
Gone Home und Tacoma von Fullbright zählen meiner Ansicht nach zu den besten Narrative Adventures, von vielen auch als Walking-Simulatoren verschrien. Gerade Erstgenanntes fand ich mit seiner kleinen, intimen Geschichte wundervoll. Das verwinkelte Elternhaus bot ungemein viele Geheimnisse. Tacoma hingegen baute eine interessante Sci-Fi-Geschichte auf, blieb aber seiner persönlichen Note treu. Die Spiele von Fullbright schafften es vielleicht nie mit den großen ihres Genres in einem Atemzug genannt zu werden, aber wer diese Art von Spielen mag, wurde fantastisch bedient. Ich mag diese Art von Spielen. Und daher war auch Open Roads bei mir im März ein heiß ersehnter Titel. Zweieinhalb Stunden zwischen Start und End Credits später ist davon nicht mehr allzu viel übrig.
Familiengeheimnisse á la Open Roads
Wie bei Fullbright üblich, ist auch Open Roads ein eher persönliches Abenteuer. Wobei dies hier auch nur ein Teil der Wahrheit ist, denn offiziell ist das Spiel unter dem Entwickler “The Open Roads Team” gelistet. Grund dafür sind etliche Vorfälle beim Studio während und vor der Entwicklungszeit. Studio-Gründer Steve Gaynor soll diverse Frauen durch toxische Verhaltensweisen drangsaliert und somit zum Rückzug aus dem Studio getrieben haben, wodurch sich die Entwicklung von Open Roads weiter verzögerte. Als dann 2021 von einstmals 20 Entwickler:innen nur noch 6 übrig waren und der mediale Druck größer wurde, trat Gaynor als Creative Lead des Spiels zurück. Open Roads wurde letzten Endes vom restlichen Team fernab von Gaynor und Fulbright fertiggestellt.
Prinzipiell sind solche Hintergründe nicht relevant für die Bewertung eines Spieles. Sie stecken allerdings einen kontextuellen Rahmen, um zu verstehen, warum Open Roads so ist, wie es geworden ist.

Wir begleiten in Open Roads die 16-Jährige Tess Devine, die ihrer Mutter Opal dabei hilft, das Haus ihrer Großmutter zu verkaufen. Auf dem Dachboden entdecken beide einen Koffer, versteckt in einem geheimen Fach, in dem sich ein Schlüssel befindet, sowie Hinweise auf eine verbotene Romanze zwischen der Großmutter und einem Unbekannten. Unsere Neugier ist geweckt! Wir bzw. Tess überreden Opal, diesem Hinweis nach und auf einen Road Trip durch das Land zu gehen.
Das Familiengeheimnis, welches sich über die einzelnen Kapitel erstreckte, gefiel mir…prinzipiell. Mehr und mehr deckt sich darüber auf, was es mit dem Unbekannten wirklich auf sich hat. Parallel dazu lernt auch Tess ihre Mutter von einer neuen Seite kennen. Doch während Gone Home, welches sich von der Erzählweise ideal vergleichen lässt, eine spannende und zuweilen erschreckende Narrative verfolgt, fehlt Open Roads jeglicher Impact. Dies liegt in erster Linie an den beiden Reisenden.
Mutter-Tochter Dynamik ohne Spin
Denn parallel zu den Geheimnissen rund um die Großmutter arbeiten auch Tess und Opal ihre familiäre Situation miteinander auf. Als Scheidungskind sitzt Tess zwischen den Stühlen und fühlt sich ihrer Mutter und ihrem Vater gleichermaßen hingezogen. Leider weiß sie nicht, warum die Ehe zu Bruch ging und welchen Schmerz Opal erfahren haben könnte. Dies führt dazu, dass Tess ihre eigenen Wünsche nur schwer zum Ausdruck bringen kann. Auch hier – “prinzipiell” interessant. Oder zumindest eine Grundlage, mit der wir arbeiten könnten. Doch alle Dramatik fokussiert sich auf einen einzelnen Dialog, der Aufbau dahin ist schleppend und die Auflösung ernüchternd unspektakulär.
Es hilft auch nicht, dass die Dynamik beider Frauen weitaus mehr wie die von zwei Freundinnen wirkt. Während Tess den aktiven Part übernimmt, muss Opal mehr oder weniger aus ihrer Schale herausgezogen werden. Gerade bei zahlreichen Dialogen über gefundene Erinnerungsstücke wirken die Verhältnisse nicht allzu deutlich und vielmehr oberflächlich. Zu selten hatte ich das Gefühl, hier spricht eine Tochter zu ihrer Mutter und umgekehrt. Das steht im Konflikt zum familiären Dilemma, dem sich vor allem Tess ausgesetzt sieht
Dennoch kann ich beiden eine gewisse Sympathie nicht absprechen. Die Dialoge in Open Roads sind nachvollziehbar geschrieben und vermitteln uns genug über die Charaktere, egal ob zwischen Tess und Opal oder via SMS (das Spiel spielt Anfang der 2000er, da hat man noch gesimst!) mit dem Vater oder der besten Freundin.
Da wäre mehr drin, Open Roads!
Entgegen der weitläufigen Meinung ist meiner Ansicht nach das Gameplay sowie Leveldesign auch bei Narrative Adventures von großer Bedeutung. Nehmen wir den Urvater des Genres, Dear Esther, als Beispiel. Hier passen Narrative, Gameplay und Levelaufbau kaum zusammen. Das Erste ist komplett uninteressant, das zweite gar nicht existent und das Letztgenannte unterstrich lediglich den drögen Eindruck vom Rest. Wogegen Gone Home oder What Remains of Edith Finch die Aspekte besser in Einklang bringen können. Mit dem Fokus auf der Narrative muss diese das Spiel tragen und vom Gameplay oder Leveldesign unterstrichen werden.
Viel passiert in Open Roads wie oft im Genre durch Dialogentscheidungen und mehr oder weniger lineare Erkundungen mit simplem Schlüssel/Schloss-Gameplay. In den Dialogen andere Ideen aufzugreifen, hat in Open Roads allerdings keine oder nur sehr marginale Auswirkungen auf das Spiel. Es wird lediglich eine neue “Geschmacksrichtung” des Dialogs für genau diesen Moment ausgewählt. Das ist meiner Ansicht nach okay, wenn die Narrative im Gesamten stimmt. Was bei Open Roads nicht der Fall ist.

