The Stone of Madness (Review)

In einem Kloster, tief in den Pyrenäen des 18. Jahrhunderts, spielen sich unangehme Dinge ab. Nicht nur beherbergt das Gotteshaus – oder eher, die Gottesburg – ein kleines, den Zeiten angemessenes Irrenhaus, in dem Patienten alles andere als wohlmeinend und unterstützend  behandelt werden, sondern ein eine Lokalverwaltung der örtlichen Inquisation und deren ganz eigene Versionen von behördlichem Betrieb und Gefängnis.

Und als wäre das nicht genug, treiben auch mysteriös-gruselige Geistererscheinungen ihr Unwesen in und um die klösterlichen Räume.

Screenshot: Leonora begutachtet den Stein.

In diese gemütliche Atmosphäre übernehmt ihr zunächst die Rolle von Bruder Alfredo. Leider ist der Priester nicht in dienstlicher Absicht hier, sondern ebenfalls als Gefangener der Kirche, was sein Leben nicht eben komfortabler macht.

Während seiner Spaziergänge durch das Kloster, in denen er Wachen und der eigenen Priesterkonkurrenz lieber aus dem Weg geht, macht er die Bekanntschaft einiger Mitgefangener: Ein buntes Sammelsurium an Charakteren, die man in diesen Lebensverhältnissen wirklich nicht sein möchte. Eduardo ist ein mächtig starker, aber sehr wortkarger Riese, der sehr offensichtlich schon einiges im Leben erlebt hat.

Leonora sieht aus wie das nette Dorfmädchen aus der Nachbarschaft, bis man erlebt, was für Kunststücke sie mit einem Messer und einer Wache anfangen kann. Oma Agnes ist schlicht und einfach eine Hexe, im rein beruflichen Sinne, und die kleine Amelia streunt gern an Orten herum, an denen sie absolut nichts zu suchen hat. Und allen gemein ist, dass sie schleunigst das Kloster verlassen wollen. 

Screenshot des Spieles

Mitten in den ersten Versuchen eines Ausbruchsplans passieren jedoch Dinge, die sämtliche Prioritäten durcheinanderwürfeln – anstatt des Haupttors und der Freiheit findet unsere Bande an Aussätzigen den titelgebenden Stein des Wahnsinns. Und das nicht eben zufällig auf der Straße liegend, sondern an einem weitaus unpraktischeren Ort, an dem ein Stein definitiv nichts zu suchen hat. Sagen wir einfach, jemand hat die Redewendung “Den Kopf in den Sand stecken” grundlegend verkehrt herum verstanden. 

Anhand des nicht gerade zurückhaltenden Themas voller kirchlichen und düsteren Themen, und der grundlegend ständig vorhandenen Schwere des Settings ist schon mal klar: Die Macher von Blasphemous sind zurück, und statt eines weiteren Soulslike-Plattformers präsentieren sie euch ihre Version eines Echtzeit-Strategierollenspiels: The Stone of Madness von The Game Kitchen erinnert zwischenzeitlich stark an Spellbound Entertainment’s Klassiker Robin Hood oder Desperados, wer sich in dieser Nische wohlfühlt, darf gern schon mal unbesehen zugreifen – muss aber etwas Geduld für Bugs und Fehlerchen mitbringen.

Screenshot des Spieles

Wer nicht so fit im Grundkurs “Schleichi Schleichi, ups, entdeckt”  ist, dem sei das Spielprinzip schnell erklärt: Ihr übernehmt in wunderhübschen, isometrischen 2D-Grafiken die Kontrolle über ein vierköpfiges Team, dass ihr euch aus der Ausbrecherbande für jeden Tag selbst zusammenstellt. Dann schleicht ihr durch die verschlungenen Wege, Plätze und Korridore des Klosters und stellt sicher, dass ihr euch weder von Wachen sehen lasst noch anderweitig ein großes Tohuwabohu anfangt, dass die Aufmerksamkeit auf euch lenken könnte. Schleichen und vorsichtiges Pirschen sind angesagt, zusätzlich haben eure neu gefundenen Partner jeweils eigene, spezielle Fähigkeiten, die die Zusammenarbeit während des Ausbruchs besser fördern als jede Teambildungsmaßnahme es jemals schaffen könnte.  

