Rearview Mirror (Review)

Artwork zu Rearview Mirror

Ich war lange Zeit kein großer Freund von Early Access. Zu lange hatte ich das Vorurteil in meinem Kopf, dass darunter viele Entwickler:innen sind, die einfach schnelles Geld machen wollen. Nach meiner EA-Preview zu Rearview Mirror im März diesen Jahres, dachte ich, dass ich erstmals in diesem Vorurteil bestätigt werde. Der Full Release war für April geplant, das bis dahin spielbare Material war nicht mehr als ein Appetithäppchen. Wirklich stark wurde meine Vermutung, als es keinerlei neue Info vonseiten Cubus Games gab, als der angedachte Release ins Land zog. Und auch in den Steam-Diskussionsforen war mehr oder weniger Funkstille trotz einiger positiver Meldungen. Doch ich hab mich (irgendwie) getäuscht, denn Ende des vergangenen Monats hat sich still und heimlich der 1.0-Release zugetragen. Also alle Vorurteile aus dem Fenster geworfen und Blinker Richtung vollständiger Review gesetzt! Doch so richtig wollte Rearview Mirror dann als volles Spiel nicht in die Gänge kommen.

Rearview Mirror und unsere kriminelle Vergangenheit

Wer meine Preview in blasser Erinnerung hat, der dürfte in den nächsten Abschnitten ein kleines Déjà-vu erleben. Denn selbstverständlich geht es in Rearview Mirror auch nach dem vollen Release weiterhin um Salvatore. Nach zwanzig Jahren Haft kehrt er in eine für ihn komplett fremde Welt zurück. Nicht nur hat sich seine Familie von ihm entfernt, seine Tochter ist ihm sogar gänzlich unbekannt. Die Gesellschaft hat keinen Platz für ehemalige Verbrecher ohne Abschluss. Und Smartphones erst – o weh!

Weil Salvatore seine alten Kollegen in all den Jahren nicht verpfiffen hat, machen sie ihm ein Angebot (was er nicht ausschlagen kann, hihi). Als Fahrer einer Limousine soll er kleinere Arbeiten erledigen. Natürlich ohne in den Sog aus kriminellen Machenschaften gezogen zu werden. Verbrecher-Ehrenwort!

Screenshot aus Rearview Mirror
Der rohe Artstyle aus der Preview wurde beibehalten – sehr schön!

Wahnsinnig, wie man dieselbe Prämisse mit anderen Worten beschreiben kann. Denn fortan ist genau dies unsere Aufgabe in Rearview Mirror: Unsere Aufträge führen uns unumwunden in Situationen, die unsere Moral auf die Probe stellen. Einer Prostituierten aushelfen, die von ihrem Freier drangsaliert wird? Einem wichtigen Telefonat einer noch wichtigeren Politikerin zuhören? Oder vielleicht sogar gemeinsame Sache mit den Polizeibehörden machen? Die Entscheidungen liegen in Kern-Szenarien bei uns, individualisieren unseren ersten Durchgang und garantieren bei einem Replay definitiv den Wiederspielwert. Klassisches Entscheidungs-Adventure-Gameplay eben.

Der Teufel steckt im Detail

Es wäre allerdings nur sehr schön, wenn mir nicht nach einem Durchgang bereits die Lust vergangen wäre. Rearview Mirror hat keine schlechte Story, aber vieles bewegt sich zwar auf einem soliden, aber zugleich altbekannten und staubigen Niveau. Ich erwarte jetzt sicherlich keinen psychologisch aufgeladenen Thriller a la Collateral von der Komplexität. Aber mir fehlte auf inhaltlicher Ebene das gewisse Etwas, was Rearview Mirror auszeichnen und eigene Identität geben soll.

Jetzt dürften all jene, die das Spiel bereits gespielt haben anführen: »Aber Sascha, diese eine Person, welche im Laufe des Spiels mehrmals auftaucht…diese ist doch etwas besonderes!« Und ich würde dem widersprechen. Auf unseren Fahrten durch die kriminelle Unterwelt begegnen wir einer Figur, welche das Genre komplett auf den Kopf stellt. Was in der Regel ein Crime-Drama ist, entwickelt fantastische Züge, die in meinen Augen komplett deplatziert wirken. Wer Fantasy hineinbringt, sollte dies in meinen Augen auch auf sinnvolle Weise tun. Rearview Mirror tut dies nicht, dafür wirken die seltenen Szenen zu zusammenhanglos.

