiederholungen und Frust.

Alles wiederholt sich in einem ewigen Kreislauf des Lebens

Wenn man dann nach knapp 5 Stunden ans Ziel seiner Reise angelangt ist, offenbaren sich viele Dinge über die Welt. Ich möchte an dieser Stelle den Wünschen von Cordons Interactive entsprechen und nicht zu viel verraten. Ein zweiter Durchgang von Vesper ist allerdings notwendig, um alle Geheimnisse der gut geschriebenen Welt zu ergründen. Einerseits schaltet sich im zweiten Durchgang eine neue Fähigkeit der Drive-Gun frei, mit der sich Rätsel anders angehen lassen. Zudem erweitert sich das Spiel mit neuen Dialogzeilen, die hin und wieder eingeblendet werden. Und zu guter Letzt wartet ein großes Geheimnis am Ende auf uns, welches Aufmerksamkeit während des gesamten zweiten Durchlaufs erfordert.

Wem das Weltendesign und die atmosphärische Narrative zusagen, sollte diesem zweiten Durchgang eine Chance geben. Leider muss ich aber darauf hinweisen, dass sowohl die Fähigkeit unserer Waffe, als auch die Dialoge kaum einen Mehrwert darstellen. Die Narrative ergänzt sich nur spärlich und erweitert sich eher durch vorher verpasste Logs, als aus sich selbst heraus. Und die neue Fähigkeit, die zwar für das Ende des Spiels wichtig ist, hat spielerisch nur sehr wenige Auswirkungen auf das Leveldesign. Es gibt keine Änderungen bei den Rätseln, lediglich vereinzelte Elemente geben uns eine etwas freiere Wahl der Mittel. Die Lösung ist prinzipiell immer identisch und somit der zweite Durchgang in spielerischer Hinsicht redundant. Cordens Interactive hätte die neue Fähigkeit besser in das vorhandene Leveldesign integrieren müssen, sodass wir für das wahre Ende von Vesper auch spielerisch eine Herausforderung erhalten.

Ein schmaler Ampelgrad für Vesper

Nun sitze ich hier vor meinem Textdokument und schaue zurück auf nun knapp elf Stunden mit zwei Durchgängen. Vesper hat es mir sehr schwer gemacht und die mentale Ampel in meinem Kopf hat sich mehrmals von Grün auf Gelb und wieder zurückgestellt.

Screenshot aus Vesper. Darstellung eines Panorama vor einem Sonnenuntergangs. Links befindet sich der Protagonist des Spiels, rechts eine Statue eines Roboters. Der Hintergrund ist in orangefarbenen und blauen Tönen getaucht.
Wundervolle Farbarrangements wie diese finden sich in Vesper oftmals

Vesper hat einen unglaublich intensiven Artstyle, der Farben und Schwarzweiß-Kontraste gekonnt zu nutzen weiß, um eindrucksvolle Bilder zu zaubern. Das narrative Level- sowie Weltendesign ist ebenfalls richtig stark und weiß ausreichend Atmosphäre zu verteilen. Und das spielerische Fundament aus Rästeln und kleineren Plattforming-Sequenzen hat einige gute Ideen, die sich weiterentwickeln und aufeinander aufbauen. 

Leider hat mir Vesper immer wieder ein Bein gestellt, wodurch ich das Spiel nicht vollumfänglich genießen konnte. Viele Rätsel verbergen sich hinter zwei Bildschirmen und die Übersicht ist gerade unter Gegnerdruck schwierig. Die langsamen Bewegungen von Seven und die behäbigen Sprünge setzen zudem ein gutes Timing voraus. Dieses ist allerdings oftmals nur durch Trial-and-Error zu erlernen. Das unpräzise Platforming bei Fluchtsequenzen erhöht diesen Eindruck

Ausschlag hat dann allerdings der zweite Durchgang gegeben. Gerade für mich als Freund narrativer Momente in Videospielen sind die langen, linearen Pfade mit gutem Levelstorytelling stellenweise zu zäh und redundant in ihren Inhalten. Noch ärger stoßen mir die Ergänzungen im zweiten Durchgang auf, die das vorhandene Gameplay kaum erweitern und die Erfahrung von ganz wenigen Schlüsselmomenten abgesehen sich nicht unterscheidet. Hier hat Cordens Interactive ein wenig Feinschliff in einem insgesamt ansprechendem Spiel verpasst.

Getestet auf PC via Steam. Ein herzlicher Dank geht an Deck13 Interactive für die Bereitstellung des Mustercodes.