American McGee’s Alice (Review)

Nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden bei id hat American McGee seinen langen Lauf an Ego-Shootern, der bekannte Reihen wie Doom, Quake und Wolfenstein umfasste, einen Genre-Wechsel vollzogen. Sein erster unabhängig entwickelter Spieltitel, American McGee’s Alice kombiniert nämlich eine ungewöhnlich ernsthafte Geschichte mit dem 3D Jump & Run-Genre. Obwohl das Spiel bereits im Jahr 2000 erschienen ist, hat es erst als – mittlerweile kostenfreier – Downloadinhalt für den Nachfolger Alice: Madness Returns den Weg auf die Konsole gefunden.

American McGee’s Alice spielt im Anschluss an die beiden Bücher Alice im Wunderland und Hinter den Spiegeln. Alice ist, nachdem sie auf Grund ihrer Schuldgefühle für den Tod ihrer Familie bei einem Hausbrand in der Nervenheilanstalt gelandet ist, zurück im Wunderland und muss das Wunderland vor dem Untergang bewahren. Hierfür muss Alice es mit der mächtigen Herzkönigin aufnehmen, was aber zunächst ein kräftiges Aufrüsten ihres Waffenarsenals bedarf.

Die Geschichte wird im Laufe des Spiels durch in-Game Sequenzen mit deutscher Sprachausgabe in erfreulich hoher Qualität erzählt und durch einen dunklen, makabren Stil des Spiels unterstützt. Allerdings exploriert das Spiel die zugrundeliegenden Themen ziemlich oberflächlich und die Geschichte entwickelt sich, trotz interessanter Grundidee, sehr vorhersehbar und geradezu bieder. Damit steht die inhaltliche Aufbereitung des Spiels in einem gewissen Kontrast zum offensichtlichen Anspruch der Entwickler. Immerhin muss man aber festhalten, dass der makabre, ernste – aber nicht zwingend stets dunkle – Stil des Spiels in einem interessanten Kontrast zum Genre-Alltag steht.

Alice klingt also zunächst nach einem interessanten, weil ungewöhnlichen Genre-Vertreter, doch das Interesse weicht schnell der Fassungslosigkeit, wenn man beginnt, das Spiel zu spielen. Der größte Klops, den das Spiel dem Spieler entgegenwirft ist direkt von Beginn an offensichtlich: Die Steuerung. Aus unerfindlichen Gründen hat McGee sich entschieden, nicht nur die Quake-3-Engine zu verwenden, sondern auch eine Steuerung wie in einem Ego-Shooter. Das heißt, dass man Alice mit dem linken Stick bewegt, aber nicht rotiert und parallel mit dem rechten Stick die Rotation von Alice (und der Kamera) justiert. Sehr durchdacht erscheint das allein schon deswegen nicht, weil man dennoch die Knöpfe des Controllers zum Springen und für Angriffe benutzen muss, die Steuerung ist also schon von Grund auf unnötig hektisch, denn 2000 sind immerhin satte vier Jahre nachdem Super Mario 64 demonstriert hat, wie ein 3D Jump & Run gesteuert werden sollte.

Nun mag man meinen, dass man mit Ego-Shooter-Steuerungen schon auch in einem Jump & Run zurecht kommen kann, das durchaus verwandte Mirror’s Edge ist ja auch ordentlich spielbar. Doch ganz anders sieht das bei Alice aus. Alice springt enorm hoch und ohne jede Beschleunigung. Der abgehackte, schnelle Sprung sorgt dafür, dass punktgenaues Landen einem Glücksspiel gleicht. Natürlich haben die Entwickler aber keinerlei Reflexionsfähigkeit bewiesen, so dass just punktgenaue Sprünge auf kleine Plattformen ein beliebtes Designprinzip des Spiels sind.

Dass Alice zudem mit einem außergewöhnlichen Input Lag daher kommt – grob geschätzt etwa eine halbe Sekunde vergeht zwischen Druck auf den A-Knopf und Sprung – macht die zahlreichen kniffligen Sprungsequenzen zu einer Qual. Selbst wenn das Leveldesign mal halbwegs interessant wird, wie beispielsweis in einem Uhrenturm gegen Ende des Spiels liegen die Nerven beim Spielen permanent blank und Spielspaß ist beinahe ausgeschlossen.

Doch als wären fiese Sprungsequenzen mit masochistisch veranlagter Steuerung noch nicht grauenvoll genug, muss Alice natürlich mit seinem Kampfsystem noch eins drauflegen. Alice hat eine Vielzahl von Waffen zur Verfügung, mit denen sie gegen allerlei angriffslustige und angriffsstarke Gegner zu Felde ziehen muss. Leider sind die Gegner oft äußerst unglücklich positioniert, werden in riesigen Scharen auf den Spieler geworfen und sind so stark, dass schon nach ca. drei Treffern der Traum vorbei ist. Es gibt zwar eine Waffe, die im späteren Spielverlauf auf einmal alle normalen Kämpfe trivialisiert, da man einfach einen Schwarm Insekten nach vorn auf den Gegner werfen, sich zurückziehen und warten kann, bis der Gegner besiegt ist – bei Gegnerschwärmen gegebenenfalls in mehreren Runden. Allerdings sorgt das erst recht nur dafür, dass das Spiel irgendwo zwischen Nerverei und Langeweile verharrt; und im Sinne des Spieldesigns erscheint die Waffe auch eher als unüberlegt, denn als geplante Erleichterung für die ermüdenden Kämpfe. Apropos ermüdende Kämpfe: Der vorletzte Endgegner, ein feuerspeiender Drache ist nach meinem Dafürhalten nur mit viel Glück beim Timing seines mächtigen Feueratems zu besiegen.

American McGee’s Alice ist ein inszenatorisch ordentliches Spiel, das spielerisch eine absolute Katastrophe ist. Egal ob Steuerung, Kampfsystem oder Leveldesign, massive Mängel bestimmen alle Facetten der spielerischen Seite von Alice. Eklatante Performance-Probleme mit Hängern, Rucklern und Slowdowns sorgen zudem dafür, dass das Spiel einen geradewegs fatal schlechten Eindruck hinterlässt. Selbst wenn man den Nachfolger Alice: Madness Returns besitzt und damit kostenfrei auf das Spiel zugreifen kann: Es ist schlicht die Zeit nicht wert, die der Download in Anspruch nimmt.

Getestet auf Xbox 360.