Split Fiction (Coop-Review)

Artwork zu Split Fiction

»Hier zählt doch nur der reine Spielspaß« – was habe ich 2021 Sätze dieser oder ähnlicher Art verflucht. Mir verging zumindest im Laufe der spielerisch atemberaubenden Spielstunden von It takes two schnell selbiger. Dreh- und Angelpunkt war damals eine Szene, doch während ein Großteil der Welt von ihrer Darstellung erschrocken oder belustigt zugleich war, stellte sie für mich einen Wendepunkt im Storytelling des Abenteuers dar. Wenn ich irgendwann Zeit, das Abenteuer ein zweites Mal zu besuchen, und Lust habe, euch durch knochentrockene Storytheorie zu schleppen, komme ich eventuell darauf zurück. Zumindest war ich dementsprechend skeptisch, als Hazelight Studios vor wenigen Wochen… [Sascha Ritter]

…erst ihr neuestes Werk der Videospiellandschaft vorstellten. Aber hey, Skepsis beiseite geschoben, denn ja, auch wenn ich ebenso meine Problemchen mit It takes two hatte, Spaß hatten wir beide ja doch jede Menge. Auch an der Diskussion und Sezierung des Writings, aber das eher hinter verschlossenen Türen. Und dass ersteres auch bei Split Fiction wieder der Fall sein würde, davon war ich von Sekunde 1 an überzeugt.

“Ein Leser durchlebt tausend Leben, ehe er stirbt. Der Mann, der nie liest, lebt nur sein eigenes.” – George R.R. Martin (A Dance With Dragons)

Es verschlägt uns also in die Hallen von… [Barbara Ritter]

…Rader Publishing und ihre ziemlich seltsame Maschine. Unsere beiden Heldinnen von Split Fiction, Mio und Zoe, sind bisher unveröffentlichte Autoren. Mio mit ihrem Faible für Science-Fiction ist eine verschlossene und schnell aufgebrachte Persönlichkeit, während sich Zoe mit ihrer komplett gegensätzlichen Art direkt zu Beginn auf die Liste der nervigsten Personen von Mio arbeitet. Doch wie auch bei mir ist die Kraft der Skepsis stark in Mio und sie weigert sich schnell, in die Raders Maschine zu steigen. Ein Handgemenge später passiert das Unglück und plötzlich findet sie sich in der fantasievollen Welt ihrer nervigen Mitautorin wieder. Welch grausames Schicksal, denn…

…von nun an müssen die beiden allen Unterschieden zum Trotz zusammenarbeiten. Und das, obwohl Mio doch von Fantasy so rein gar nichts hält. Doch schon binnen wenigen Augenblicken wird klar, dass die Maschine nicht damit umgehen kann, dass sich gleich zwei Menschen auf einmal in einer aktiven Instanz befinden. Es passiert, was passieren muss – Glitches tauchen auf und binnen weniger Momente befinden sich die beiden unter Beschuss. Weg aus der beschaulichen Hütte, direkt aufs Schlachtfeld inklusive Kampfanzügen. Huch? Hat sich da etwa auch ein bisschen was von Mios Kreativität reingemischt? Die Sorge, nicht verlegt zu werden, wird alsbald durch Raders…

…Einmischung nur noch intensiver. Denn kaum haben Mio und Zoe den ersten Glitch entdeckt, öffnet sich die Hülle ihrer virtuellen Realität ein Stück weit. Dies schmeckt vor allem dem CEO von Rader gar nicht. Er setzt alle ihm zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung, um Mio und Zoe davon abzuhalten, weitere Glitches aufzuspüren. Wäre doch zu schade, um all die gerade erst geklauten Ideen dieser namenlosen Hobby-Autor:innen, die sich Ruhm, Ehre und einen Verlag erträumen. Rader kann diese Ideen viel besser mit der ominösen Maschine gebrauchen, welche unsere Heldinnen auf eine atemberaubende Reise schickt. Fortan sind Roboter oder Drachen…

Screenshot aus Split Fiction. Darstellung eines Splitscreens, auf beiden Hälften sehen wir die Spielfigur auf einem Drachen reiten.
Drachenreiten – wupp wupp!

…ständige Begleiter während wir uns mal durch Fantasy-Welt hier oder Sci-Fi-Dystopie dort schlagen. Gleichzeitig erkunden wir, was die beiden bewegt, welcher Teil von ihnen in ihre Werke fließt und sie nähern sich Stück für Stück im Lauf des Abenteuers an. Und die Skepsis war hier auch wirklich umsonst: das Writing mag zwar nie die Höhen von Brothers erreichen, bleibt aber auch von den Tiefen von It Takes Two meilenweit entfernt.

