Abenteuer Spieleentwicklung – Teil 7: Keen tiredly enters Dreamland

Seit dem Erscheinen von Regina & Mac – und somit auch dem Schreiben der Reihe Abenteuer Spieleentwicklung sind nunmehr einige Monate vergangen und wenngleich mit Kind Nummer 2 ein ungleich größeres Abenteuer ins Haus steht, habe ich in den letzten Monaten noch einmal ein wenig Zeit für Spieleentwicklung gefunden und ein weiteres Projekt in die Nähe des Abschlusses gebracht – das bereits zum Ende der sechsten Ausgabe Abenteuer Spieleentwicklung angedeutete Remaster zu Keen Dreams. Aus diesem Anlass geht Abenteuer Spieleentwicklung in den kommenden Wochen in die Verlängerung.

Im Zuge der Fertigstellung von Regina & Mac für die Wii U hat mich ein Entwickler-Kollege über das Nintendo-Entwicklerforum angesprochen, ob ich ihm bei der Portierung eines Spiels auf die Wii U helfen könne. In Anbetracht dessen, dass ich nach Regina & Mac durchaus ein wenig ausgebrannt war, was die kreative Arbeit anbelangt, gleichzeitig aber auch viel Freude am Programmieren habe, habe ich mir gedacht, ich könnte mir ja zumindest einmal anhören, um was es geht. Zu meiner großen Überraschung handelte es sich bei dem Entwickler-Kollegen allerdings weniger um einen klassischen Entwickler, als um einen Produzenten, der Lizenzen alter Spiele aufkauft und verwertet. Er hatte zwei Spiele für einen Wii U-Port im Auge, aber eines hatte es mir sofort angetan. Mein Gesprächspartner war nämlich Javier M. Chavez, der vor einigen Jahren die Lizenz für Keen Dreams erstanden hat.

Keens Geschosse in Keen Dreams sind etwas fummelig, da sie langsam in einem Bogen fliegen.

Was ist nun Keen Dreams? Der vollständige Name des Spiels könnte schon einigen auf die Sprünge helfen: Commander Keen in Keen Dreams. Commander Keen ist ein DOS-Jump & Run-Reihe, die über ein Shareware-System vertrieben wurde und dadurch Anfang der 90er Jahre eine enorme Verbreitung erreicht hat. Entwickelt von id Software – bekannt unter anderem auch für Doom und Quake – sollte Keen zu Beginn einmal ein Port von Super Mario Bros. 3 auf den PC werden. Zu einer Zeit, als Sidescrolling im PC-Umfeld noch kaum denkbar erschien, haben die talentierten Programmierer von id Software eine beeindruckende Demo für Nintendo vorbereitet. Nintendo war allerdings an einer PC-Präsenz ihres Maskottchens nicht interessiert und so hat id Software die technische Grundlage selbst verwendet, um einen eigenen Action-Hüpfhelden aus dem Boden zu stampfen: Den kleinen Jungen Commander Keen.

Sehr bekannt sind die Keen-Spiele Commander Keen 1-3 und Commander Keen 4-6, doch es gibt noch zwei weitere Keen-Spiele. Da wäre einerseits das Game Boy Color-exklusive Commander Keen und eben Commander Keen in Keen Dreams, eine Auftragsarbeit, die zwischen Keen 3 und 4 entwickelt wurde und einige mechanische Besonderheiten aufweist, die sie von den späteren Keen-Spielen unterscheidet. So spielt man Keen nicht in seinem normalen Outfit, sondern einem Schlafanzug – einzig der markante Helm bleibt dem Commander erhalten – und auch die liebgewonnene Strahlenpistole sowie der Pogo-Stab sind nicht mit in Keens Traum gewandert. Dafür kann Keen nun kleine Kugeln werfen, die Gegner kurzzeitig in Blumen verwandeln. Keen Dreams ist also ein kleines Kuriosum und war lange Zeit weitgehend in Vergessenheit geraten.

Die Oberwelt ist wie in allen Keen-Spielen in der Vogelperspektive zu bereisen.

Javier M. Chavez hat jedoch den Quellcode, die übrigen Daten, sowie die gesamte IP von Keen Dreams nacheinander erstanden und bereits in Zusammenarbeit mit dem Entwicklerstudio Lone Wolf auf die Nintendo Switch portieren lassen. Lone Wolf stand für eine Portierung auf Wii U und New Nintendo 3DS jedoch nicht zur Verfügung, so dass Chavez sich hierfür einen neuen Partner gesucht hat – und zwar mich.

