Exographer (Review)

Artwork zu Exographer

Es gibt so viele schmerzhafte Erfahrungen im Leben, die man ungern ein zweites Mal machen möchte. Auf Herdplatte fassen zum Beispiel. Oder mitten im griechischen Hinterland den letzten Bus zum Hotel verpassen. Oder einem Spiel, was man wirklich gerne hat, eine schlechte Wertung verleihen. Vor vielen Jahren musste ich dies bei Watch_Dogs, als Ubisoft es nach etlichen Monaten endlich schaffte, eine miserable Wii U-Version herauszubringen. Und jetzt geschieht dies bei Exographer ein zweites Mal, dabei war ich Anfang September noch so (verhalten) euphorisch. Was zur Hölle ist passiert?

Exographer und der atomisierte Ersteindruck

Ein wenig lässt sich die Frage genauso beantworten wie einst beim Ubisoft Actioner. Dabei begann meine Reise in die wissenschaftliche Welt von Exographer bereits bei der Demo sehr erfreulich. Mir gefiel der wunderschöne Pixel-Stil sehr und die Prämisse, dass sich das gesamte Spiel gewaltfrei rund um die Wissenschaft dreht, fand ich ansprechend. Aber ich war nach meinem Anspielen verhalten optimistisch, aber naturgegeben auch skeptisch. Nach knapp zehn Spielstunden mit einem freiwilligen und einem unfreiwilligen Beginn kann ich sagen, dass meine Skepsis weitestgehend unbegründet war. 

Doch zurück an den Anfang, denn eine weit entfernte Akademie brauchte unsere Hilfe! Irgendwas fürchterliches ist dort vorgefallen, weshalb die Exographer – eine multidimensionale Sondereinheit – uns hinschicken, um der Gefahr auf den Grund zu gehen. Und wie so oft ist es die Hybris der Wissenschaft gewesen, welche die Einwohner der Akademie beinahe komplett ausgelöscht hätte.

Screenshot aus Exographer
Informationen über Informationen

In der Akademie angekommen, realisieren wir nämlich sehr schnell, dass die seltsame Materie in der Luft uns vor zahlreiche Probleme stellen wird. Irgendein Experiment muss diese freigesetzt haben und selbstverständlich ist es unsere Aufgabe, die Auswirkungen umzukehren. Viel mehr Plot hat Exographer prinzipiell nicht zu bieten, dafür überzeugt das 2D-Metroidvania mit einem richtig guten Worldbuilding. Sowohl das visuelle Leveldesign, als auch auffindbare Lore-Informationen sowie die Rätselhinweise geben uns einen fantastischen Einblick hinter die Köpfe der Akademie. Ich fühlte mich hier immer wieder an die Nomai aus Outer Wilds erinnert, für die Wissenschaft und Logik das höchste Gut schlechthin waren. Mit mehr oder weniger ähnlichen Ergebnissen wie hier in Exographer.

Im glanzvollen Namen der Wissenschaft

Doch auch als Exographer ist uns Wissenschaft definitiv nicht fremd. Um der seltsamen Materie in der Akademie Herr zu werden, müssen wir einzelne Elementarteilchen in den Laboren und anderen Einrichtungen analysieren. Zu diesem Zweck erhalten wir zu Beginn ein Notebook, in dem wir alle gesammelten Informationen sammeln können. Es dient uns somit gleichermaßen als Übersicht für die Rätsel, als Lore-Nachschlagewerk, aber auch mit seiner Kamerafunktion als Speicher- und Teleportationsmodul sowie später als Karte. Ganz schöner Tausendsassa, dieses Notebook!