“Ich denke, unser Überleben könnte davon abhängen, dass wir miteinander reden” – Dan Simmons (Hyperion)

Wie schon die beiden vorherigen Titel aus dem Hause Hazelight Studios, so ist auch Split Fiction…

…ein Koop-Abenteuer für zwei, die sich fast wie selbstverständlich im Geiste ergänzen können. Und so reisen wir im Tandem, getrennt durch eine dünne, schwarze Linie, durch die diversen Welten aus Mio’ und Zoes Vorstellungskraft. Und wie auch It Takes Two…Moment…was genau passiert hier eigentlich? Ich wollte doch noch meinen Sermon ablassen über die Story, wie viel besser die Prämisse von Split Fiction zu dieser Form der Narrative passt. Ohne den Ballast großer Character Arc- und Theme-Elementen, die mehr versprechen, als sie am Ende einhalten, und diese erst im Laufe organisch entwickeln. Lediglich Rader als Bösewicht hat mich enorm gefrustet, denn…

… dieser bleibt von Anfang bis Ende eine furchtbar langweilige Abziehfigur ohne auch nur einen Funken Tiefe. Aber viel wichtiger: ich wollte ja eigentlich davon reden, wie jedes Kapitel eine andere Geschichte der Bibliographie unserer beiden Autorinnen darstellt! Und in jedem einzelnen Kapitel werden uns andere Fähigkeiten an die Hand gegeben, mit denen wir gezielt einander aushelfen müssen, um voranzukommen. Es beginnt im ersten größeren Kapitel mit einem Schwert, mit dessen Hilfe Mio die Regeln der Gravitation biegen kann,  während Zoe mit einer Peitsche ausgestattet ist, die über Entfernungen Schalten betätigen und Hindernisse aus dem Weg räumen kann. Später werden…

…wir darüber reden müssen, was hier passiert. Ganz geheuer ist es mir nicht, dass wir jetzt plötzlich wieder über die in meinen Augen sehr kreativen Levelideen sprechen. Dabei sind es vor allem die Fantasywelten von Zoe, die sowohl visuell als auch spielerisch beeindrucken. Verliebt habe ich mich ganz besonders in die Abschnitte, in denen Mio oder Zoe das Level selbst steuern, um dem jeweils anderen das Vorankommen zu erleichtern. Mios Dystopien hingegen sehen visuell ebenfalls klasse aus, bestechen aber vermehrt durch ihren Fokus auf Action-haltiges Gameplay. 

Screenshot aus Split Fiction. Darstellung einer Landschaft einer Fantasie-Welt.
Manch Anblick in Split Fiction ist unbeschreiblich

Hazelights Koop-Designphilosophie hat sich in Split Fiction noch einmal um einige Ecken verbessert. Kaum…

…ein Levelabschnitt kann nicht überzeugen, egal ob auf visueller Ebene oder durchs Leveldesign. Beim Vorgänger hatte ich oft das Gefühl, dass zwar das Spiel nur so vor Ideen sprudelt, aber denen oft nicht genug Raum gegeben wird, dass diese sich vollkommen entfalten können. In Split Fiction lässt sich jedes Kapitel genug Zeit, Ideen dürfen sich weiterentwickeln und kulminieren in immer größer werdenden Herausforderungen. Und Bosskämpfen! Die sind größtenteils auch ein richtiges Fest, benötigen stets die Zusammenarbeit von Mio und Zoe. Ein paar wenige wurden später etwas unübersichtlich, aber da es immer weiter ging, solange einer von uns beiden am Leben…

…blieb, stellt sich unsere Fallhöhe dementsprechend niedrig dar. Zugleich sind die Checkpoints in den Welten sehr großzügig gesetzt. Dies ermöglicht es auch unerfahrenen Spieler:innen mit wenig Frust Roboter zu verschrotten oder Drachen zu reiten. Nichtsdestotrotz würde ich Split Fiction als anspruchsvoller bezeichnen, als die bisherigen Titel von Hazelight, gerade weil jedes Quäntchen aus der Spielmechanik herausgeholt wird, was geht.