Screenshot aus Rearview Mirror
No risk, no fun!

Im Gegenteil haben diese bei der “Enthüllung” angefangen, mich enorm zu stören. War es zu Beginn ein spannendes Mysterium, das gut in die geheimnisvolle Welt von Korruption und Verbrechen gepasst hat, enttäuschte die Auflösung auf ganzer Linie. Da narrativ aus dieser Figur im Grunde nichts gemacht wurde, fällt hier mein Urteil umso harscher aus. Vielmehr wirkt die Figur wie ein Entwickler-Stand-In: Ein Charakter, der das Allwissen des Entwicklers hat und uns auf unserem Pfad durch das Spiel mehr oder weniger zu begleiten versucht. Dazu passt auch – aber in positiver Hinsicht diesmal! -, dass erwähnte Figur im Dialog die wohl klischeehafteste Theorie zum Mysterium als absurd darstellt. Das war durchaus witzig und in meinen Augen ein sinnvoller Einsatz eines solchen Stand-Ins.

Eine ernüchternde Wartezeit

Am Ende hatte ich, obwohl meine Entscheidungen im Verlauf von Rearview Mirror mehr oder weniger sehr konträr zueinander ausfielen, das wahrscheinlich positivste Ende. Und so hat sich die Visual Novel nach knapp zwei Stunden Spielzeit verabschiedet und mich ein wenig ratlos zurückgelassen. Ich hatte Anfang diesen Jahres den Verdacht, dass der rohe Stil der Comicszenen dem Early Access geschuldet war. Er gefiel mir damals und scheint eine bewusste Entscheidung zu sein, denn die Panel-Sequenzen sehen fantastisch aus. Dass Rearview Mirror zudem komplett in spanischer Sprachausgabe daherkommt, gab dem Spiel eine akustisch komplett eigene Note.

Screenshot aus Rearview Mirror
Viele Abzweigungen, aber nur wenig Substantielles

Und dann kommen die Szenen hinter dem Lenkrad dazu, die viel zu statisch wirken. Wir haben den Rückspiegel, in dem wir unsere Passagiere sehen können. Dialoge sind im Interface aufgesplittet: Unten für uns, aus dem Rückspiegel hervorkommen für die Passagiere. Dies hat einen steten Wechsel des Klickens zur Folge, der mich leider auch mehr gestört hat, als er sollte. Zudem erwiesen sich Hinweise wie »Achte auf Tankanzeige etc.« leider nur als Dialogfarbe und nicht als spielerische Anweisung. Und das Smartphone, welches Salvatore von seinen Bossen ausgehändigt bekam, ist nur eine weitere Klickfläche für Charakterdialoge oder zum Fortsetzen der Handlung. Auch für eine Visual Novel ist hier durchaus spielerisches Potenzial verschenkt worden.

Ich wäre wohl sehr gemein, wenn die Nacht- und Nebel-Veröffentlichung des vollständigen Spiels gerne auch weiter in Nacht und Nebel verschleiert hätte bleiben können. Rearview Mirror ist nämlich durchaus ein sehr solides Debüt für Cubus Games. Die Geschichte ist nicht allzu innovativ, funktioniert aber abseits ihres gelegentlich eintretenden, fantastischen Elementes. Doch so richtig zum Laufen kommt Rearview Mirror nie. Entscheidungen wirken weniger nach Konsequenz, sondern vielmehr nach eingetretenen und klar erkennbaren Pfaden im Story-Dickicht. Es gab narrativ nichts, was ich “bereut” habe, entschieden zu haben. Da Rearview Mirror spielerisch abseits davon nichts zu bieten hat, fehlt für Spieler wie mich das Alleinstellungsmerkmal, welches das Spiel nachträglich in Erinnerung behalten lässt. Der schöne Artstyle alleine schafft dies leider nicht.

Den Geistern der Vergangenheit auf einem PC davongefahren. Ein herzlicher Dank geht an CUBUS Games für die Bereitstellung eines Mustercodes.