Die wichtigste Funktion ist sicherlich das Foto-Feature. Mit einem Knopfdruck macht das Notebook einen Snapshot der aktuellen Situation, was in gewisser Weise auch als letzter Speicherpunkt dient. Macht ihr einen Snapshot im richtigen Moment und begeht dann einen tödlichen Fehler, könnt ihr zu dem Zeitpunkt des Fotos zurückreisen. Macht ihr es im falschen Moment…

…müsst ihr einen zweiten Durchgang starten. Ich besaß Exographer bereits weit vor Release und hatte ungefähr viereinhalb Stunden viel Spaß. Doch dann geschah es: Ich starb und mein Snapshot teleportierte mich in der Zeit zurück – exakt auf den Moment und Ort, als eine Tür zuging. Fortan war ich im physischen Objekt der Tür fest geclippt, konnte nicht vor, nicht zurück. Springen ging, aber nur auf Höhe der Tür. Meine Spielfigur war somit nicht mobil.

In der Theorie hätte es helfen sollen, andere Fotos zu benutzen. Statt Schnellreise dienen für Lore oder Rätsel aufgenommene Fotos als Teleportationspunkte. Also aus der Tür teleportiert und wieder zurück…wo dann die Logik der Tür komplett kaputt war. Statt sich zu öffnen, schloss sie sich, als ich näher kam. Ich kam nicht mehr vorbei. Das Spiel war somit zu Ende…

Ein zweiter Durchgang ließ mich Exographer noch mehr lieben

Ich wartete also auf den Release und habe gehofft, dass ein Day-One-Patch die Angelegenheit bereinigen würde. Es gab auch ein Update am Releasetag…allerdings löschte dieser meinen Speicherstand und ich musste noch einmal von vorne beginnen. Was zum Glück meinem Spielspaß wenig Abbruch tat, da die einzelnen Systeme von Exographer mir erst durch die Wiederholung so richtig ins Blut überging (Ha, eine Lehre fürs Lernen an sich!).

Neben den Snapshots können Fotos auch genutzt werden, um die einzelnen Seiten des Notebooks zu füllen. In der Regel sind dies die einzelnen Rätselgebiete, die es aufzusuchen gilt. Aber auch Lore-Fetzen zu den einzelnen Einwohnern lassen sich hier aufspüren. Haben wir nämlich eine solche Einwohner-Seite freigeschaltet, müssen wir die schematisch dargestellten Objekte wiederfinden und an diesem Ort ein Foto aufnehmen. Im Grunde sind diese Foto-Hotspots der hauptsächliche Sammelgegenstand neben all denen, die für einen Fortschritt in der Spielwelt notwendig sind.

Screenshot aus Exographer
Irgendwann wird selbst die seltsame Materie uns Untertan!

Diese Spielwelt ist allerdings Metroidvania-untypisch eher linear gehalten. Sicherlich gibt es zu einem Gebiet zwei Eingänge, welche zu einem Loop im Pfad führen können. Doch das Vorankommen in dem jeweiligen Gebiet ist stets linearer Natur. Die Interkonnektivität von anderen Genrekollegen ist hier sehr sparsam eingesetzt.

Ganz im Gegensatz zu den vier seltsamen Materien, die sich in der Akademie ausgebreitet haben. Diese stellen das Genre-typische Hindernis dar, welche sich erst durch Ausrüstung umgehen lassen. So gibt es beispielsweise Gravitationsschuhe, mit denen wir auf zäher Masse laufen können oder einen temporären Schutzschirm, um festes Material durchdringen zu können. Auch wenn dies nach wenigen Herausforderungen klingt, schafft es Exographer über den Verlauf seiner am Ende dann doch sieben Spielstunden sehr gut, diese in komplexe Kombinationen für Plattforming und Rätseleinlagen zu bringen. 

Spannende Rätsel, solides Plattforming

Kern von Exographer ist die Analyse von Elementarteilchen. Wir erkunden die einzelnen Gebiete der Akademie Schritt für Schritt und rekonstruieren zumeist erst den jeweiligen Versuchsaufbau eines Bereiches. Dies kann in der Regel durch ein Schalter- oder Schieberätsel geschehen. Oder es steht ein kurzer Hindernisparkour bevor, der uns von der Analyse abhält. Wir scannen mit den Fotos einzelne Gerätschaften und erst wenn wir alle Informationen haben, überprüfen wir die Teilchen der Umgebung nach uns bisher unbekannten Teilchen.

