The Berlin Apartment (Review)

Artwork zu The Berlin Apartment

Welch ständiger Wandel sich in unserem Land vollzogen hat, lässt sich wohl an keiner Stadt besser ablesen als Berlin. Ich bin beruflich fast jedes Jahr dort und gefühlt stolpert man an jeder Ecke irgendwie über ein Fleckchen deutscher Geschichte. Und wenn wir die Herausforderungen, vor denen wir heutzutage in unserem Land stehen, besser verstehen wollen, sollten wir der Dominokette der Historie stets ein Auge widmen. Aber boah, wenn ich mein Interesse an deutscher Geschichte nur im Schulunterricht hätte stillen wollen, wäre ich wohl an meinem Platz eingestaubt. Gut, dass es solche Adventure wie The Berlin Apartment gibt. Dieses führt uns auf simple, zuweilen emotionale und lockere Art vor, was die Menschen im vergangenen Jahrhundert durchleben mussten. Mal auf die sanfte, mal auf die harte Tour.

Bewegte Geschichten in The Berlin Apartment

Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist das namensgebende Berliner Appartement. Hier schlüpfen wir in die Rolle der jungen Dilara, die von ihrem Vater Malik in eine renovierungsbedürftige Bruchbude mitten in Berlin mitgenommen wird. Die anstehende Renovierung des Appartments ist längst überfällig und wir kennen die Wohnungspreise in Deutschland. Hier liegt eine wahre Goldgrube für Investoren in bester Stadtlage! Wir helfen unserem Vater beim Ausmisten von zugestellten Räumen, dem Tapezieren der Wände oder beim Abschlagen der morschen Fliesen in Bad und Küche.

Doch diese Episode aus dem Jahr 2020 ist nur die Rahmenhandlung des Adventures. Während der Renovierung entdecken wir vergessene Zeugnisse aus der Vergangenheit. Und hinter jedem Schatz versteckt sich eine einzigartige, persönliche Geschichte. Insgesamt reisen wir so in die Geschichten der Jahre 1933, 1945, 1967 und 1989 und erleben “am eigenen Leib” mit, was sich dort in The Berlin Apartment zugetragen hat.

Screenshot aus The Berlin Apartment
Welch Geheimnisse sich wohl in den Mauern der Wohnung finden lassen?

Drei Jahreszahlen dürften den findigen Geschichtsliebhabern sicherlich verraten, was ungefähr Thema sein könnte. 1989 beispielsweise ist eine romantische Geschichte eines Mannes, der eines Tages von der anderen Seite der Mauer einen Papierflieger erhält. Seine “Nachbarin” aus dem Westen will ihn kennenlernen und es geht in der Episode viel um die Sehnsucht, das einengende Korsett der DDR abzustreifen. Nicht unbedingt, weil das Regime für sich alleine kritisch beäugt wird. Sondern vielmehr die Sehnsucht danach, die Flügel ausstrecken zu können und neue Dinge zu sehen. Der sanfte, lockere Ton der Episode gefiel mir. Sie spielt viel mit der Ironie, dass sich nur einen Monat später in der DDR das Leben radikal ändern wird.

Täter und Opfer

Allgemein bekam ich beim Spielen von The Berlin Apartment das Gefühl, dass sich viel im Subtext der erzählten Geschichte abspielt. Wer die historischen Kontexte nicht kennt, der wird beispielsweise nicht viel schlauer werden, wenn er 1945 gemeinsam mit der Trümmerfrau und ihren Kindern Weihnachten feiert. Welche Last auf den Frauen lag, welche Dissonanz die unbekümmerte Unschuld der Kinder mit der Lebensrealität darstellt. Und welches Unheil der so vermisste Vater über andere Menschen gebracht hat. Noch ironischer wird es, wenn man anschließend 1933 in der Haut eines jüdischen Bewohners vom Appartement Vorbereitungen auf die anstehende Flucht trifft.

The Berlin Apartment ist kein Serious Game, welches die Inhalte reflektieren und einordnen will. Sondern vielmehr ein Serious Game, wo wir mit den Charakteren mitempfinden und dabei unser bereits existierendes Wissen reflektieren sollen. Mir gefällt der Ansatz sehr, auch wenn sich spielerisch im Vergleich mit anderen Ego-Adventures die Teilhabe in Grenzen hält. Oftmals rennt man von einer Ecke der Wohnung zur nächsten, von einem Interaktionspunkt zum nächsten. Manche “Minispiele” wie das Fliegen des Papierfliegers in 1989 lockern das Spielgeschehen auf, aber The Berlin Apartment will hier gar nicht spielerische Akzente setzen. Die Narrative steht im Fokus, der Artstyle unterstreicht diese und das Gamedesign dient als roter Faden.

The Berlin Apartment macht in meinen Augen eine spannende Designentscheidung. Nicht die Gräuel des Nationalsozialismus oder andere Schrecken, die man an der Mauergrenze erzählen könnte, stehen im Zentrum. Das überspannende Motiv aller Episoden bis hin zum Finale in 1967 ist Freiheit und Entfaltung.

Screenshot aus The Berlin Apartment
Wenige, seichte Minispiele bringen Abwechslung ins Interaktionspunkt-Auftöbern

Diese letzte Episode wird visuell und narrativ sehr kreativ. Und spielt zugleich enorm damit, welche Zwänge in der DDR für eine bestimmte Berufsgruppe existiert haben. Das Finale hat mich emotional nicht unberührt gelassen. Obwohl – und ich denke, da wird es keine zwei Meinungen geben – es weitaus härtere Themenbereiche gibt, die The Berlin Apartment anschneidet.

Eine Reise durch die Zeit

Mit gerade einmal drei bis vier Stunden hat The Berlin Apartment prinzipiell wenig Gelegenheit, auf all die Dimensionen, die sich in seinen Episoden wiederfinden, detailliert einzugehen. Der Fokus auf persönliche Kurzgeschichten war hier in meinen Augen eine gute Wahl. Auch wenn dadurch naturgegeben das Potenzial liegen gelassen wird, Menschen mit weniger Kenntnis über die deutsche Geschichte mitzunehmen. Wir könnten zudem die ewig lange und nie endende Debatte führen, wie viel Videospiel in einem Videospiel rein muss und was ein Videospiel zum Videospiel macht, aber…bla bla…

The Berlin Apartment weiß exakt, was es sein will. Ein Fenster in verschiedene Zeiten einer bewegten Stadt, welches seine Spielerschaft dazu einlädt, Situationen zu erleben, die wir so nicht erleben können. Und erst recht nicht wollen. Die vier Episoden, die wir betreten, haben alle auf ihre Weise einen relevanten Kern, den es auch in den nächsten Jahrzehnten zu bewahren gilt. Wenn man The Berlin Apartment etwas ankreiden kann, dann die fehlende Reflektion dieser Episoden in der Rahmenhandlung. Denn ich glaube, dass es auch im Leben von Malik und Dilara im heutigen Berlin die ein oder andere Geschichte zu erzählen gibt. Wie wahrscheinlich in unser aller Leben.

Einen Blick in die deutsche Geschichte auf PlayStation 5 geworfen. Ein herzlicher Dank geht an BTF Games für die Bereitstellung eines Mustercodes.