
Das Indie-Spiel Tinykin kombiniert gleich zwei meiner Lieblingsdinge im Videospielmarkt: 3D Jump & Runs und Pikmin. Grund genug, mir das Stil mit dem niedlichen Stil genauer anzuschauen und der Frage nachzugehen, wie diese beiden eigentlich sehr unterschiedlichen Spielkonzepte zusammengehen.
Der kleine raumreisende Mensch Milo ist auf der Erde gelandet, stellt aber erstaunt fest, dass die Erde in der Vergangenheit, im Jahr 1991, stecken geblieben ist. Zu allem Überfluss ist er auch viel zu klein, um sich in dem Haus, in dem er sich aufhält, komfortabel bewegen zu können. Alle Gegenstände sind augenscheinlich für riesige Menschen geschaffen worden, die sich allerdings nicht blicken lassen. Stattdessen trifft Milo auf farbige kleine Wuselwesen, die hinter ihm herlaufen, sobald er sie einmal berührt hat, und auf sein Kommando hören.

Tinykin sind farblich codiert und haben unterschiedliche Fähigkeiten. Rote Tinykin können sich in die Luft sprengen um bestimmte Objekte in der Spielwelt zu zerstören – sie sind damit auch die einzigen Tinykin, die im Spiel sterben können – violette Tinykin können Objekte durch die Gegend tragen und blaue Tinykin können Elektrizität leiten und somit genutzt werden, um elektrische Leitungen zu überbrücken. Grüne Tinykin können auf einem Turm gestapelt werden, an dem man wie an einer Ranke hochklettern und so hoch gelegene Orte erreichen kann und schließlich bilden gelbe Tinykin eine Brücke. In den einzelnen Levels kann man deutlich über hundert Tinykin finden, anders als bei PIkmin hat man aber keine Kontrolle darüber, welche Tinykin-Sorte man in welcher Zahl erhält. Da man aber Tinykin nicht im Kampf, sondern nur durch den Einsatz an hierzu designten Stellen verlieren kann, ist das auch eine sinnvolle Entscheidung. Dadurch haben die Entwickler die Möglichkeit, durch die Zahl der zur Verfügung stehenden Tinykin zu bestimmten Zeitpunkten den Spielablauf moderat zu kontrollieren.
Die sechs Level im Spiel spielt man zwar in linearer Abfolge mit dem Ziel, die Bauteile für ein Raumschiff zu finden, doch die Level selbst sind sehr offen gestaltet. Die meisten Level bestehen aus einer größeren Zahl an Teilaufgaben, die in beliebiger Reihenfolge erledigt werden müssen, um das Bauteil des jeweiligen Levels zu erhalten. Hierzu muss man vor allem die weitläufigen Level mit einem hohen Maß an Vertikalität ausgiebig erkunden und unzählige kleine Geheimnisse und Mechanismen entdecken, um Geheimareale zu erkunden. Die ganz große Stärke von Tinykin ist, dass die Level ihrer Größe zum Trotz randvoll gepackt mit Geheimnissen sind und die Entwickler ihrer Kreativität freies Spiel gelassen haben hinsichtlich der Interaktion mit der Welt im XXL-Format.

Im Kontrast dazu ist die Hüpfspielmechanik wenig interessant. Milo kann nur laufen, springen und ein Stück weit schweben und der Sprung ist obendrein nicht sonderlich hoch. Nur selten im Spiel wird das Geschick des Spielers überhaupt nennenswert auf das Spiel gesetzt und selbst die kniffligsten Sprungpassagen sind weitgehend Standardkost. Hinzu kommt, dass die Tinykin ihrer Ähnlichkeit zu den Pikmin zum Trotz keinerlei strategische Tiefe bieten. Das Spiel wählt kontextsensitiv an jeder Stelle den passenden Tinykin automatisch aus und ob ein Einsatz von Tinykin von Erfolg gekrönt ist, hängt schlicht davon ab, ob man die richtige Zahl an Tinykin hat, um die Aufgabe zu lösen. Dadurch, dass man für die Transport-Tinykin schrittweise den Weg mit anderen Tinykin freilegen muss, ist Parallelität nur äußerst selten überhaupt möglich. Leider bedeutet das auch, dass man gemessen an der Spielzeit des Spiels verhältnismäßig viel Zeit damit zubringt, auf Transport-Tinykin zu warten und ihnen als Brückenbauer den Weg zu bereiten.
Tinykin ist ein sehr sympathisches und ungewöhnliches Jump & Run, das insbesondere im Hinblick auf den Erkundungsdrang strahlen kann. Darüber hinaus ist es aus spielmechanischer Sicht aber leider etwas belanglos und nutzt die Stärken der kombinierten Genres nur sehr eingeschränkt. Insofern ist Tinykin zwar eine gute Wahl für erkundungsfreudige Spieler, bleibt aber auch leider merklich unter seinen Möglichkeiten. Ein Wort noch zu den getesteten Versionen: Auf Xbox One X läuft Tinykin flüssig, während es auf Xbox Series X besser aussieht, aber auf Grund zusätzlicher Stoffeffekte nahe Teppichen massive Framerateprobleme bekommt. Wer die Wahl hat, dem empfehle ich, das Spiel auf Xbox One X oder Xbox Series S zu spielen.

Getestet auf Xbox One X und Xbox Series X.