Obwohl die Analysen eher seichter Natur sind, liebe ich sie. Wir bekommen ein Diagramm vorgesetzt, in das wir vereinzelte Karten einlegen können. Die Karten spiegeln wider, was sich an den jeweiligen Stellen befindet und wir müssen herausfinden, welche Karte wo reinkommt. Im späteren Verlauf können dies bis zu fünf Karten sein, die ihren Platz in mehr als zwanzig Leerstellen finden sollen. Allerdings bekam ich schnell ein Gespür dafür, welche Karte in welchem Bereich des Diagramms vorhanden sein müsste.

Grund dafür sind die mit der Zeit immer komplexeren Analysewerkzeuge. Mal sehen wir die Strömungen der Teilchen, deren Polarität oder andere Details, welche uns helfen sollen, das Diagramm zu entschlüsseln. Nur wenn alle Karten (in der deutschen Übersetzung übrigens immer noch Englisch als “cards” bezeichnet) richtig einsortiert werden, enthüllt sich ein neues Elementarteilchen. Dieses ist dann notwendig, um Ausrüstung nutzen zu können oder Türen zu öffnen.

Bewegtbild zu Exographer

Und am Ende doch noch Wermutstropfen…

Sollte man mehrere Versuche brauchen, um die richtigen Karten einzusetzen, gibt Exographer keine Tipps, sondern fragt uns, ob wir bei dieser Analyse eine Hilfestellung haben wollen. Dann bleiben die Karten, die korrekt einsortiert worden sind, an Ort und Stelle und wir müssen nur noch die falsche Karte finden. Dies weiß ich allerdings nicht, weil ich schlecht bin (Hättet ihr wohl gerne!). Ein Rätsel hat eine falsche Karte angezeigt. Die darauf enthaltenen Informationen befanden sich an keiner Stelle des gesamten Diagramms und ich musste mir den Weg mit Gewalt bahnen. Sehr unschön, gerade weil das Knobeln dieser Analysen ansonsten ungemein spaßig war.

Und an einer Stelle hatte ich Angst, dass ich noch ein drittes Mal neu starten musste. Erneut hat ein Snapshot mich vor eine Stelle katapultiert, die dann nicht mehr so reagiert hat, wie im ersten Versuch. Dies war ungemein frustrierend, gerade weil ich zu dem Zeitpunkt noch nicht an der Stelle war, die mich im ersten Durchgang ausgesperrt hatte.

Exographer und sein bedauerliches Endfazit

Zum Glück hat eine Teleportation in ein altes Gebiet ausgereicht. Zwar war mein “körperlicher Status” (glaubt mir, das macht Sinn) beim Betreten des problematischen Gebietes wieder so, wie ich es verlassen hatte. Doch die Interaktion zum Fortsetzen gelang. Und ich konnte das Ende von Exographer anschließend problemlos erleben.

Und doch bleiben dicke Wermutstropfen zurück. Ich habe – wenn mich Exographer hat in seine wissenschaftliche Welt eintauchen lassen – meine Stunden genossen. Die Rätsel sind clever, das Platforming ist selten, aber es passt sehr gut in den puzzligen Ton des Spiels. Und das Worldbuilding erst. Wenn ich mich an Outer Wilds positiv erinnert fühle, dann MUSS Exographer hier eine Kerbe bei mir einschlagen. Aber dann ist auf der anderen Seite das verhaltene Metroidvania-Design der Level. Und die Attentate auf meinen Spielfortschritt – einmal versucht, einmal gelungen – können nicht ungesühnt bleiben. Ich lege euch allen Exographer ans Herz, wenn ihr mal eine andere Art des gewaltfreien, aber dennoch spielerisch gehaltvollen Indies erleben wollt. Aber habt Acht, denn das Spiel kann unter seinen eigenen Ambitionen einbrechen.

Moleküle und Atome auf Steam Deck und PC analysiert. Ein herzlicher Dank geht an SciFun Games und Abylight Studios für die Bereitstellung eines Mustercodes.