
Mitte der 90er Jahre hat Nintendo die Super Mario-Reihe offenbar als Experimentierkasten für Spin-Off-Reihen genutzt, denn neben Wario, der mit Super Mario Land 3: Wario Land sein Debüt als Solo-Held gefeiert hat, wurde auch Yoshis Solo-Karriere mit Super Mario im Titel gestartet. Super Mario World 2: Yoshi’s Island hatte mit seinem namentlichen Vorgänger nur noch wenig gemein und hat mit den bunten Dinosauriern einen ersten Schritt in Richtung des Collectathon-Konzepts gewagt, das strukturell auch den ersten 3D-Marios zu Grunde liegen sollte.
Yoshi’s Island spielt deutlich früher als alle anderen Super Mario-Spiele, denn wir erleben hier die Geschichte von Marios schwieriger Geburt. Gerade als der fleißige Storch Mario und Luigi an ihre Eltern ausliefern möchte, entschließt sich Kamek, schon damals fleißiger Diener des noch jungen Bowsers, in die bevorstehende Rivalität einzugreifen. Um zu verhindern, dass Mario und Luigi Bowsers Herrschaft in eine Reihe von schmachvollen Niederlagen verwandeln, versucht Kamek, die Brüder vor der Geburt abzufangen. Bei Luigi gelingt ihm das auch, doch Baby Mario fällt vom Himmel hinab auf den Rücken des grünen Yoshis. Die bunte Yoshi-Sippe macht sich umgehend auf, Baby Mario und Baby Luigi wieder zu vereinigen und dem gefangenen Storch wieder zu überantworten.

In Hinsicht auf die Oberwelt ist Yoshi’s Island deutlich schlichter gestaltet als die letzten Mario-Spiele. Es gibt zwar eine hübsche Mode7-Animation in der Yoshi sich über die Insel bewegt, wann immer man eine der sechs Welten des Spiels abgeschlossen hat, aber das eigentliche Interface ist im Grunde eine einfache Levelliste. Jede Welt hat acht Hauptlevel, die in strikt linearer Abfolge gespielt werden. In jedem Level wird bei Abschluss die jeweils erreichte Bestpunktzahl gespeichert. Schafft man es, in jedem Level einer Welt alle 100 Punkte zu holen, wird man mit einem besonders schwierigen – offensichtlich optionalen – Zusatzlevel belohnt. In dem Game Boy Advance-Port Super Mario Advance 3: Yoshi‘s Island kommt ein weiteres Level je Welt hinzu, das freigeschaltet wird, wenn man einmal den letzten Endgegner besiegt hat. Diese Level existieren im SNES-Original nicht, fügen sich aber gut in das Gesamtspiel ein und liegen in Sachen Schwierigkeitsgrad zwischen den Hauptlevels und den Extra-Levels für Perfektionisten. Zudem haben diese Level zur Folge, dass es einfacher ist, die Extra-Level auf dem GBA freizuschalten, denn die Gesamtpunktzahl von 800 Punkten je Welt, die für das Freischalten erforderlich ist, kann dann über neun statt acht Level gesammelt werden.
Das Gameplay in Yoshi’s Island ist – wie bei einem Protagonistenwechsel zu erwarten – komplett neu gestaltet. Yoshi kann natürlich auch laufen und springen, aber es gibt keinen Rennknopf mehr – Yoshi wird einfach nach einigen Schritten schneller – und Yoshi kann die meisten seiner Gegner mit seiner Zunge fressen. Duckt man sich anschließend, kann man den Gegner in ein Ei verwandeln; insgesamt kann man bis zu sechs Eier hinter sich her ziehen. Diese Eier kann man dann auf Knopfdruck werfen, um beispielsweise andere Gegner zu treffen, geeignete Blöcke zu zerstören, oder aber Fragezeichenwolke zu aktivieren. Eine interessante Besonderheit ist hierbei, dass Yoshis Eier bis zu zwei Mal von einer Wand reflektiert werden wie in einem Billiard-Spiel. Auf diese Weise wurden einige kleinere Rätsel im Spiel verbaut, die auf eine geschickte Nutzung der Eier ausgelegt sind.