Chavez hat mich mit der Lone Wolf-Version des Spiels und dem Original Quellcode ausgestattet, ist aber selbst kein Programmierer oder Designer, so dass er sich weitgehend aus der eigentlichen Entwicklung herausgehalten hat. Zunächst war der Plan, Keen Dreams einfach nur zu portieren, wie Lone Wolf das bereits auf der Nintendo Switch getan hat, allerdings ist das mit einigen Problemen verbunden: Keen Dreams ist auf einen 4:3 Bildschirm ausgelegt und die Lösung von der Switch-Version, ringsum einfach schwarze Balken zu setzen, kam mir alles andere als elegant vor – auch wenn sich später herausstellen wird, dass für eine wirklich originalgetreue Umsetzung diese Entscheidung nahezu alternativlos ist. Hinzu kommt, dass das Originalspiel keine Musik hat und die Musik vom Switch-Port von Lone Wolf stammte und ohnehin nicht gut zu Commander Keen passte.

Hinzu kommt aber auch, dass Keen Dreams strukturell ein wenig haarig ist. Man kann jederzeit im Level speichern, was auf dem PC zu der Zeit recht häufig der Fall war, meines Erachtens aber ein wenig konträr zu der Aufgabe des Entwicklers ist, die Aufgaben, die er dem Spieler stellt vernünftig abzupassen. Gerade wenn man bedenkt, dass Keen gleichzeitig eine beschränkte Zahl an Leben hat, ist das eine eigenwillige Entscheidung. Doch noch schwerer wiegt, wie man das Spiel durchspielt, denn um das Ende des Spiels zu erreichen, muss man in den Levels versteckte Boobus Bomben sammeln. Hat man ein Level einmal geschafft, kann man nicht wieder in das Level zurückkehren und somit kann man sich in dem Spiel tatsächlich in eine Sackgasse speichern. Zwar warnt das Spiel, wenn man ein Level mit Boobus Bomben betritt, aber die Relevanz der Bomben kann einem Spieler durchaus zunächst entgehen. In der Tat habe ich bei meinem ersten Durchgang von Keen Dreams vor verschlossener Tür gestanden und musste von vorn beginnen. Das war meines Erachtens noch nie sonderlich gutes Spieldesign, ist aus heutiger Sicht aber besonders schwer zu vermitteln.

Insofern habe ich nach kurzer Zeit mit dem Spiel eine relativ lange Liste an wünschenswerten oder notwendigen Änderungen am Spiel aufgestellt, über die ich mit Chavez sprechen musste, auch um herauszufinden, wie weit die Lizenz für das Spiel genau geht und inwiefern er an Änderungen interessiert wäre. Nach einiger Diskussion haben wir uns auf einen Fahrplan für ein deutlich ambitionierteres Projekt geeinigt: Statt eines einfachen Ports, sollte Keen Dreams runderneuert werden. Dabei sollte natürlich der Geist des Originals und – abgesehen von einigen Detailänderungen auch das Leveldesign erhalten bleiben, aber auch eine Reihe tiefergreifenderer Änderungen zum Tragen kommen.

Das Spiel sollte mit einem neuen Soundtrack versehen, in 16:9 einen weiteren Bildschirmausschnitt zeigen und ein neues Progressionssystem bieten, das Erkundung zwar weiterhin belohnt, aber nicht mehr auf dem Sammeln von Boobus Bomben basiert. Das Speichersystem sollte verändert werden und natürlich auch die Menüs auf eine Button-Steuerung angepasst werden, die Story in das Spiel integriert und mit einem Rennknopf und nach oben und unten schauen neue Bewegungsmöglichkeiten umgesetzt werden. Zu guter Letzt habe ich das ausgehandelt, was mir als Spieler besonders am Herzen gelegen hätte: Mit gerade einmal 12 Levels ist das Spiel äußerst kurz, der neue Plan mit bis hierhin undefiniertem neuem Progressionssystem sah vor, dass die Levelanzahl von 12 auf 24 erhöht würde. Dadurch würde Commander Keen in Keen Dreams: Definitive Edition, wie wir das Projekt zwischenzeitlich getauft hatten, auch für Kenner des Originals attraktiv sein und die ersten neuen offiziellen Keen-Level seit beinahe 20 Jahren bieten – und nebenbei aus dem kürzesten Keen-Spiel das längste machen.

In der nächsten Ausgabe von Abenteuer Spieleentwicklung werde wir über den Prozess der Portierung und Erweiterung des Klassikers sprechen.