Gleichzeitig sind die einzelnen Level sehr simpel gestaltet. Allen voran das erste Level im Haus der Großmutter ist ungemein banal und es braucht fast eine halbe bis dreiviertel Stunde, damit wir die Story von Open Roads richtig in Gang setzen können. Insgesamt gibt es vier Gebiete zum Erkunden sowie dazwischen kleinere Fahrsequenzen. Leider gefiel mir nur das Sommerhaus, denn hier gab es nicht nur mehrere Barrieren, die es zu umgehen galt, sondern auch mehr oder weniger Abwechslung und sympathische narrative Momente. Leider war allerdings auch hier ein großes Problem von Open Roads deutlich: der erzählerische Mehrwert bietet sich kaum.
Blasse Ambitionen
Bestes (oder schlechtes?) Beispiel dafür: Tess erfährt, dass ihre Mutter im Sommerhaus in einem Van ihr Zimmer hatte. Bevor wir diesen betreten, sagt sie, sie freue sich darauf, die Lavalampe ihrer Mutter sehen zu können (als Scherz über das Alter ihrer Mutter). Und siehe da, dort ist auch wirklich eine Lavalampe! Erzählerisch für das Studio scheinbar wichtige Dinge, werden definitiv angesprochen, die Level hingegen bleiben vielmehr Kulisse. Auch im letzten Gebiet wird eine große Chance verpasst. Hier hat ein Naturereignis das Gelände extrem in Mitleidenschaft gezogen. Für sich stehend eine schöne Kulisse mit einem Mysterium, was es zu ergründen…oh…die erste Infotafel im ersten Raum erzählt uns, warum die Gegend so aussieht? Danke für das lange aufrechterhalten der Spannung!
Open Roads ist auf diese Weise extrem oberflächlich in seiner Narrative, seinem Gameplay und seinem Leveldesign. Passend dazu werden auch Tess und Opal mehr oder weniger schwach inszeniert. In Dialogen wechselt es zwischen Standbildern der Figuren, welche den emotionalen Zustand bei der Aussage unterstreichen sollen. Diese wiederholen sich sehr oft und gefühlt habe ich achtzig Mal die Merkel-Raute gesehen, wenn Tess eine Frage an ihre Mutter gestellt hat. Lediglich das Voice Acting durch Kaitlyn Dever und Keri Russell ist wirklich gut, was der Sympathie der Charaktere durchaus von Vorteil ist.

Spurlos ist die katastrophale Entwicklung nicht an Open Roads vorbeigegangen. Es hätte aber auch schlimmer kommen können. Denn in der Endabrechnung ist Open Roads auf der einen Seite ambitioniert, ohne sich mit Highlights von seiner Oberflächlichkeit zu erheben. Auf der anderen Seite hätte ich in den zweieinhalb Stunden gerne ein Argument gefunden, um dieses Spiel empfehlenswert zu machen. Open Roads ist nicht schlecht, aber die guten Momente sind im Vergleich zum Katalog von Fullbright bzw. im Genre eigentlich Standard. Und der Löwenanteil der schwachen Momente ist weitestgehend belanglos.
Familienproblemen auf Xbox Series X auf den Zahn gefühlt.