Anfänglich werden die Sprungpassagen in Yoshi’s Island etwas dadurch erleichtert, dass Yoshi in der Luft mit seinen Füßen strampeln und so einen klein Flattersprung ausführen kann. Das erleichtert genaue Landung, kann aber auch genutzt werden, um – durch wiederholte Anwendung des Flatterfluges – größere Distanzen zu überwinden. Später im Spiel ist der Flatterflug aber immer stärker in die Sprungpassagen eingepreist und Yoshi’s Island wird tatsächlich durch die fehlenden Items sogar tendenziell schwieriger als Super Mario World zuvor.
Ein ganz entscheidendes Element in Yoshi’s Island sind die Sammelgegenstände. Zwar kann man Yoshi’s Island auch komplett, ohne Sammelgegenstände zu beachten, durchspielen, doch dabei verpasst man nicht nur die angesprochenen Extralevel, sondern auch einen großen Teil des Leveldesigns, denn die Dicht an kleinen Zusatzaufgaben für die Sammelgegenstände ist hoch. Dabei setzt Yoshi’s Island nicht wie spätere Collectathons auf viele Minispiele, sondern vergibt seine Sammelgegenstände nahezu ausschließlich für knifflige Hüpfaufgaben und kleine Rätsel. In jedem Level gibt es fünf Blumen zu finden, die im Grunde die Haupt-Sammelgegenstände sind, zusätzlich gibt es 20 rote Münzen, die sich teilweise unter den einfachen gelben Münzen verstecken, und 30 Sternpunkte. Jede Blume ist 10 Punkte wert, rote Münzen und ins Ziel gebrachte Sternpunkte jeweils einen.

Die Sternpunkte fungieren aber nicht nur als Sammelgegenstand, sondern auch als eine Art Lebensenergie. Yoshi selbst in Yoshi’s Island extrem widerstandsfähig und kann nur sterben, wenn er in die Lava fällt, Stacheln gepikst oder zerquetscht wird. Gegnerberührungen hingegen erschrecken Yoshi zwar und stoßen ihn etwas zurück, schaden ihm aber nicht unmittelbar. Allerdings verliert er dann Baby Mario, der weinend in einer Blase in der Luft schwebt. In dieser Zeit zählt der Sternzähler erbarmungslos nach unten und wenn er den Wert null erreicht, kommen fiese Fly Guys und entführen Baby Mario. Auch wenn das erzählerisch sicher nicht mit Yoshis Versterben gleichzusetzen ist, führt es doch zu dem Verlust eines Lebens und man muss beim letzten Checkpoint neu starten. Man kann hier bereits ersehen: 30 Sternpunkte ins Ziel zu bringen kann vor allem in Levels, die mit einem Endgegnerkampf enden – das ist jeweils das vierte und achte Level einer Welt – ziemlich schwierig sein. Der Umstand, dass man alle Sammelkriterien gleichzeitig maximal erfüllen muss, um die Bestpunktzahl zu erzielen, ist eine gewöhnungsbedürftige Entscheidung, die Nintendo, basierend auf späteren Yoshi-Spielen, heute vermutlich nicht mehr so treffen würde.
Was Yoshi’s Island wirklich hervorstechen lässt, ist die enorme Sorgfalt, mit der die Level designt wurden. Die Level stecken voller kreativer Ideen, abwechslungsreichen Sprungpassagen und interessanten Geheimnissen, ohne den Spieler mit allzu vielen fies versteckten Sammelgegenständen zu ärgern. Hin und wieder gibt es zwar doch mal eine rote Münze oder eine Blume, die etwas intransparent versteckt ist, aber bezogen auf die Gesamtheit des Spiels sind das nur wenige Stellen. Darüber hinaus findet Yoshi’s Island eine erstaunlich gute Balance zwischen Weltenthemen und individuellen Level-Design-Ideen, so dass die Welten eine überspannende Grundidee bieten, ohne der Individualität der einzelnen Level Abbruch zu tun.

