Selfloss (Review)

Artwork zu Selfloss

Manchmal, wenn mir der Einstieg zu einer Review schwer fällt, tauche ich tiefer in die Entstehung oder die Köpfe hinter dem jeweiligen Titel ein. So war es auch dieses Mal wieder bei Selfloss, denn es fällt mir schwer, das Spiel für mich persönlich zu ergreifen. Ich könnte euch eine komplett distanzierte Analyse der Elemente runterrattern, um am Ende zu einer Wischiwaschi-Antwort zu kommen. Doch dies ist nicht der Anspruch, den ich an mich stelle. Und als ich dann so wandelte durch das World Wide Web, kam mir dann endlich der zündende Gedanke. Denn Videospiele sind im Endeffekt auch die Summe der Kunstschaffenden dahinter und Selfloss stellt da keine Ausnahme dar.

Mein Schlüssel zu Selfloss

Selfloss ist ein isometrisches Adventure, welches uns in die Haut von Kazimir schlüpfen lässt. Der alte Mann erhält am Ende seines Lebens noch einmal die Möglichkeit, mit vereinzelten Taten sein Wirken auf Erden zu verlängern. Dazu reisen wir zu Fuß oder mit einem Segelboot durch die Welt und führen sogenannte Selfloss-Rituale aus. Mit diesen helfen wir Hinterbliebenen, ein letztes Mal Abschied von Verstorbenen zu nehmen und bei ihrer Trauer zu helfen.

Selfloss zu spielen war schwer für mich und – hier rührt wohl das größte Problem für mich – es verlor mich im ersten Kapitel durch das namensgebende Ritual. Es spielt in ein Thema hinein, worauf ich in der gegenwärtigen Phase meines Lebens wahrscheinlich zu empfindlich reagiere. So war ich als Reviewer nicht das beste Match für Selfloss, was aber keiner im Vorfeld hätte ahnen können. Dies sollte sich erst durch meine Recherche ändern, die mir einen Schlüssel gab, um Selfloss besser für mich einordnen zu können.

Screenshot aus Selfloss
Eine Seefahrt, die ist lustig!

Während dieser stieß ich auf den Kurzfilm Walled Up, den Lead Designer Alex Goodwin vor einigen Jahren für den Epic Games Film Jam eingereicht hat. Ich habe euch diesen am Ende dieser Review eingebunden, die gerade einmal vier Minuten sind es wert. Hier begegnen wir derselben Melancholie, die auch bestimmender Ton von Selfloss sein sollte.

Selfloss ist auf seiner Oberfläche ein düsteres Spiel, in dem Miasma die Welt vergiftet hat und wir als Kazimir in der unwirtlichen Welt unseren Weg finden müssen. Aber nicht, wie ich fälschlicherweise annahm als reines Mittel zum Gameplay-Zweck, sondern weil das Ritual des Selfloss den Kern von Goodwin’s narrativer Botschaft darstellt. Bereits in seinem Kurzfilm ging es nicht um die Welt, sondern um den Akt der Selbstlosigkeit, der einer anderen Person einen anderen Blick auf die Welt verschafft. Wortwörtlich.

Träger, alter Mann und sein Leuchtestab

Wenn wir nun also in der Welt von Selfloss nach Fischen und Erinnerungsstücken suchen, um das Ritual durchführen zu können, streifen wir damit unweigerlich die Leben und Erinnerungen der anderen Wesen. Auf den Flüssen und Seen und in den Buchten des zerklüfteten Landes warten gefährliche Wesen auf uns, die wir lediglich mit unserem Stab in die Schranken weisen können. Dieser sendet einen Lichtstrahl aus, mit dem wir das Miasma bekämpfen und auslöschen können. Dabei kam es zu manch hektischer Situation, die ich spielerisch gar nicht gut gelöst fand. Kazimir steuert sich langsam, träge und behäbig. Sein Lichtstrahl ist stellenweise zu ungenau. Das Kampfsystem ist beileibe nicht die Stärke von Selfloss. Sicherlich ist ein alter Mann kein flinker Bursche mehr, doch wenn sich ein Videospiel beim Spielen nicht gut anfühlt und auch nicht besser wird, dann macht es sich das Leben unnötig schwer.

Besser gelangen da die zahlreichen Puzzle- und Erkundungssegmente. Um Tore zu öffnen oder andere Mechanismen zu aktivieren, streifen wir durch die Level und aktivieren mit dem Lichtstrahl des Stabes Symbole. Mal zerstören wir so einen Quell des Miasma, mal aktivieren wir eine vorher unsichtbare Brücke. Da wir den Stab an jeder Stelle zurücklassen und Kazimir autark steuern können, ergeben sich so einige nette Rätsel.

