
Nachdem wir kürzlich mit dem SF-2000 einen Retro-Handheld im unteren Preissegment unter die Lupe genommen haben, wenden wir uns jetzt dem mittelpreisigen Segment zu. Der Anbernic RG556 basiert auf einem Chipsatz, der für den Einsatz in Handys gedacht ist und nutzt ein Android-Betriebssystem. Somit kann der RG556 nicht nur für Emulatoren, sondern auch für Android-Spiele verwendet werden.
Der RG556 wird als Retro-Handheld mit einer Reihe vorinstallierter Emulatoren ausgeliefert. Grundsätzlich geeignet ist der RG556 zur Emulation aller Systeme der 80er und 90er Jahre, zusätzlich können auf PlayStation 2, GameCube, Wii, Nintendo DS, PlayStation Portable und Nintendo 3DS emuliert werden. Sofern man das Gerät einzeln, ohne SD-Karte bestellt, sind die Emulatoren zwar auf dem internen Speicher des Geräts vorinstalliert, man hat aber nicht das Problem, dass Anbernic bereits ROMs von kommerziellen Spielen vorinstalliert hätte wie im Fall des SF2000.
Ausgeliefert wird der RG556 gemeinsam mit einem USB-Ladekabel und einer stabilen Schutzfolie für den Touchscreen. Die Anbringung der Schutzfolie erweist sich als unkompliziert, allerdings ist der Handheld recht wählerisch, was sein Ladeverhalten anbelangt. Das Ladekabel der Nintendo Switch sowie Schnellladekabel verweigert der RG556, an einem PC lässt er sich aber problemlos laden. Zusätzlich akzeptiert der RG556 auch die USB-Ladeanschlüsse meiner Mehrfachsteckdose, aber in jedem Fall sollte man damit rechnen, dass man mit dem RG556 nicht unproblematisch überall laden kann. Die Akkulaufzeit ist hingegen löblich. Selbst bei dem anspruchsvollsten Emulator (PlayStation 2) habe ich Laufzeiten von ca. fünf Stunden erzielen können. Ältere Systeme und native Android-Spiele können auch deutlich längere Laufzeiten erzielen. Im Standby-Modus ist der RG556 nicht mit hohem Stromverbrauch aufgefallen, allerdings habe ich ihn bisher auch nicht mehr als zwei Tage im Standby belassen.

Im Hinblick auf die Emulation ist der RG556, sofern man auf die installierten Einzelemulatoren zurückgreift, sehr zufriedenstellend. Für die moderneren Systeme ist muss man teilweise auf eine erhöhte Auflösung verzichten, um die Original-Framerate zu erreichen, selbst bei der PlayStation 2 kann man aber oft noch problemlos bis 1,5-fach die Auflösung erhöhen. Bis hin zur Dreamcast ist die Verwendung der nativen Auflösung des OLED-Bildschirms von 1080p aber gar kein Problem. Anders sieht das leider aus, wenn man auf die Anbernic-eigene Oberfläche für Emulatoren zurückgreift, die auch mit einem eigenen Knopf versehen ist und die Spiele automatisch im geeigneten Emulator startet. Diese Oberfläche erzielt aus für mich unersichtlichen Gründen bedeutend schlechtere Performance und ist für die Emulation von 3D-Konsolen kaum geeignet. Schade, denn grundsätzlich ist diese Oberfläche ansehnlich und ergibt eine etwas Konsolen-ähnlichere Menü-Erfahrung. Vielleicht wird in der Hinsicht in der Zukunft eine Verbesserung erzielt, denn es handelt sich offensichtlich um ein reines Software-Problem. Alternativ kann man aber auch Emulator-Oberflächen von Drittanbietern verwenden.
Der Handheld liegt auf Grund großzügiger Griffe sehr angenehm in der Hand und die Firm der Griffe lässt zudem komfortabel eine hohe und eine niedrige Griffposition zu. In der Konsequenz ist sowohl der linke Analogstick als auch das Steuerkreuz als vorrangiges Eingabegerät ohne Unannehmlichkeiten erreichbar. Die Facebuttons haben einen angenehmen Druckpunkt, sind aber kleiner als beispielsweise die Knöpfe vom SF2000, was, in Anbetracht dessen, dass der RG556 ohnehin recht groß ist, schade ist. Vom Widerstand her erinnern die Analogsticks an die Sticks der Nintendo Switch, es handelt sich allerdings um Hall Effect Sticks, so dass Stickdrift kein Problem darstellen sollte. Allerdings haben die Sticks eine sehr starke Präferenz für die acht Grundrichtungen, so dass sie für Spiele, die eine sehr feine Steuerung erfordern, nicht sehr geeignet sind.
Bei den Schultertasten orientiert sich der RG556 am Xbox und PlayStation-Controller, das heißt, dass die Trigger analog sind, wohingegen die vordere Reihe der Schultertasten digital sind. Funktional und hinsichtlich des Komforts gibt es hier nichts zu meckern, allerdings können die Trigger ein wenig quietschen und in meiner Testphase ist der rechte Trigger in subtilem Maße schwergängiger geworden. Ob das bei längerem Einsatz des Geräts zu einem Problem wird, das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, werde den Beitrag aber gegebenenfalls aktualisieren. Neben den Knöpfen bietet der RG556 auch einen kapazitiven Touchscreen und Bewegungssensoren, so dass neben den Emulatoren auch Android-Spiele mit dem RG556 gespielt werden.

Android-Spiele können über den Playstore bezogen oder per Sideloading installiert werden. Grundsätzlich ist der RG556 aber auf Grund seiner Form wesentlich besser für Spiele im Querformat geeignet als für Spiele im Längsformat. Beispielsweise ist Sonic Dash zwar grundsätzlich spielbar, aber die physischen Steuerelemente werden hier zu einem Hindernis. Die Rayman-Spiele Junge Run und Fiesta Run sind hingegen komplett unproblematisch und sogar mit den Buttons spielbar. Allerdings erkennen manche Spiele den RG556 als rooted und verweigern dann den Dienst. Ein Beispiel hierfür ist Super Mario Run, sowie die PlayStation 5-Streamingsoftware von Sony.
Greift man auf Dritthersteller-Software zurück, kann man hingegen durchaus auch lokal PlayStation-Spiele streamen, hier hat sich aus meiner Sicht aber das wenig leistungsfähige WIFI-Modul als Hindernis erwiesen. In SD-Auflösung bis 480p kann ich in einigermaßen geringem Abstand zum WLAN-Router unterbrechungsfrei PlayStation 5 Remote Play nutzen, aber bei höheren Auflösungen kann es zu Verzögerungen oder gar Aussetzern kommen. Die Steuerungselemente hingegen werden problemlos erkannt und adäquat vom Spiel behandelt. Rumble und taktile Features der Schultertasten wie beim Dual Sense werden hingegen nicht geboten – im letzteren Fall auch wenig erstaunlich, da hardwareseitig nicht unterstützt.
Der RG556 ist ein guter und vor allem angenehmer Retro-Handheld mit tollem Bildschirm, der auch als Android-Handheld gute Dienste erweisen kann. Der Umstand, dass er als rooted erkannt wird und dass das Wifi-Modul für hoch aufgelöstes PS5-Streaming ungeeignet zu sein scheint, ist allerdings ärgerlich. Für den aufgerufenen Preis von knapp 200€ ist der RG556 derzeit eine gute Wahl für Mittelklasse-Retro-Handhelds.