Eine Besonderheit sind schließlich die Endgegner, die in vergangenen Mario-Spielen nur wenig Variation boten und einander stark ähnelten. Yoshi’s Island geht einen gänzlich anderen Weg und jeder Endgegner kann mit einer eigenen, spaßigen Grundidee aufwarten. Egal ob man von einem Gegner verschluckt wird und sich gegen eine vorschnelle Verdauung zur Wehr setzen muss, oder ob Xelibo – der gewisse Ähnlichkeiten zu Obelix nicht bestreiten kann – die Hose ausziehen muss, die Endgegner können sowohl spielerisch als aus inszenatorisch voll überzeugen. Im Hinblick auf die Zielpunktzahl von 100 Punkten stellen sie aber ein echtes Risiko dar, denn ein einzelner Treffer des Endgegners kann den ganzen Lauf ruinieren. Wenn man das Spiel nicht gerade auf dem Game Boy Advance durchspielt und versucht, es mit einem jungfräulichen Todeszähler abzuschließen, ist der Freitod aber immerhin eine Option, denn vor einem Endgegner gibt es stets einen Sternenring-Zwischenspeicher und wenn man stirbt – ausreichend Extraleben vorausgesetzt – wird man weder mit dem Sammelzustand beim Erreichen des Sternrings an eben jenem abgesetzt.
Optisch ist Yoshi’s Island eine echte Pracht. Zwar hat das Spiel, abseits seiner Introsequenz, auf die damals dank Donkey Kong Country beliebte plastische vorgerenderte Darstellung verzichtet, im Gegenzug kommt Yoshi’s Island aber mit einem sehr markanten Wachsmalkreidelook daher. Das gesamte Spiel wirkt wie von einem (künstlerisch ungewöhnlich begabten) Kind gemalt und sprüht eine bunte Lebensfreude aus. Selbst düstere Levelabschnitte wirken immer irgendwie sympathisch und die stets vergnügten bunten Knollennasendinosaurier tun ihr Übriges dazu, dass Yoshi’s Island ein echtes Wohlfühlspiel ist. Nicht minder kann der abwechslungsreiche Soundtrack überzeugen, was leider im weiteren Verlauf der Yoshi-Jump & Run-Serie in diesem Maße nicht mehr erreicht wurde. Die Game Boy Advance-Version ist optisch ein wenig im Nachteil gegenüber der SNES-Version – einerseits wegen des etwas kleineren Bildschirmausschnitt, andererseits, weil manche Effekte des SuperFX2-Chips auf dem GBA nicht in Originalqualität umgesetzt werden konnten. Die sechs neuen Level kompensieren das aber natürlich. Eine Geschmacksfrage ist, dass auf dem GBA die mit Yoshi’s Story eingeführten Sprachsamples von Yoshi Einzug ins Spiel gehalten haben, während auf dem SNES Variationen der seit Super Mario World bekannten Effekte genutzt wurden. Ich mag Yoshis Gequike, aber manche Spieler bevorzugen auch die Originalsamples.

Yoshi’s Island ist ein ideenreiches, intensives und durchweg exzellent designtes 2D Jump & Run, das bis heute zu den besten Spielen des Genres gehört. Der Wille, trotz großen Namens zu experimentieren, hat sich ausgezahlt und Yoshi’s Island ist so zu Recht der Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von Soloauftritten von Yoshi. Die Frage, ob die Game Boy Advance- oder die Super Nintendo-Version vorzuziehen ist, ist im Endeffekt eine Geschmacksfrage. Persönlich bevorzuge ich auf Grund der Extra-Level die GBA-Version.

Getestet aus Super Nintendo und Game Boy Advance.