“Nicht jeder, der wandert, verlorn” – J.R.R. Tolkien (The Fellowship of the Ring)

Dabei steht in Split Fiction stets die Abwechslung im Vordergrund. Eine waghalsige Motorrad-Flucht kann gefolgt werden von einem zweidimensionalen Platforming-Segment, welches wiederum in einem Schusswechsel mit…

… angriffslustigen Drohnen mündet – man merkt schnell, langweilig wird Split Fiction nie. Waren es überhaupt Drohnen oder auf was wurde hier gleich nochmal angespielt? Ich bin ja fast versucht nochmal für ‘nen Moment in einem Walkthrough nachzuschlagen. Aber das passt zugleich auch ein bisschen zu einem klitzekleinen Problem, das ich mit Split Fiction habe – es gönnt sich zu wenige Pausen. Von Actionsequenz zu Actionsequenz, das Adrenalin wird eigentlich konstant oben gehalten. Das sorgt bei mir dann dazu, dass viele Szenen im Kopf ineinander überblenden und vor allem das Gefühl des Adrenalinrausches bleibt – die Reihenfolge der Szenen selbst gerät dabei in…

…seltsame Momente hinein. Wie dieser Text hier, wie mir scheint. Sei’s drum, denn auch Split Fiction ist hin und wieder ganz schön “seltsam”. Vor allem die an versteckten Orten eingestreuten Nebengeschichten, welche auf losen Ideen unserer Heldinnen beruhen, wissen die Grenzen des Erfahrbaren auszuloten. Furzende Schweine, Highspeed-Gleitflüge oder geleeartige Zahnabenteuer (ja, das Wort zieh ich mir gerade aus den Haaren) – hier warten definitiv Überraschungen der besonderen Art auf uns. Leider habe ich die Duell-Spiele, die es in It Takes Two gab, schmerzlich vermisst. Einige wenige Nebengeschichten greifen zwar auf, dass Koop-Partner auch Gegner sein können, doch diese Form der Abwechslung…

… bleibt uns verwehrt. Aber nachdem es doch eigentlich ständig was Neues gibt, finde ich es dann doch arg paradox, sich über fehlende Abwechslung zu beschweren. Aber zugegeben. Das I-Tüpfelchen wären ein paar kompetitive Spielchen oder Level schon gewesen.

„Es gibt kein wirkliches Ende. Es ist nur der Punkt, an dem du die Geschichte beendest.“ – Frei nach Frank Herbert

Ungefähr 12 Stunden hat unser Trip gedauert. 12 Stunden Action, 12 Stunden Spaß. Viele Highlights, keine wirklichen Durchhänger. Aber wenn ich ein Highlight nennen würde, dann war’s das ganze Finale. Natürlich ist gerade das Finale jetzt nichts, was ich im Detail…

…beschreiben würde. Ein wenig Überraschung soll für euch schon verbleiben. Was Split Fiction allerdings hier technisch aufs Parkett liefert, ist aller Ehren wert. Wenn ihr von gewissen Momenten in Titeln wie Spider-Man 2 oder Ratchet and Clank: Rift Apart begeistert wart, werdet ihr es hier wahrscheinlich auch sein. Hazelight brach hier im letzten Kapitel sowohl inszenatorisch, als auch spielerisch meine Erwartungen und setzt so auf ein Abenteuer, was sich von Spielstunde zu Spielstunde immer mehr steigert, den fast perfekten Schlusspunkt.

Doch wie findet man in solch einer zwischen den Welten wandernden Review den perfekten Schlusspunkt? Meine Person tendiert zum Stempel.

Ein Stempel? Die höchste Auszeichnung, die das Village so zu bieten hat? Vielleicht bin ich überkritisch, denn ja, Split Fiction ist wohl so ziemlich das Beste, was man im Coop-Bereich finden kann und es ist toll zu sehen, wie Hazelight hier seine Nische gefunden hat. Und trotzdem war ich nach einer Stunde – spätestens anderthalb – einfach müde und habe eine Pause gebraucht. Es war einfach zu viel und gerade das galoppierende Pacing trage ich dem Spiel dann doch am ehesten nach. Wenn man hin und wieder die Geschwindigkeit nur etwas herausgenommen hätte, so hätten die intensiven Momente nur noch intensiver gewirkt.

Pacing ist ein guter Punkt, gerade in den ersten Sci-Fi-Welten wird uns wenig Ruhe gegönnt. Da wirken die Fantasy-Areale weitaus stimmiger. Aber ja, ein Stempel ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass ich Split Fiction weit besser als das letzte Spiel des Studios empfand. Es ist in nahezu allen Bereichen das beste Werk der Schweden. Die Narrative passt besser zum Spieldesign, der spielerische Ideenreichtum in den Leveln ist höher und allen voran fokussierter. Aber wenn wir nach wenigen Stunden ermattet den Controller zur Seite legen müssen, weil Split Fiction nahezu pausenlos aufs Gas drückt, zählt eben nicht nur der Spielspaß allein.


Auf PlayStation 5 gemeinsame Abenteuer durchgestanden. Ein herzlicher Dank geht an Hazelight Studios und Electronic Arts für die Bereitstellung eines Mustercodes.