Marvel’s Avengers (Angespielt)

Als Square Enix nach langer Wartezeit im Rahmen der E3 2019 endlich ihr Avengers Projekt enthüllten war die Marvel Fangemeinde gespalten. Während sich der eine Teil sehr darauf freute zu sehen, was sich daraus entwickelt, war der andere Teil abgeschreckt davon, dass es zu stark vom MCU abweicht, das sie so lieb gewonnen hatten.
Etwas mehr als ein Jahr später ist es nun soweit und wir können selbst erleben, wie es sich anfühlt, ein Avenger zu sein. Oder zumindest wie es ist, einen zu steuern.

Als langjähriger Marvel Fan war ich natürlich sofort an Bord und durfte als Vorbesteller auch an den drei vorangehenden Beta Wochenenden spielen. Glücklicherweise hatte Square Enix sich dazu entschieden, die Beta möglichst von jeglicher Story zu befreien, so dass es darin nur um das reine Gameplay ging. Ich würde jetzt gerne schreiben, dass ich dort den größten Multiplayeranteil im Spiel erlebt habe, allerdings war ich alle zwei der drei Beta Zeiträume lang von Verbindungsproblemen im Spiel geplagt, so dass ich nur alleine mit meinen computergesteuerten Kameraden spielen konnte. Das hat zwar Spaß gemacht, wurde aber doch schnell etwas eintönig. Richtig herausgerissen hat es dann das finale Beta Wochenende. An diesem konnte ich mehrere Runden mit zufällig ausgewählten Spielern absolvieren. Ich war baff, wieviel Spaß es gemacht hat, in der schwersten, verfügbaren Mission einen kolossalen Boss-Roboter auseinander zu nehmen. Wie in einem MMO-Raid hatte der Gegner mehrere Phasen und besondere Schwachstellen, die nacheinander gezielt bearbeitet werden mussten, um etwas zu bewirken. Das Teamplay hat dabei überraschend gut funktioniert, obwohl wir überhaupt nicht miteinander kommuniziert haben. Das Spiel war so selbsterklärend, dass wir alle schon beim ersten Versuch wussten, was wir wann zu tun hatten. Davon könnten sich so manche Onlinespiele eine Scheibe abschneiden.

Inzwischen ist das Spiel erschienen und ich genieße es die Story Stück für Stück mit Zuschauern im Stream zu erleben. Andere Spieler hatten die Kampagne bereits am Launch-Wochenende abgeschlossen, während ich aktuell noch bei rund 30% Fortschritt herum gammele. Das stört mich jedoch kein Stück. Im Gegenteil: Ich werde dieses Spiel so lange genießen, wie es nur irgend möglich ist. Denn das was ich bisher gesehen habe, begeistert mich voll und ganz.

Die Kampagne beginnt am A-Day, einem großen Feiertag zu Ehren der Avengers, die gerade ein zweites Hauptquartier in San Francisco einweihen. Die Feierlichkeiten werden jedoch schnell von einem Anschlag getrübt, bei dem nicht nur Captain America vermeintlich sein Leben lässt, sondern auch noch eine neue Energiequelle der Avengers in die Luft gejagt wird. Die dadurch austretende Strahlung löst in dutzenden, wenn nicht sogar hunderten Menschen in der Stadt Mutationen aus. Sie entwickeln Fähigkeiten und werden fortan als Inhumans bezeichnet. Leser der Comics und Zuschauer der Marvel TV-Serien Agents of S.H.I.E.L.D., sowie der Inhumans wissen Bescheid. Natürlich gibt man den Avengers die Schuld an der Katastrophe und die Truppe löst sich auf.

Der Spieler startet jedoch in der Rolle einer jungen Kamala Khan, die auf Grund ihrer eingesandten Avengers Fanfiction zum A-Day eingeladen wurde. Das toughe, junge Mädchen weiß alles über ihre Lieblingshelden und begeht den Tag mit strahlenden Augen und einem Lächeln. Nach dem zuvor erwähnten Angriff gibt es dann einen Zeitsprung. Fünf Jahre später gehört Kamala zu den wenigen Menschen, die noch immer davon überzeugt sind, dass die Schuld zu Unrecht den Avengers gegeben wird. Ihr Vater kann dies nicht verstehen, wurde sie doch selbst zum Opfer dieses Tages. Denn auch Kamala hat Terrigen-Strahlung abbekommen und kann nun ihre Gliedmaßen elastisch bewegen und sogar ausdehnen, als wäre sie die Tochter von Elastigirl und Mr. Fantastic. Und wo sollte sich ein Teenager, der einer Verschwörungstheorie nachgeht, wohl anders herumtreiben, als auf reddit? Dort entdeckt sie einen Post eines Hackers, der sie auf eine Spur bringt, die ihr Leben verändert.

