
»Welch ein lustiges Spiel! Es windet am Faden die Scheibe, Die von der Hand entfloh, eilig sich wieder herauf!«, schrieb einst Johann Wolfgang von Goethe nach einem Besuch in Venedig. Im Grunde haben sich Jojos in all den Jahrhunderten (oder Jahrtausenden, die Ursprünge sind unklar) kaum verändert. Mittlerweile blinken sie manchmal ganz farbenfroh. Und je nach Fadenlänge, Gewicht und Skill des Jojo-Spielers können manche obskure Tricks in die Luft gezaubert werden. Als Gimmick in Videospielen habe ich sie vor Pipistrello and the Cursed Yoyo kaum wahrgenommen. Und nach knapp 18 Stunden frage ich mich: Warum eigentlich? Denn das selbsternannte “Yoyovania” zeigt deutlich, wie man aus einer simplen Idee ein richtig gutes Spiel auf die Platte zaubern kann. Und wenn sich alles nur um eine Scheibe an einem Faden handelt.
Pipistrello und das verfluchte, verspielte, verflixte, verrückte Jojo
Die Hände unseres virtuellen Jojo-Meisters gehören Pippit Pipistrello, Mitglied der berüchtigten Pipistrello-Familie, welche das Energiemonopol über die Großstadt innehaben. Pippit hingegen möchte mit deren Machenschaften nichts zu tun haben, sondern lieber mit seinem Jojo ganz groß herauskommen. Doch man kann sich die Familie nicht aussuchen und als wir unsere Tante, Matriarch der Pipistrellos, besuchen, werden wir mitten ins Familienchaos gezogen.
Ehemalige Geschäftspartner dringen in Pipistrello Industries ein und versuchen mit vier Mega-Batterien die Seelenenergie der Madame einzufangen. Um unsere Tante zu retten, gehen wir mit unserem Jojo dazwischen und irgendwie gelingt es uns, ihre Seele zu einem Teil in unserem Trickspielzeug zu bewahren. Fortan gilt es also – ganz klassisch -, gemeinsam mit unserer Jojo-Tante die vier Mega-Batterien aufzuspüren und die Stadt vor der Ausbeutung durch raffgierige Fast-Food-Köche, Wettanbieter oder Marketingstrategen zu bewahren.

Und so streifen wir durch die Straßen und Kanäle der Stadt, lernen zahlreiche skurrile Charaktere kennen und pfuschen den ehemaligen Partnern der Pipistrello Familie ins Handwerk. Die Handlung ist weitestgehend geradlinig erzählt und wir wissen bereits sehr früh, wo sich das narrative Jojo entlang schlängeln wird. Sie punktet vor allem durch die humoristischen Dialoge von Pippit und seiner Tante einerseits und den zahlreichen Einwohner:innen der Stadt andererseits.
Die Welt als Star
Die Stadt ist eine wahre Augenweide. Dies liegt nicht nur an der wunderschönen GBA-Ästhetik, der sich Pipistrello and the Cursed Yoyo bedient. Sondern allen voran an der lebendig gestalteten und zugleich spielerisch komplexen Umgebung. Zwar verläuft die Handlung und somit das Spielgeschehen weitestgehend linear, dennoch gibt es zahlreiche Nebenstraßen oder Gebäude, die zum Erkunden einladen. Wie ihr allerdings vom vermeintlichen Genre ableiten könnt, sind naturgegeben viele dieser Bereiche erst mit den richtigen Fähigkeiten passierbar.
Diese lernen wir im Verlauf der Zeit, sofern wir es wagen, die vier großen Dungeons zu betreten. Jeder Dungeon gehört zu einem Geschäftspartner und passt thematisch sowohl in der Art seiner Gegner, als auch Rätsel und Atmosphäre zu dessen Eigenarten. Dazu passen dann auch die jeweiligen, meiner Ansicht nach kreativen Endbosse. Besonders die beiden Dungeons auf dem Festival und im Stadion gefielen mir diesbezüglich sehr gut.

