Ever17 – The Out of Infinity (Review)

Kotaro Uchikoshi hat mit seiner Zero Escape-Reihe ein Gespür für spannende, mehrschichtige Science-Fiction-Geschichten bewiesen. Doch 999 war bei weitem nicht Uchikoshis erstes Werk. Vor der Zero Escape-Serie hat Uchikoshi bereits eine Science-Fiction-orientierte Visual Novel-Serie geschrieben: Die Infinity-Reihe. Viele Konzepte, die in Zero Escape und insbesondere Virtue’s Last Reward Verwendung gefunden haben, sind in der Infinity-Reihe, speziell in Ever17, bereits erprobt worden. In Kürze werden Never7 – gestern bereits von meinem Kollegen Sascha besprochen – und Ever17: The Out of Infinity auf Nintendo Switch und PlayStation 4 neu aufgelegt und erstmals auf Englisch veröffentlicht.

In Ever17 schlüpft der Spieler in die Rolle von Takeshi Kuranari, der mit zwei Freunden die Unterwasser-Station LeMU besucht. Doch was als harmloser Freizeitparkbesuch beginnt, entwickelt sich schnell zu einer fundamentalen Bedrohung. Ein Alarm wird ausgelöst und LeMU soll evakuiert werden. Leider schafft es Takeshi nicht rechtzeitig zu den Rettungskapseln. Gemeinsam mit einer Gruppe weiterer junger Menschen bleibt Takeshi zurück. Die anfängliche Hoffnung, dass man einfach auf Rettung warten könne, zerschlägt sich schnell, denn LeMU ist strukturell dem Untergang geweiht und so müssen Takeshi und seine frisch gewonnenen Freunde einen Weg finden, von LeMU zu fliehen.

Im Gegensatz zu Uchikoshis neueren Werken ist Ever17 eine reine Visual Novel ohne Rätsel oder sonstige Gameplay-Elemente. Abseits vom Lesen von Text gibt es nur eine Hand voll von Entscheidungen, die man im Spiel treffen kann und die den weiteren Geschichtenverlauf beeinflussen. Insofern ähnelt Ever17 eher Visual Novels wie Steins;Gate, als den kombinieren Knobelspielen der jüngeren Jahre. Leider hat die Struktur aber auch erhebliche Nachteile. Wie oft in solchen Visual Novels hat auch Ever17 verschiedene Routen mit insgesamt neun verschiedenen Enden – wobei manche Enden nur gute / schlechte Variationen des gleichen Pfades sind. Möchte man nach dem Abschluss des ersten Pfades auch die anderen Pfade erkunden – und das ist dringend zu empfehlen, denn der Großteil der Geschichte erschließt sich erst auf dem letzten Pfad – steckt das Spiel aber randvoll mit Redundanz.

Einen Entscheidungsbaum wie in den Zero Escape-Spielen gibt es nicht, stattdessen muss man die Geschichte für jeden neuen Pfad von vorn neu durchlaufen. Zwar kann man bereits gelesenen Text automatisch schnell ablaufen lassen, aber das Spiel ist sehr konservativ bei der Beurteilung, was gelesener Text ist. Ich habe von den 40 Stunden, die ich mit Ever17 zugebracht habe, locker 20 Stunden mit dem Lesen bereits bekannter Texte zugebracht, die sich allenfalls durch einen eingestreuten abweichenden Satz über eine halbe Stunde hinweg unterscheiden.

Dass man vier komplette „gute“ Routen durchlaufen muss, die immer erst gegen Ende deutlich abweichen, bevor man die aufklärende fünfte Route betreten kann, sorgt dafür, dass sich viele Ideen der Geschichte stark abnutzen. Die wissenschaftlich inspirierten Konzepte, die der übergreifenden Geschichte zugrunde liegen, werden in den vorausgehenden Routen nur moderat angedeutet, so dass die letzte Route dann inhaltlich sehr intensiv ist und die erzählerischen Stärken Uchikoshis stark betonen. Es ist allerdings sehr mühsam und über längere Phasen auch schlichtweg langweilig, da überhaupt erst hinzugelangen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Grundideen von Ever17 in Virtue’s Last Reward noch einmal aufgegriffen, aber in einem deutlich attraktiveren Gesamtpaket verarbeitet wurden. Das soll nicht heißen, dass Ever17 durch Virtue’s Last Reward redundant wird, alleine schon weil Ever17 einen deutlich anderen Ton trifft als Virtue’s Last Reward und obendrein fast gänzlich auf Gewalt verzichtet. Zudem merkt man Ever17 auch noch an, dass es strukturell noch ein wenig in der Tradition der Dating-VNs steht, an denen Uchikoshi zuvor gearbeitet hat.

Ein weiterer Punkt, der bei Ever17 etwas sperrig ist, ist das intransparente System, mit dem das Spiel entscheidet, welche Wahlen in den Gesprächen zu welchen Pfaden und Enden führen. Um das Spiel vor dem Review durchspielen zu können und nicht völlig wild herumzuprobieren, blieb mir am Ende nichts weiter übrig, als eine grobe Flowchart mit den wichtigsten Entscheidungen zu Rate zu ziehen; schon das Erreichen des ersten guten Endes hatte mich zuvor fünf komplette Durchgänge gekostet. Da das Spiel einen sehr geringen Interaktionsgrad hat und das Suchen nach spezifischen Kombinationen von Antwortmöglichkeiten eine riesige Menge Zeit frisst, hätte man in meinen Augen hierfür beim Rerelease unbedingt eine neue und bessere Lösung suchen müssen.

Optisch ist Ever17 sehr ansehnlich. Natürlich basiert das Spiel größtenteils auf statischen Hintergründen mit Comic-Zeichnungen von Spielfiguren in einer Hand voll vorgegebenen Posen, sowohl Hintergründe als auch Spielfiguren sind aber sehr sorgfältig designt und sind sehr ausdrucksstark. Auch musikalisch wird gute Kost geboten, die mich allerdings sehr stark an die Musik aus den Zero Escape-Spielen erinnert. Dass ich diese gespielt habe, ist bereits einige Jahre her, so dass ich mir nicht gänzlich sicher bin, in meinem Kopf sind aber einige Grundkompositionen sogar identisch. Die japanische Sprachausgabe trägt die Atmosphäre gut mit und ist aus meiner Sicht als jemand, der keinerlei Japanisch versteht, gelungen.

Ever17: The Out of Infinity ist eine gut geschriebene Visual Novel, die allerdings in vielerlei Hinsicht sehr sperrig ist und dadurch hinter späteren Werken Uchikoshis zurücktreten muss. Die Konstruktion der Geschichte ist aber durchaus clever und wer die Muße aufbringt, sich durch einige handfeste Redundanzen zu kämpfen, der wird am Ende wirklich belohnt. Wer erste Erfahrungen mit Uchokoshis Arbeit machen möchte, dem würde ich eher Virtue’s Last Reward ans Herz legen, wer die Zero Escape Spiele aber schon alle gespielt hat und mochte, dem sei auch Ever17 durchaus ans Herz gelegt.

Vielen Dank an Spike Chunsoft für die Bereitstellung des Testmusters. Getestet auf Nintendo Switch.