Terra Nil (Review)

Artwork zu Terra Nil

Unserer Erde geht es nicht gut. Parasitär haben wir uns über die Ressourcen unseres Heimatplaneten hergemacht und Stück für Stück Flora, Fauna und Klima geschadet. Und wenn wir so weitermachen, dürfte die Prämisse von Terra Nil realer werden, als uns lieb ist. Denn dann sind wir davon abhängig, dass Renaturierungsmaßnahmen effektiv und nachhaltig die natürlichen Lebensräume in einen wieder lebenswerten Zustand zurückversetzt. Ziemlich schwere Kost für ein Spiel, dessen Entwicklerstudio mir zuvor lediglich durch spaßig-stumpfe Filmreferenzen und viel Bro-Wahnsinn bekannt war. Doch Free Lives hat in meinen Augen nicht nur den thematischen Spagat geschafft, sondern auch einen spannenden Genrewechsel hingelegt.

Terra Nil betritt Neuland

In erster Linie muss ich allerdings ein Geständnis ablegen. Terra Nil ist kein Spiel, welches ich wegen seiner Thematik oder seines Genres im Blick hatte. Ersteres ließe sich wahrscheinlich in einem Setting abseits von Science-Fiction (die Renaturierungstechniken im Spiel sind weitestgehend sehr fortschrittlich) besser verarbeiten. Und zweiteres ist nun wahrlich nicht mein Steckenpferd. Ich glaube, wir könnten an einer Hand abzählen, wie viele Management-Simulationen ich gespielt habe. Irgendein Anno war da mal vor langer Zeit. Two Point Hospital fand ich nett, hat mich aber schnell verloren. Und dann gab es noch irgendein Wirtschafts-Free2play-Browserspiel vor Ewigkeiten. Keine Ahnung, wie es heißt, aber es war viel Menügeklicke und irgendwann war meine Stadt die ärmste Stadt im ganzen Land. Bravo!

Es ist ganz anders gekommen. Der angesprochene Genrewechsel von Free Lives hat mein Interesse grundsätzlich geweckt. Broforce gehört für mich mit zu den besten Actionspielen der letzten Jahre und nun vier Gänge zurückschalten? Finde ich sehr spannend. Als Terra Nil dann veröffentlicht wurde und die ersten Reviews auch positiv gestimmt waren, festigte sich dieses Grundinteresse. Und in den vergangenen Wochen kam dann alles zusammen: Netflix bietet Terra Nil in seinem Abo mit an, ich hab mir mit dem iPad ein neues Technikspielzeug gegönnt. Und meine erste Spielewahl fiel dann fast schon selbstverständlich auf Terra Nil. Bereut habe ich es nicht.

Zurück zur Natur

Denn obwohl das Genre von Terra Nil nicht zu meinen Lieblingen zählt, hat mich das Management von der ersten Sekunde bis zum Abschluss der Kampagne nach knapp 5 Stunden komplett in seinen Bann gezogen. Das Erfolgsrezept, mein Herz hier zu gewinnen, ist einfach: Gib mir einen klaren Rahmen, deutliche Zielsetzung und überschaubares Zeitinvestment. Es hilft auch, dass ich mich nicht durch Objektbeschreibungen in Romanlänge durchscrollen muss, um die Systeme des Spiels zu verstehen. Wenn Terra Nil eines ist, dann ist es vor allem ein Management-Spiel für diejenigen, die eher weniger auf Management-Spiele stehen.

Das Spielprinzip ist simpel: Terra Nil gibt uns ein kleines Areal einer unwirtlichen Landschaft ohne jegliches Leben. Gifte versauern den Boden, das Wasser ist trübe, das Wetter unbeständig. Unsere Mission ist es, diese Landschaft wieder in ein Biotop zu verwandeln, welches auf eigenen Füßen stehen kann. Zu diesem Zweck errichten wir vor Ort Gebäude zur Energiegewinnung via Wind oder Geothermie und nutzen den Strom, um andere Maschinen anzulegen, welche Mineralien und Gewässer reinigen und Stück für Stück wiederbeleben.

Die Kampagne des Spiels umfasst vier verschiedene Landschaften und in der Regel ist der Ablauf bei allen identisch. Zuerst ist es wichtig, dass die Umgebung überhaupt wieder fruchtbar wird. Denn wo Pflanzen nicht genug Nährstoffe finden, können sie nur sehr schwer überleben. Weiß ich aus der besten Erfahrung mit meinem wohl ungrünsten Grünen Daumen überhaupt.