Der Gameplayloop besteht im Grunde aus drei Aspekten: entweder wir kämpfen gegen ein sehr diverse gestaltetes Portfolio an Feinden, lösen Jojo-basierte Schalterrätsel oder verknüpfen unsere Bewegungsfähigkeiten in mit fortlaufender Spieldauer zusehends komplexer werdenden Parkour-Passagen.
Ein Jojo, sie zu knechten…
In der Regel hat es unser Pipistrello-Spross mit einer Reihe von wiederkehrenden Standardgegnern zu tun. Die irgendwie sehr klassischen Schleimtropfen dürfen da ebenso nicht fehlen wie fliegende Nervbienen und eine ganze Reihe anderer, spielerisch abwechslungsreicher Gegner. In den Dungeons kommen dann für den weiteren Verlauf auch spezialisierte Feinde hinzu. So gibt es beispielsweise im Stadion einen Baseballspieler, der sich wild um die eigene Achse dreht und somit nicht getroffen werden kann. Oder den Bauarbeiter mit wuchtigem Hammer, der allerdings nach seinem Schlag blank zieht und verwundbarer ist.
In der Regel hauen wir einmal kurz mit unserem Jojo zu, um Gegnern einen Teil ihrer Lebensenergie zu entziehen. Sind wir allerdings in der Oberwelt aufmerksam, können wir auch eine Reihe anderer Aufladetechniken lernen. Hier müssen wir uns allerdings für eine Technik im Geheimversteck entscheiden, da das gesamte Arsenal im Endeffekt zu mächtig wäre. Auch die story-gegebenen Bewegungsfähigkeiten können vereinzelt Schaden anrichten, stehen uns hingegen immer zur Verfügung.
So abwechslungsreich das Gegnerdesign über das gesamte Spiel hinweg auch ist, so banal spielen sich die meisten Kämpfe auf Dauer. Bis auf wenige Schwierigkeitsspitzen kommt man sehr gut durch, weil Gegner oft genug Rosenblätter fallen lassen, mit denen wir uns heilen können. Ein extremer Sprung in der Schwierigkeit ist hingegen der finale Boss des Spiels, der mir alles abverlangt hat. Immer wieder faszinierend, wie ein Spiel es schafft, eine Schwierigkeitskurve so flach über einen so langen Zeitraum zu halten, um dann am Ende ins Extrem abzudriften.
Bounce, bounce
Da ist die Lernkurve bei den Puzzle-Segmenten weitaus ausgeglichener. Pipistrello and the Cursed Yoyo’s Spielwelt ist in einzelne Bildschirme aufgeteilt, wodurch in der Regel eine gute Übersicht immer vorhanden ist. Jeder Raum bietet dabei eine Reihe von Schrägen oder anderweitigen Möglichkeiten, um das Potenzial des eigenen Jojos auszureizen. Zu Beginn sind Rätsel auf diese Weise eine Sache der richtigen Positionierung. Sobald bewegliche Elemente sowie Barrieren für Items oder Pippit selbst hinzukommen, werden sie komplexer.
Zudem gibt es immer wieder optionale Abschnitte in der offenen Stadt oder in den Dungeons, die eine zusätzliche Herausforderung bieten. Mir hat es viel Spaß gemacht, diese kleineren Zusatzrätsel (manchmal auch Kämpfe) zu absolvieren, vor allem weil diese eine ganze Reihe von Belohnungen bieten.

Rosenblätter beispielsweise erhöhen unser Leben, sofern wir acht Stück von ihnen ergattern können. AP-Splitter erhöhen die Slots, mit denen wir Abzeichen (ebenfalls auffindbar) ausrüsten können, welche uns Perks bieten. Dazu kehren wir einfach wieder in das Versteck der Pipistrello-Familie zurück und rüsten entsprechende Abzeichen aus. Eventuell finden wir auch nur Blaupausen, welche wir gegen eine Gebühr in ein Abzeichen verwandeln können.
Pipistrello und deren Gespür für die Moneten
Allgemein dreht sich im Spiel sehr viel um das liebe Geld. Besiegen wir Gegner oder zerstören Objekte, können Münzen oder sogar Geldsäckchen fallengelassen werden. Dieses Geld können wir nutzen, um Schnellreisepunkte freizuschalten, Blaupausen und Abzeichen zu veredeln oder unseren Skilltree aufzubauen.
Das System, um unserem Pipistrello weitere Fähigkeiten an die Hand zu geben, hat mir außerordentlich gut gefallen. Wir schließen mit unserer Verwandten im Geheimversteck einen Vertrag ab und erhalten den gewählten Boni sofort. Die Sache hat allerdings einen monetären Haken. Fortan müssen wir die Hälfte unserer zukünftigen Sammelei zurückzahlen, aber zugleich auch einen Malus in Kauf nehmen. Solange wir die individuellen Schulden haben, besitzen wir nicht nur den Boni, sondern zugleich auch einen negativen Effekt wie bspw. weniger Herzen. Habe ich in der Form wahrscheinlich noch bei keinem Spiel wahrgenommen.

Zum Glück haben diese negativen Effekte – wenn man von weniger Leben absieht – keine Auswirkungen auf das “Platforming”. Manche Abschnitte waren so hakelig zu steuern, dass ich gefühlt 95% meiner Tode und Game Over alleine hier mit ansehen durfte. Der Rest war wohl beim finalen Boss. Das ist wirklich schade, denn wenn die Fortbewegung mal läuft, dann macht es Spaß. Und die seltenen Passagen, in denen wir zeitlich unter Druck stehen, sind auch verzeihlich genug gestaltet, dass der Flow weitestgehend beibehalten wird.
Ein Jojo für Jedermann?
Ich persönlich finde ja den Begriff “Yoyovania”, der im Marketing für Pipistrello and the Cursed Yoyo verwendet wird, verwirrend. Vielmehr ist das Spiel nicht allein wegen seiner Perspektive eine Art Zelda-like. Auch strukturell, vom Ideenreichtum der Rätsel sowie im Kampfsystem habe ich mich nicht allzu selten an die Abenteuer aus Hyrule erinnert. Und doch ist Pipistrello so viel mehr als ein reiner Abklatsch einer wohlbekannten Formel.

Denn welch ein lustiges Spiel wir da haben! Pipistrello and the Cursed Yoyo schafft es mit seinem verfluchten Tanten-Jojo ein ungemein großes Repertoire an spielerischer Finesse zu präsentieren. Die vielen Ideen im Worldbuilding und Leveldesign, aber auch die humorvollen Charaktere haben mir Spaß gemacht. Getrübt wird das Spiel ein wenig davon, dass die Schwierigkeit auf mehreren Ebenen inkohärent wirkt und die Steuerung sich oftmals selbst im Weg steht. Oder sollte ich eher sagen, die Schnur des Jojos verheddert sich einstweilen? Nichtsdestotrotz sollten Genrefans definitiv einen Blick riskieren, denn Pippits Jojo-Künste werden sicherlich auch euch in ihren Bann ziehen.
Batterien auf PC eingesammelt. Ein herzlicher Dank geht an die PM Studios und Pocket Trap für die Bereitstellung eines Mustercodes.