
Solltet ihr die letzten Jahre hier im Gaming Village den ein oder anderen Test von mir gelesen haben, dann habt ihr eine leise Ahnung von meinem Steckenpferd. Storytelling ist so ziemlich meine liebste “Disziplin”, wenn es um Videospiele geht. Und ich behaupte auch mal dreist, dass ich selber auch relativ fortgeschrittene Erfahrungen habe, was den Aufbau von Stories und deren Werkzeuge betrifft. Doch nichts ist so wirkmächtig in meinen Augen, wie das spielerische Geschehen selbst. Wildermyth hatte ich aus diesem Grunde eine ganze Weile auf dem Radar und der kürzliche Konsolenport war die perfekte Gelegenheit. Hat mein Steckenpferd so sehr vor Freude gewiehert, wie ich es mir über die letzten Jahre ausgemalt habe?
Dunkle Mächte am Horizont von Wildermyth
Schlechte Wortwitze beiseite geschoben ist Wildermyth auf dem Papier ein grandioses Spiel für mich. Das Zauberwort an dieser Stelle ist Permanenz. Ich bin ein sehr großer Freund davon, wenn meine Handlungen und Entscheidungen in einem Spiel dauerhafte Konsequenzen haben. Genauso habe ich auch bei den Spielen der Fire Emblem-Reihe es nie wirklich eingesehen, einen Speicherstand neu zu laden – es sei denn, es wurde wirklich unmöglich erfolgreich weiterzuspielen. Auch bei Wildermyth muss ich mit meinen Entscheidungen leben, egal wie gut oder schlecht sie ausfallen.
Denn in seinem Kern ist Wildermyth ein Strategie-Rollenspiel, in dem wir eine Gruppe von Helden und Heldinnen steuern, welche sich der Übermacht dunkler Kreaturen entgegenstellt. Unsere Figuren sind zu Beginn zufällig erstellt, können aber auch in diversen Details angepasst werden. So haben am Ende neben der Klasse die Charaktere auch diverse Statuswerte, die bei Kämpfen im Spiel aushelfen. Oder Charaktereigenschaften, welche Dialoge und Beziehungen beeinflussen.

Nachdem unser Dorf von Ungeheuern attackiert wurde (ich habe ein Déjà vu…), beschließen die drei Freunde vom Beginn der Kampagne, das Heft in die eigene Hand zu nehmen. In der Folge steuern wir die einzelnen Figuren dieser Gruppe, rekrutieren neue Kämpfer oder Mystiker und erleben ein langes, prozedural generiertes Abenteuer. Wir erkunden das Land und haben in den einzelnen Gebieten Missionen. So kann es sein, dass wir ein anderes Dorf befreien oder eine kleine, persönliche Geschichte zwischen den Charakteren erleben können. Je nachdem, wen wir aus unserer Party mitnehmen, variieren Dialoge und Ereignisse. Die Freiheit, die hier das System gewährt, gefällt mir außerordentlich gut und gibt mir das Gefühl, an einer virtuellen D&D-Session teilzuhaben.
Ich wollte, ich wär’ ein Stein…
Im spielerischen Zentrum von Wildermyth stehen die taktischen Gefechte. Manche Mission wirft uns auf ein mit diversen Feldern gespicktes Areal, auf dem sich Monster tummeln, die wir so effektiv wie möglich erledigen müssen. Oberflächlich betrachtet kennen Genrefans den Aufbau, ob aus Titeln wie Fire Emblem oder XCOM. Unsere Figuren haben aufgrund ihrer persönlichen Konstitution oder ihrer Klasse unterschiedliche Faktoren, die Einfluss auf den Kampf oder die Arena nehmen können.
Nehmen wir beispielsweise die Mystiker. Diese können sich mit den Objekten der Umgebung verbinden. Ein solch verbundenes Objekt kann zum Beispiel zu einer Falle für die Monster werden. Läuft das von Wut und Hass getriebene Wesen einfach an einer Feuerstelle vorbei – zack! Springt bereits eine Flamme über! Oder der Felsen… explodiert einfach in mehrere Teile und trifft alles in seinem direkten Umfeld. Und ich dachte, als Stein hätte man weniger Sorgen im Leben. Zudem kann eine solche Verbindung den sichtbaren Bereich der Karte vergrößern und wir Gefahren so frühzeitig erkennen.
Und das sollten wir definitiv. Wildermyth ist gerade zu Beginn anspruchsvoll, weil unsere Gruppen klein und die Gegner in übermäßiger Zahl vertreten sind. Idealerweise verteilt man seine Helden auf unterschiedliche Missionen, um so viel Fläche der Karte abzustecken. Denn irgendwann werden Armeen des Bösen über uns herfallen und Dunkelheit und Tod über das Land bringen. Bedeutet aber auch, dass Gefechte mit weitaus schwächeren Teams ausgetragen werden. Dies hat mir zu Beginn den ein oder anderen gefallenen Helden gekostet. Das wäre mir als Stein definitiv nicht passiert!
Beständigkeit als Markenzeichen
Doch eine Niederlage ist nicht gleichbedeutend mit dem Ende all meiner Heldentage. Manche Charaktere können auf dem Schlachtfeld sterben, wieder andere sind verwundet. Auch hier habe ich manchmal Entscheidungen getroffen, die den Verlauf der jeweiligen Kampfrunde beeinflussen können. Fällt eine unserer Figuren im Endeffekt komplett, können die Überlebenden diesen ein Denkmal setzen. Oder der Leichnam wird im familiären Umfeld, fernab der öffentlichen Wahrnehmung, begraben. Auswirkung hat dies auf Legacy Points, welche über die Dauer des Spiels vielfach eingesetzt werden können.
Diese können wir einsetzen, um nachhaltige oder temporäre Veränderungen zu erwirken. So lassen sich neue Rekruten für die Heldengruppe akquirieren oder langfristig Rüstung und Waffen craften. Aber wir können auch den Fortschritt der verschiedenen Gegnerrassen unterbinden, was sich aber in meinen Augen nicht wirklich auszahlt. Frisches Blut auf unserer Seite oder besseres Equipment klingt langfristig nach der besseren Option.
Und hier kommt meiner Ansicht nach – im Guten wie im Negativen – stark die Permanenz, die ich im Vorfeld so herbeigesehnt habe, zum Tragen. Ich liebe es, wie ich in Wildermyth mit meinen Entscheidungen leben muss. Das Spiel läuft kalendarisch ab, bedeutet, Zeit ist eine ebenso wertvolle Ressource wie unsere Helden und die Legacy Points. Wenn nun ein Charakter fällt und verwundet ist, steht dieser mir für etliche Tage nicht mehr zur Verfügung, bis seine Verwundung geheilt ist. Und bei einem endgültigen Tod….ihr versteht schon.
Nervig wird es nur, weil die Missionen und Storyabschnitte, die sich uns eröffnen, über den Verlauf der Zeit stark wiederholen. Richtig schlimm fand ich es, wie nach einem Gefecht drei meiner Heldinnen gefallen waren und für jede einzeln die Sequenz abgespielt wird, wie ich diese denn bestatten wollen würde. Solche Momente der gescripteten Wiederholung haben mich immer wieder aus Wildermyth herausgerissen.
Ein ganzer Stammbaum an Helden in Wildermyth
Und von diesen Szenen gibt es zahlreiche in Wildermyth, weil das Spiel sich auch die Zeit dafür nimmt. Wer mal eben “eine schnelle Spielrunde” bevorzugt – auch bei Rollenspielen – ist bei Wildermyth verkehrt, da das Pacing sehr langsam ist. Alleine die Charaktererstellung hat bei mir zu Beginn lange gedauert (okay, typisch Rollenspiel), weil ich zufällig erstellte Charaktere einfach nicht mag. Bei jeder Rekrutierung – dasselbe Spiel.
Das Zeitmanagement der Welt ist allerdings bewusst darauf ausgelegt, dass sich Sequenzen über einen langen Zeitraum erstrecken. Wege zwischen Dörfern bedeuten Reisezeit. Der Aufbau von Verteidigung dieser dauert ebenso eine Weile. Und Rekruten müssen ja auch erstmal trainiert werden. Diese Zeit hat einen Preis: Unsere Heldenriege wird mit der Zeit älter, deren Statuswerte und eventuell auch Charakterzüge variieren und Beziehungen zu den anderen können unterschiedlich ausfallen. So können gegebenenfalls ganze Generationen von Helden nacheinander die Welt von Wildermyth bewohnen und ihre ganz eigenen Geschichten schreiben.