Auf- und Abbau als steter Wechsel

Der Aufbauanteil ist dabei sehr simpel. Wir haben eine einzige Ressource, die als Währung für alle Maschinen gilt. Genretypisch müssen diese Geräte optimal in die Landschaft integriert werden, um den größtmöglichen Nutzen zu bewerkstelligen. Bei manchen Optionen erhalten wir sogar einen Großteil unserer grünen Ressourcen zurück. 

Feuer!

Unser Ziel ist es, in diesem ersten Schritt die Prozentzahl, die uns Terra Nil vorgibt, auf 100% zu bringen. Erst dann schalten sich einerseits die neuen Aufgaben sowie neue Maschinen frei. Für diesen zweiten Schritt gilt es nämlich, die Natur langsam aber sicher wieder in diesen Landschaften heimisch zu machen. Wälder, Moore und anschließend natürlich auch die gesamte Fauna können aber stets nur unter gewissen Bedingungen gedeihen. Dies kann über die Menge der zur Verfügung stehenden Fläche passieren, andere bereits vorhandene Tierarten oder das Klima. Im Grunde ist das Ziel hier ähnlich: Wir müssen eine notwendige Masse von Biotop entwickeln, bevor wir in den letzten Schritt vorangehen können. In diesem Abschnitt ist das Ökosystem stabil und wir können uns langsam zurückziehen. Dazu gehört es, wie bei einem guten Picknick auch allen Müll wieder mitzunehmen, bevor sich Gevatter Bär am zuckrig verschmierten Müsli-Plastik verschluckt…

Obwohl Terra Nil lediglich vier Level besitzt, hat das Spiel einige interessante Ideen zu bieten, die sich aus der Grundidee heraus weiterentwickeln. So gilt es beispielsweise stellenweise bewusst die Landschaft zu zerstören, um Energie an die richtigen Stellen zu bekommen. Und das Klima bewusst zu manipulieren, um die Bedingungen des Ökosystems zu verändern, ist schon nah an den notwendigen Realitäten unserer Zukunft. 

Manipulation um Terra Nil willen

Doch jedes Mal gilt dasselbe, wenn eine Idee aufgeworfen wird: komplett erkundet werden kann sie nicht. Der Wechsel in das nächste Level lässt dann oftmals diese Idee fallen, damit neue Ideen sich frisch anfühlen können. Und in der Kürze des Spiels fühlte es sich oftmals so an, als wäre so viel mehr möglich. Nach dem Durchspielen wollte ich mehr Terra Nil. Aber noch einmal dieselben Missionen machen, gab mir nicht dieselbe Spielerfahrung. Es fehlt ein Modus des Spiels, mit dem man endlos weiterspielen könnte, da sich alles den Missionen unterordnet. Und nach 100% in der Kampagne gibt es im Grunde auch nicht mehr viele Optionen abseits leicht veränderter Landschaften der vier Grundlevel.

Spielerisch hat Terra Nil aber auch das ein oder andere Problem zu bewältigen. Über den Verlauf einer Mission gibt es unterschiedliche Teilziele, um die 100% zu erreichen. Beispielsweise brauchen wir nur drei von sechs Tierarten scannen, alle mit unterschiedlichen Bedingungen. Zudem gibt es eine Liste von Veränderungen je nach klimatischen Umständen. Dieses System lässt sich aushebeln und somit die Idee eines funktionierenden Ökosystems ad absurdum führen. Wenn beispielsweise Tier A Bedingungen braucht, die mit Tier B’s Bedingungen in Konflikt stehen…egal! Erstmal Tier A scannen, dann Bedingungen ändern und dann Tier B scannen. Gelten beide als erfolgreich, genauso wie sich widerstreitende Klimazustände. Wichtig ist für Terra Nil nur, dass die Teilziele einmal im Verlauf erfüllt worden sind. Dieser Surrealismus hat mich oftmals sehr von der eigentlich guten Botschaft des Spiels distanziert.


Nichtsdestotrotz habe ich die wenigen Stunden mit Terra Nil sehr genossen. Aufgrund seiner sehr vereinfachten Art mit lediglich einer Ressource und sehr geringem Areal zum Renaturieren wirkte Terra Nil oftmals für mich mehr nach einem Puzzlespiel, als nach einer Aufbau-Simulation. Gerade der Hang dazu, die kleineren Teilaufgaben zu erfüllen und dabei auch den Realismus in zweiter Reihe zu parken, verstärkte bei mir diesen Eindruck. Aber als solch ein Simulation-light fiel ich perfekt in die Zielgruppe des Spiels. Fans anspruchsvollerer Genrevertreter werden aber sicherlich ebenfalls ihre Freude mit Terra Nil haben.

Der Erde auf iPad Air (5.Gen) ihre Schönheit wiedergegeben.