Silent Bomber: Eine Erfolgsgeschichte mit Verzögerung

Als Videospieler hat man besser eine Toleranz gegenüber Gewaltdarstellungen entwickelt, sonst muss man einen nicht guten Teil der jährlichen Hits an sich vorbei ziehen lassen. Mein virtueller Killcount ist groß und ich ziehe doch sehr vergnügt an einem Meer aus Leichen vorbei. Trotzdem war die unbändige Freude beispiellos, die ich empfand, als ich Jutah, die Hauptfigur aus Silent Bomber, dabei beobachtete, wie er auf der Brücke des Schlachtkreuzers Dante die noch brennenden Überreste der Besatzung vorfindet. Auf den Anblick dieser brennenden Leichen musste ich nämlich viele Jahre warten. Ich kann es nicht mehr genau rekonstruieren, aber zwischen 2011 oder 2013 habe ich mit Silent Bomber angefangen, ein von Bandai im Jahre 2000 veröffentlichtes Actionspiel auf der ersten Playstation.

Als von seinen früheren Erlebnissen traumatisierter Bombenleger infiltriere ich die Dante, bevor sie die Kolonie auf dem Planeten Hornet vernichtet. In einem an Bomberman angelehnten Actionfest legte, warf und stapelte ich fernzündbare Bomben und erfreut mich an der zerstörbaren Umgebung und vielfältigen Bosskämpfen, bis ich am Ende von Mission 11 in einen nicht enden wollenden schwarzen Abgrund blickte – auf der Mattscheibe, weil das Spiel eine Zwischensequenz nicht laden konnte. Zuerst dachte ich, die CD sei Schrott und kaufte das Spiel erneut – aber das gleiche Problem. Eine Internetsuche offenbarte, dass die europäischen Fassungen (alle fünf, da nur eine Sprachversion pro Disc) nach dieser Mission eben nicht weiter kommen – oder nur sehr vereinzelt und ich fand sich widersprechende Lösungsansätze der Marke nur auf der Originalhardware spielen oder nur auf der PS3 spielen. Allerdings wäre die spätere Billigveröffentlichung wohl repariert worden – aber das betraf nicht die deutsche Fassung, wie ich feststellen musste.

Der berüchtigte Bug.

Vielleicht war der Durchverkauf in Deutschland nicht wie erwartet und in der Billighülle war immer noch die ursprüngliche Pressung, was natürlich für eine unerhörte Dreistigkeit spricht, ein defektes Spiel zweimal zu verkaufen. Eine englische Fassung wollte ich mir nicht importieren, weil ich das Spiel zu dem Zeitpunkt schon dreimal gekauft hatte. Außerdem sah die CD in beiden Varianten identisch aus, man konnte also nicht ausschließen, dass da die falsche in der Hülle wäre. Bei meiner deutschen Billigfassung konnte ich dies ausschließen, die war nämlich originalverschweißt. Da es auch keinen Cheat gibt, um Level zu überspringen, gab ich das Spiel schließlich auf.

Wirklich losgelassen hat mich dieser Beweis, dass früher eben doch nicht alles besser war, aber nie, und so googelte ich zu Beginn dieses Jahres einfach mal wieder „Silent Bomber Bug“ – und siehe da, im vergangenen Jahr, schrieb jemand im Forum von Gamefaqs, dass ein italienischer Youtuber entdeckt hat, wie man den Bug umgeht. Das Video selbst ist bereits 2013 hochgeladen worden, schien aber vielen später entstandenen Klagen über den Bug nach zu urteilen lange unentdeckt geblieben zu sein – und auch ich wäre ohne den Foreneintrag wohl nie drauf gestoßen. Man muss in Mission 11 eine spezifische Zwischensequenz überspringen. Lässt man alle laufen oder überspringt man alle, geht es nicht weiter, aber wenn man den Boss von Mission 11 daran hindert, sich Jutah vorzustellen, solle alles gut gehen – mindestens in der englischen und der italienischen Version, mit der deutschen schien es noch niemand getestet und darüber berichtet zu haben.

Endlich Fortschritt!