Alfredo beherrscht die Macht des Feuers, was heißt, er hat ein Lämpchen dabei, welches dunkle Wege erleuchtet, oder kann Geister temporär außer Gefecht setzen, vor Toten hat er jedoch tierische Angst. Leonora tangiert, wie schon angedeutet, eher zu gewalttätigen, aber hilfreichen Eskapaden, fürchtet sich aber vor Feuer. Der große Eduardo kann seine Muskeln spielen lassen, hat aber Angst im Dunkeln. Ihr seht, worauf dies hinausläuft: Jeder Charakter hat sehr, sehr hilfreiche Fähigkeiten, aber mindestens eine große Schwachstelle, die wiederum die Hilfe eines anderen Charakters braucht – nicht nur erzähltechnisch sind die fünf aufeinander angewiesen, auch im Gameplay selbst ist es wichtig, keine Alleingänge zu wagen. 

Screenshot: Charakterfreischaltung

Solltet ihr gefangen oder auch nur in kompromittierenden Situationen gesehen werden, landet der Charakter wieder in der Zelle, und darf erst am nächsten Tag wieder mit auf Wanderschaften gehen, was in vielen Situationen für die ganze Gruppe den Feierabend einläutet, da alle Charakterfertigkeiten durchaus oft gebraucht werden. Außerdem solltet ihr ein Auge auf eure geistige Gesundheit haben, was – wie zu erwarten – in dieser Umgebung eher schwierig ist. Bleibt ein Teammitglied für kurze Zeit seinen Phobien ausgesetzt, steigt der geistiger Schaden. Wenn ihr es hier übertreibt, entstehen im schlechtesten Fall neue Phobien oder Ängste für den jeweiligen Charakter, was das ganze Unternehmen noch einmal gewaltig erschwert.

Aber keine Sorge, am Ende jedes Tages habt ihr durch verschiedene Shops oder Fertigkeiten die Möglichkeit, Angst, Ausgelaugtheit oder genommenen Schäden wenigstens minimal entgegenzuwirken, um am nächsten Tag einigermaßen gestärkt einen neuen Versuch zu starten. Zumindest, wenn ihr während eurer eigentlichen Mission genügend Zutaten und/oder Geld gesammelt habt, um euch Verbände, Gebrauchsgegenstände oder sonstige Unterstützung leisten zu können. Dann geht die Bande schlafen, um am nächsten Tag erneut einen Ausflug durch die Klostergänge zu wagen. Hier kommt ein kleiner Roguelike-Faktor ins Spiel, der jedoch glücklicherweise immer hinter dem taktischen Gameplay anstehen muss.

Nicht nur ist das Spiel an sich eine abenteuerliche Mischung aus storybasierten Missionen und einer Art Free-Form Klosterforschung je nach Spielerneugier, auch die einzelnen Charaktere sind trotz aller festen Aufgabenverteilungen zumindest teilweise eurer Entscheidung ausgesetzt. Verschiedene zusätzliche, komplett neue oder verbesserte Skills und Fertigkeiten lassen sich über das Spiel hinweg freischalten – wie schon die Standardskills sind diese für jeden Charakter grundlegend unterschiedlich. Keiner der Unglücklichen spielt sich wie der andere, dennoch lassen sich mit allen Kombinationen spannende Symbiosen finden.

Screenshot des Spieles

Mit dem bereits erwähnten Fund des Steinchens stehen euch zwei Spielwege offen. Beide erzählen grundlegend unterschiedliche Geschichten, aber beide untermauern auch die teilweise absurd düsteren Geschichten und Ereignisse, die innerhalb der Klostermauern vor sich gehen. Was beide definitiv gemeinsam haben sind teilweise extrem ideenreiche Setups in den Umgebungen, und kleine und große Geschichten rund um den Stein, das Kirchenhaus und dessen Bewohner. 