Und wenn wir gerade nicht mit den Vorbereitungen auf das Ritual beschäftigt sind, lassen sich diverse Schriftrollen in den Leveln finden. Diese erweitern die Lore der Spielwelt, welche auf slawischen und isländischen Mythen basiert. Spielerisch haben diese Sammelgegenstände keinen großen Einfluss und auch die eigentliche Handlung ist davon nur marginal beeinflusst. Wenn die Form der Rätsel von Selfloss Freude bereiten kann, beispielsweise wenn wir in der Luft schwebende Fische in rituellen Schalen begleiten (klingt abstrakter, als es ist), dann lohnen sie sich. Die träge Fortbewegung von Kazimir ist allerdings auch hier nicht wirklich förderlich.

Fischige Angelegenheiten

Fische sind übrigens ein sehr gutes Stichwort, denn diese sind von großer Bedeutung für das Ritual. Diese Loss-Fische schweben auf den Gewässern der Spielwelt umher und wir brauchen ihre Essenz, um sie nutzen zu können. Leider fühlt sich auch dieses Fangen der Essenz nicht allzu gut an. Wir verfolgen in unserem Ruderboot den jeweiligen Fisch, strahlen diesen mit Licht an, um eine Verbindung zu erzeugen. Daraufhin versucht der Fisch zu fliehen und wir müssen in den richtigen Augenblicken die Schultertaste drücken, um ihn zu schwächen. Zu Beginn hatte ich enorme Probleme, diese Steuerung zu begreifen. Aber wenn wir es einmal verinnerlicht haben, wirkt es zu leicht und gestreckt. Selfloss kann es mir wirklich nicht recht machen, oder?

Screenshot aus Selfloss

Zumindest narrativ, oder vielmehr thematisch, kann ich Selfloss mittlerweile stellenweise greifen. Den letzten Kniff hat mir die von Goodwin Games geschriebene Beschreibung zu Maru and her make-believe world, dem nächsten Projekt des kleinen Dreier-Teams, gegeben:

The story about childhood, but for those who are already adults. […] about growing up and rethinking our lives while we do.

Selfloss, das Spiel und das Ritual, handelt nicht alleine davon, dass die Trauer über das Ende des Lebens oder die Enge, in die uns die Welt getrieben hat mit all ihrem “Miasma”, zu bewältigen gilt. Sondern dass das Leben als solches wertgeschätzt gehört. Im Kurzfilm ist es die Möglichkeit, die zerstörte Welt wieder mit neuen Augen sehen zu können. In Maru gilt es (wahrscheinlich), die Erinnerung zu nutzen, um anhand der Vergangenheit die Gegenwart zu reflektieren. Und in Selfloss helfen uns Memoralia auch in schweren Zeiten, die Gegenwart als solche zu akzeptieren, wie sie ist, aber nicht vor ihr klein beizugeben und für eine bessere Zukunft einzustehen.

Selfloss verzögerter Boost

Selbstverständlich ist dies auch nur eine mögliche Interpretation von dem, was Selfloss oder das Portfolio von Alex Goodwin eröffnet. Weitere Hintergründe können die Perspektive verändern. Andere Herangehensweisen die Worte in neuem Licht erstrahlen lassen (haha, Licht erstrahlen…). Aber am Ende ist auch ein Videospiel “nur” ein Kunstwerk. Lediglich der technische Anspruch von Selfloss auf meine Hardware – enorme Hitze bei Steam Deck und dem Laptop, die so nicht einmal Elden Ring schafft, und ein extremes Lüfterkonzert auf meinem großen Tower-PC – lässt sich nicht so leicht beiseite wischen.

Aber auch Kunst ist am Ende des Tages (oder einer Review) einer unbarmherzigen Bewertung ausgesetzt. Selfloss macht im künstlerischen Bereich einiges richtig, selbst wenn es mich persönlich nicht in dem Maße erreichen konnte, wie es sich Alex Goodwin und sein Team wünschen würden. Der Stil ist hübsch und das Worldbuilding umfassend, auch wenn die melancholische Stimmung nicht jedermanns Sache sein dürfte. Spielerisch gibt es aber Luft nach oben. Die Rätsel haben gute Ideen, gehen aber unter der trägen Steuerung, dem unspaßigen Kampfsystem und der Essenzjagd unter. Und am Ende kenn ich euch, so wie ich mich kenne – es muss halt irgendwie alles ein wenig stimmen. Die Deutung von Selfloss ist das Eine, aber am Ende geht es um die Erfahrung. Und meine Spielerfahrung wurde erst nach dem Spielen besser. Schade.

Auf einem Tower-PC, einem Notebook und dem Steam Deck Buße für mein Leben getan. Ein herzlicher Dank geht an Alex Goodwin und Merge Games für die Bereitstellung eines Mustercodes.