Ich hatte Silent Bomber noch irgendwo – nicht bei der Sammlung, weil es ja nicht funktioniert, aber ich weiß, dass ich meine Kopien irgendwo als Ersatzhüllen aufgehoben habe. Ich musste etwas wühlen, dann fand ich eines der Exemplare in der Abstellkammer. Flugs die Memory Cards gecheckt – war ja klar, den Save habe ich gelöscht. Aber ich wusste, so lange dauert es nicht, ich spielte mich in Mission 11 und konnte feststellen: Jawohl, es funktioniert auch in der deutschen Fassung!

Jetzt hätte meine Leidensgeschichte mit dem Spiel doch ein schnelles Ende finden können, denn das Spiel ist fast so kurz, wie es gut ist. Nach genau 3 Stunden und 8 Minuten stand ich bereits vor dem letzten Level, Mission 14. Allerdings musste ich dort feststellen, dass die Entwickler wirklich nicht wollten, dass jemand das Spiel beendet.
Bevor man dem Endgegner selbst gegenübertreten kann, muss man auf einem Schachbrett des Grauens über zehn Minuten einen nicht enden wollenden Ansturm hundsgemeiner Feinde überstehen. Horden an Bauern ziehen in gerader Linie von oben nach unten und nehmen einen mit Schnellfeuersalven ins Kreuzfeuer, Springer bewegen sich unbarmherzig auf Jutah zu und lösen eine riesige Explosion aus, Läufer und Türme ziehen unverwundbar im Affenzahn quer über das Brett und bleiben nur kurz stehen, um ihre ganze Umgebung mit Schüssen einzudecken und ungefähr ein Drittel der Zeit gesellt sich die unbarmherzige Königin dazu, die rasant auf den Spieler zuhält und nur verwundbar ist, wenn sie einen in vier Richtungen gehenden Laser abfeuert, der sich anschließend mehrmals im Kreis dreht.

Das Schachbrett des Grauens

Und wenn man das überstanden hat, muss man den Endgegner besiegen. Um die Dramatik zu erhöhen, sieht man die in der Amtosphäre Hornets verglühende Dante im Hintergrund. Dieser rotierende, für die Hardware aber sehr beeindruckende Feuerball, tut sein bestes, um die gefährlichen Attacken des Bosses schwer lesen zu können, die da wären:

  • Herumrennen und Jutah mit bis zu fünf Bomben bewerfen,
  • Zwei Hologramme von sich zu erzeugen und insgesamt 24 Sprengsätze in der Nähe des Spielers zünden
  • und der echte Killer: Als riesige Projektion aus dem Nichts vor Jutah auftauchen, ihn packen und einen Monolog aufsagen, während dem man wehrlos Energie verliert.

Aber klingt das nicht eigentlich überschaubar? Eigentlich ja, sobald ich den Dreh raus hatte, erkannte ich die Warnzeichen und starb nicht mehr nach einer halben Minute. Es brauchte nur viele Versuche, bis ich mich nicht vom Hintergrund ablenken ließ, lernte korrekt auszuweichen und im richtigen Moment anzugreifen. Bis es aber so weit war, verbrachte ich viele Stunden mit dem Schachspiel, um mich wieder flugs in wenigen Augenblicken vom Obermotz meucheln zu lassen. Als ich aber erst so gut wurde, nicht sofort gekillt zu werden, brauchte ich nur noch wenige Versuche, um zu siegen. Nur dauerten die dank des Vorspiels wieder über eine Stunde.

Die wohl fieseste Attacke im Spiel.


Ist dieses letzte Level also wirklich so unfair? Ja. Die vielen Berichte frustrierter Spiele, die dort das Handtuch warfen, sprechen eine deutliche Sprache. Es ist in Spielen dieser Zeit wirklich nicht selten, längere Passagen vor einem knackigen Boss wiederholen zu müssen, aber über zehn Minuten nicht eine Sekunde durchatmen zu können, um dann unzählige Male beim Boss zu sterben, ohne überhaupt zu kapieren, was er da macht, ist eine in meiner Laufbahn einmalige Herausforderung gewesen und ja, ich habe auch schon ein Soulsborne gespielt. Ohne diese lange Vorgeschichte hätte ich vielleicht auch das Handtuch geworfen. Aber ich ließ mich nicht von einem Bug und erst recht nicht von einer Partie Schach aufhalten, um den Silent Bomber zum Sieg über sein Trauma zu verhelfen – und somit zu verhindern, dass ich selbst eines durch dieses Spiel erleide.