Viel mehr möchte ich zur Geschichte an dieser Stelle gar nicht schreiben, um nicht zu viel zu verraten. Was ich aber erwähnen möchte, ist welche hervorragende Arbeit die Entwickler mit diesem Charakter geleistet haben. Vorab war ich sehr skeptisch, dass Kamala (auch bekannt als Ms. Marvel) eine so große Rolle im Spiel einnehmen sollte. Ich kannte sie nur aus wenigen Crossovers in den Comics und konnte auch mit ihrem Design nicht viel anfangen. Natürlich liegt letzteres auch daran, dass ich ein weißer Mann bin. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich in ein Teenagermädchen mit Pakistanischen Wurzeln hineinversetzen könnte. Und genau an dieser Stelle haben mich die Entwickler abgeholt, auf meinen privilegierten Hintern gesetzt und mich umgehauen. Binnen weniger Minuten war ich nicht nur interessiert an dem Charakter, sondern fasziniert von ihrer Neugier, ihrer Cleverness und ihrem vorlauten Mundwerk. Wie muss sich das dann erst für die Zielgruppe anfühlen, die ENDLICH von einem angemessenen Bild repräsentiert werden, das wir viel zu selten in unseren Medien finden? Wenn man den Beiträgen auf diversen Plattformen im Netz glauben darf, war es längst überfällig. Ich habe mich mit einem Lächeln durch eine Menge an Posts gelesen, in denen junge Spielerinnen berichten, sich endlich mal in einem Spiel erkannt zu haben. Und noch mehr in denen zum Beispiel die kleine Schwester beim Spielen zugeschaut und jemanden gesehen hat, der wie sie aussieht.
War das ein cleverer Marketing Schachzug? Natürlich, aber das heißt nicht, dass der Schritt nicht trotzdem der Richtige war.

Das Spiel selbst ist grafisch leider kein Highlight. Besonders auf der regulären PS4 laden die Texturen oft viel zu spät, so dass man mitunter eine halbe Cutscene lang nur Brei statt Kleidung sieht. Im Hangar des Helicarriers findet man eine ominöse, blaue Lichtkugel. Im späteren Verlauf erkennt man dann, dass dort irgendwann ein Händler steht, dessen Laptop dieses Licht ausstrahlt. Bloß, dass das Licht eben schon vor ihm da war – ups. Hier und da sprechen auch mal Charaktere, ohne den Mund zu bewegen und vom Timing der deutschen Untertitel möchte ich gar nicht erst anfangen.
Ansonsten sieht das Spiel eben so aus, wie ein Spiel aus der aktuellen Generation aussieht. Es ist wie gesagt kein optisches Highlight, aber es ist auch nicht alles furchtbar. Insgesamt wirkt es durchaus ordentlich.
Das Sounddesign hingegen ist unfassbar gut gelungen. Die Musik klingt, als hätte sie für einen MCU Film komponiert worden sein und insbesondere die englischen Sprecher machen einen hervorragenden Job. Die deutsche Synchro habe ich bereits während der Beta aufgegeben. Das lag jedoch nicht unbedingt an den Sprechern, sondern an den zum Teil furchtbaren Übersetzungen. Warum darf Hulk auf Deutsch nicht “Smashen”, sondern ruft “Hulk zerstören!”? Dabei geht dann leider doch einiges an Atmosphäre verloren.

Wo das Spiel, neben dem Storytelling, glänzt, ist das Gameplay. Alle Charaktere, die ich bislang gespielt habe, Steuern sich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase wunderbar flüssig. Man muss kein Meister am Controller sein, um gut aussehende Combos hinzulegen, darf sich aber auch nicht auf reines Knöpfe drücken verlassen. Die Lernkurve ist sehr angemessen gestaltet und kommt mir (nach 3 Wochenenden mit der Beta) zu Beginn sogar etwas zu flach vor. Hat man einmal den Dreh raus, kann man sich auch schnell auf andere Charaktere einstellen. Jeder Charakter verfügt dabei über ein eigenes Moveset, dass ihm oder ihr eine Besonderheit verleiht. Und nicht jeder Charakter kann jedes Hindernis meistern. So gibt es beispielsweise brüchige Wände, die der Hulk und Ms. Marvel zerstören können, um dahinterliegende Ausrüstungskisten erreichbar zu machen. Dazu müssen sie bloß eine Taste gedrückt halten und einen aufgeladenen Angriff ausführen. Iron Man kann auf derselben Taste auch einen schweren Angriff ausführen, dieser reicht jedoch nicht aus, um dieselbe Wand einzureißen. Die Steuerung ist also schon für alle Helden gleich ausgelegt, die individuellen Fähigkeiten sorgen aber für genügend Abwechslung, die sich auch danach anfühlt.

Der eigentliche “Grind” in solch einem Spiel beginnt natürlich erst nach der Story, wenn man damit beginnt seine Helden auf das Höchstlevel zu bringen und die bestmögliche Ausrüstung zu erspielen. Nur um dann in einem noch höheren Schwierigkeitsgrad antreten zu können und noch bessere Ausrüstung zu erhalten. Wer mit diesem Spielprinzip nichts anfangen kann, für den ist das Spiel nach Abschluss der Kampagne womöglich nicht geeignet. Ich selbst bin wie gesagt noch nicht so weit, um den Gameplay Loop im Endgame beurteilen zu können. Darauf werde ich an dieser Stelle irgendwann mit einer ausführlichen Review eingehen. Doch bis es soweit ist, kann ich dem Spiel eine klare Empfehlung für Marvel Fans aussprechen.