Diese individuellen Geschichten profitieren natürlich von der Dauerhaftigkeit von Wildermyth. Doch auch an all jene ist gedacht, die sich nicht mit Permadeath herumschlagen wollen. Das Spiel speichert bei allen wichtigen Entscheidungen und vor einem Kampf, weswegen in der Theorie jederzeit ein Ausweg aus ausweglosen Situationen existiert. Wildermyth weist sogar darauf hin, was ich persönlich schade finde (lieber angepasste Schwierigkeiten wie bei Fire Emblem), aber als Permadeath-Ultra bin ich da wahrscheinlich befangen. Ich kann aber jeden verstehen, der bei zig Spielstunden lieber nicht zu oft zurückgeworfen werden möchte. Gerade weil Wildermyth ein tendenziell längeres und komplexeres Spiel ist.
Ein Spiel, das reift wie guter Wein?
Diese Komplexität hat mich zu Beginn ein wenig überfordert. Auf großem Fernseher wirkt die Menüführung weitaus unübersichtlicher, als mein kurzer Vergleich auf dem Steam Deck. So habe ich gerade bei den Kämpfen oftmals Züge verschwendet, was mir wahrscheinlich am PC nicht passiert wäre. Aber man gewöhnt sich ebenso dran wie an den Artstyle, den ich selbst auch nicht allzu gut finde.

Wildermyth ist eindeutig ein Spiel, welches die volle Aufmerksamkeit von seinen Spieler:innen verdient. Die Generationen-übergreifenden, Handlungs-gesteuerten Missionen bieten zahlreiche Optionen, um spieler-getriebene Geschichten auf Basis der zufälligen Ereignisse zu erzählen. Ich gebe aber ganz ehrlich dazu, dass mich Wildermyth nicht gänzlich abholen konnte. Zu zäh ziehen die Jahre und Kämpfe dahin, zu repetitiv waren die immergleichen Sequenzen, weil ich eine falsche Option gewählt habe. Ganz zu schweigen von der Menüführung, die mir auf Xbox nicht zugesagt hat, weil ich ständig mit den Blicken auf dem Bildschirm hin und her gewandert bin. Gleichzeitig bin ich aber der festen Überzeugung, dass die Zeit für Wildermyth sprechen wird und die Freiheiten und taktischen Feinheiten mir mehr und mehr ans Herz wachsen werden. Wer sich also über einen etwas längeren Zeitraum an einem Spiel festbeißen will, dem ist Wildermyth eindeutig ans Herz gelegt.
Generationen von Monsterjägern auf Xbox Series X ausgebildet. Ein herzlicher Dank geht an Worldwalker Games für die Bereitstellung eines Mustercodes.