Chicory: A Colorful Tale (Review)

Wenn man eine neue, insbesondere eine professionelle, Verantwortung übernimmt, kann das bei vielen Menschen zu einem fundamentalen Selbstzweifel führen. Selbst wenn man die Aufgabe in angemessenem Maße erfüllt, drängen sich oft Gedanken auf, ob man nicht völlig ungeeignet für seine Aufgabe ist und fälschlich diese Verantwortung überantwortet bekommen hat. In der extremen Ausprägung ist dieses Phänomen auch als Imposter Syndrom bekannt. In Chicory schlüpft man in die Rolle eines selbst nach einer Speise zu benennenden Hundes, der genau mit diesen Sorgen zu kämpfen hat.

In der Welt von Chicory gibt es eine sehr wichtige Aufgabe, die stets von einem auserwählten Kind, dem sogenannten Farbenkind, erfüllt wird. Dieses Kind ist die einzige Person in der schwarz-weißen Welt, die über einen magischen Farbpinsel verfügt, mit der die Welt mit bunten Farben versehen werden kann. Eigentlich ist Chicory derzeit das Farbenkind, doch der Protagonist arbeitet als Chicorys Helfer und findet den Pinsel eines Tages verweist auf dem Boden liegen. Mit der Absicht, Chicory unter die Arme zu greifen hebt man den Pinsel auf, nichtsahnend, dass man alsbald selbst die Rolle des Farbenkindes auszufüllen hat – und das wohl gänzlich ohne das übliche Auswahlverfahren durchlaufen zu haben.

Die Geschichte von Chicory wird über Textboxen und kleine Animationen der Spielfiguren erzählt, ist niedlich und ein wenig emotional, entwickelt sich inhaltlich aber nur wenig weiter und nimmt für meinen Geschmack einen etwas zu großen Rahmen im Spiel ein. Spielerisch ist Chicory im Grunde genommen, jedenfalls im Hinblick auf seine Struktur, ein Zelda-ähnliches Action-Adventure, das allerdings abseits der Endgegnerkämpfe am Ende der Mehrzahl der zehn Kapitel ohne Kämpfe auskommt. Stattdessen setzt Chicory auf Erkundung und zahlreiche Rätsel. Diese Rätsel sind allerdings ganz außerordentlich simpel und lassen sich nahezu immer auf den ersten Blick ohne nennenswerte Anstrengung der grauen Zellen lösen. Die schwierigsten Rätsel erfordern zwei aufeinander folgende Ideen, was selbst für die ersten Dungeons in Zelda-Spielen ungewöhnlich simpel ist.

Zu allem Überfluss verliebt sich das Spiel etwa nach der Hälfte der Zeit in Rätsel der Art, dass man wabbelige Kugeln an einen Ort schieben muss, um sie dort zum Platzen zu bringen. Das Schieben der Kugeln ist im Grunde genommen nicht schwierig, aber ziemlich fummelig und nervt nach kurzer Zeit so sehr, dass der bloße Anblick der Kugeln mir schon einen Seufzer entlockt hat. Die wesentliche Mechanik der Interaktion abseits des Laufens ist der Pinsel, den man mit dem rechten Stick bewegt und mit dem man auf Knopfdruck malen kann. In vielen Fällen ist es notwendig, große Teile des Bildschirms auszumalen, um mit ihm interagieren zu können. Gelegentlich sind auch kreative Spielerein möglich, mit dem Stick zu zeichnen ist aber alles andere als unterhaltsam und spielerische Substanz hat diese Mechanik bis zum Ende nicht. Selbst Nutzungsformen eines solchen Konzepts, die in Spielen auf dem Nintendo DS erarbeitet wurden, wurden hier nicht aufgegriffen.

In der Konsequenz ist Chicory, auch bedingt durch seine Langsamkeit, über weite Strecken des Spiels in meinen Augen unerträglich langweilig. Man kann dem Spiel in jedem Fall zugutehalten, dass die Charaktere sympathisch und die optische Darstellung verspielt und schön ist, aber das ändert in meinen Augen nichts daran, dass Chicory sowohl spielerisch als auch erzählerisch sehr dünn aufgestellt ist und das, was es zu bieten hat, über einen bedeutend zu umfangreichen Rahmen dehnt. Obwohl Chicory nur etwa sieben Stunden Spielzeit beansprucht hat, hat es in meinen Augen zahlreiche Spielideen völlig überreizt, während bestehende Ansätze in keiner Form elaboriert wurden. So bleibt Chicory durchweg unterkomplex und wird plätschert müßig vor sich her.

Einzig die Endgegner konnten mich am Wegnicken hindern, diese leiden aber wiederum an der vergleichsweise unangenehmen Steuerung des Pinsels mit dem zweiten Analogstick. Wem die freundliche und warmherzige Ausstrahlung von Chicory zusagt und wer dabei keine hohen Ansprüche an das Aufgabendesign oder die Erzählung stellt, der kann sicherlich einige Stunden ordentlicher Unterhaltung mit einem besonderen Charme aus dem Spiel herausholen, aber aus einer spielerischen Perspektive kann ich Chicory keineswegs empfehlen.

Getestet auf Xbox Series X.