Stone of Madness hat aber auch ungewollt negative Seiten. Manchmal sind die Szenarios und Hindernisse sowohl storymäßig als auch spielerisch frustrierend. Ein Geist, der plötzlich genau auf eurem Spieler auftaucht, oder eine Bärenfalle im Ausgangsbereich, die nahezu unsichtbar (und immens unpassend) für ein schnelles Tagesende sorgt, ärgern genauso wie zahlreiche kleine, aber deutliche Bugs oder Designproblemchen, bei denen nicht ganz zuendegedacht wurde. Wird ein Teammitglied gefasst, spielt eine automatische kleine Cutscene, in der ihr nichts tun könnt – sollte diese zuende sein, und ein weiterer Charakter in Reichweite der nun neu gespawnten Wache stehen, seit ihr so lange in einem Loop aus Zwischensequenzen gefangen, bis alle sichtbaren Charaktere geschnappt wurden.

Leider ist damit noch lang nicht Schluss: Achievements, die euch für beispielsweise fünf durchgeführte Aktionen belohnen, tun dies auch, wenn ihr ein und dieselbe Aktion nach einem todesbegründeten Neustart durchführt. Oder: Euer gesamtes Team wurde geschnappt, die Lage ist aussichtslos, doch plötzlich spielt eine Zwischensequenz und alle vier Charaktere sind wieder fit am Start, als wäre nichts passiert. Oder: Euer Charakter schwuppst plötzlich durch eine Wand und verabschiedet sich damit bis auf weiteres von jeglicher Verantwortung, bis ihr einen neuen Tag startet.. Viele kleine, aber manchmal eben auch größere dieser Problemchen erinnern euch immer wieder daran, dass ihr es hier nicht mit einem “Triple-A”-Titel, sondern mit einem mit teils heißer Nadel gestrickten Indiegame zu tun habt. In einem präzisen und spannenden Stealth-Spiel ist das eher enervierend als sympathisch, und das Spiel wird dieses “Jank”-Gefühl nie ganz los.

Auch die Steuerung fühlt sich zu jeder Zeit ein wenig überladen an – vielleicht liegt es an der angepeilten Gleichstellung zwischen Controller und Maus/Tastatur, vielleicht liegt es an mir. Zumindest aber denke ich, durch ein paar Icons und ein bisschen Aufräumarbeit in der Tastenbelegung könnte das Spiel um einiges freundlicher zu spielen sein, als es aktuell der Fall ist. Eine Lernphase ist definitiv nötig, gerade wenn ihr gern mal die Charaktere wechselt, und erst recht wenn komplexere Fähigkeiten – wie die Magie von Hexenomi Agnes – im Spiel ist. 

Dennoch: The Stone of Madness bietet viel mehr, als es eigentlich sollte. Die vom Spiel nicht oft, aber wirkungsvoll eingesetzten Zeichentricksequenzen sehen fantastisch aus. Das kooperative Schleichkonzept funktioniert oft hervorragend, und ist besonders dann spannend, wenn zwei oder mehr Charaktere sich sowohl unterstützen als sich auch gegenseitig in die Phobien spielen. Die Umgebungsgrafiken und Animationen sind immer hübsch, und teilweise wunderbar atmosphärisch. Während viele Aufgaben oder Miniquests innerhalb der großen Storyline nichts besonderes sind, werden euch andere tagelang beschäftigen – was sowohl so manches präsentierte Puzzle angeht, aber auch die ein oder andere spannende oder verstörende Geschichte.

Ob die technischen Schwächen und Designprobleme letztendlich schwerer wiegen als die durchaus spannende Story und das ebenso spannende Gameplay selbst, kann ich nicht hundertprozentig und allgemeingültig beurteilen. In vielen anderen Spielen wäre es halb so wild, aber in einem Spiel mit einem Fokus auf teils hammerharten Stealth und genaue Positionierung kann einen schon ein kleiner Bug in den sprichwörtlichen Wahnsinn treiben. Dennoch: Spielenswert ist The Stone of Madness auf jeden Fall, und es belohnt eure Geduld mit einer Strategie-Schleicherfahrung, die es heutzutage nur noch selten ohne Kompromisse auf aktuelle Spielplattformen schafft. 

Ein herzliches Dankeschön an The Game Kitchen für die Bereitstellung des Mustercodes. Getestet auf PC.