Witchfire (Review)

Witchfire ist die ludonarrative Visualisierung einer eingetretenen Haustür in der brandneuen Wohnung.

Es ist der mit einem Armani-Anzug und einem Aktenkoffer bewaffnete Startup-Geschäftsmann im eben gerufenen Fahrstuhl, der dir ohne viel Gerede, aber durch einen vielsagenden Blick sofort klarmacht, dass er keinen Millimeter zur Seite rücken wird, um dir Platz zu machen.

Es ist ein Backstein, der durch das Fenster geflogen kommt, und bevor du dich noch darüber freuen kannst, eben jenes Fenster vorher geöffnet zu haben, bemerkst du den Wespenstock, der am Mauerwerk festgebunden ist.

Es gibt eine Menge Spiele, die sich Dark Souls‘ alte Leier des „Prepare to Die“-Memes zu Herzen genommen haben, und nur wenige wissen mit diesem Spielgefühl so konsequent und souverän umzugehen wie Witchfire. Dabei sieht das aktuell im Early-Access befindliche Spiel der Entwickler The Astronauts aus Warschau, gegründet aus ehemaligen „Ethan Carter“-Devs, im ersten Eindruck eigentlich komplett anders aus, denn In erster Linie ist Witchfire ein Mix aus First-Person-Shooter und Roguelike-Mechaniken.

Der Game Loop ist dementsprechend – grundsätzlich – relativ einfach zu kommunizieren. Man startet in Basis A, hüpft in Welt B, besiegt ein paar Gegner, kehrt wieder zurück. Die Basis in diesem Fall ist ein kleiner Auschnitt einer mittelalterlich anmutenden Festung, die ihr im Verlauf des Spieles weiter erkunden und eröffnen könnt. Burg Ballerberg könnt ihr nutzen um euren Charakter aufzuleveln, Waffen herzustellen und Heilmittel zusammenzumischen. Wie in guten, alten Genrebekannten findet ihr aber auch im späteren Verlauf weitere Räume mit neuen Funktionen und Optionen, so dass es auch zuhause nie ganz langweilig wird.

Im Gegensatz zur idyllischen Knarrenfestung sind die eigentlichen Spielwelten weit weniger friedlich. So wummst ihr beispielsweise eine Schneise durch eine große, frei begehbare Fantasy-Insel oder eine gigantische Burg samt Vorhof und anschließender Gebiete. Auch hier gibt es vieles zu entdecken, neben vielen neuen Wegen, das Zeitliche zu segnen beispielsweise das enorm immersive Leveldesing, welches durch die wunderschöne Grafik hervorragend zur Geltung kommt. Die Landschaften können sich trotz kleinem Studio mit ganz großen Produktionen messen. Durch wabernde Nebel, lauschige Wäldchen und alte Dörfchen bahnt ihr euch schießend und laufend einen Weg durch einzelne, unterschiedlich schwierige Gegner-Encounter, die ihr auch auf der jeweiligen Karte des Levels entsprechend vorausplanen könnt. Jede abgeschlossene Begegnung belohnt euch mit Hexenfeuer, den Erfahrungs- und Währungspunkten des Spieles. Zusätzlich gibt es geheime Zugänge und Abkürzungen sowie viele kleine Mini-Events zu entdecken, die euch meist unter Zeitdruck kleinere oder größere Aufgaben stellen, um weitere Bonuspunkte einzusacken.

Gut, so weit, so vorhersehbar. The Astronauts haben allerdings ein paar große und kleine Genreausleihen hinzugefügt und Entscheidungen getroffen, die dieses eigentlich simple Spielkonzept enorm verändern, und keine davon würde ohne die andere so gut funktionieren, wie sie es tut, also here we go:

Wie schon vorher angedeutet, ist Witchfire ein waschechter First-Person Shooter. Da ein rohes Fantasy-Setting mit AK47 und Mini-MP etwas fragwürdig aussehen würde, gibt es stattdessen Fantasy-Waffen und entsprechendes Equipment. Das funktionieren zwar grundsätzlich wie besagte, bekannte Shooter-Grundpfeiler, hat allerdings zahlreiche weitere Features. So setzt die durchschlagende Schrotflinte „Echo“ Gegner in Brand (was wiederum mit anderer Ausrüstung spannende Combos ermöglicht), die Handfeuerwaffe „Hunger“ lädt dagegen einzelne Projektile magisch auf. Andere Waffen können auf Kommando bereits verschossene Munition zum Explodieren bringen, oder feuern zusätzlich eine kreisförmige Schockwelle ab. All diese Fähigkeiten sind euch übrigens anfangs noch nicht bekannt, und sie werden erst durch zusätzliche Levels jeder einzelnen Waffe freigeschaltet. Zusätzlich gibt es Slots für dämonische Waffen, und – für erfahrenere Flintenritter – Amulette, Talismane und sonstigen Bommelkram, der eurem Charakter weitere aktive oder passive Fähigkeiten hinzufügt.

Apropos Charakter. Auch hier haben The Astronauts in Fromsoftigen Gebieten gewildert. Ihr wählt zwar anfangs eine Klasse unter zahlreichen Variationen des Grundkonzepts „Edgy, vage an Kirche und Ritter erinnernder Hauptcharacter eines Heavy-Metal-Albumartworks“ aus, diese unterscheiden sich aber nur im Startlevel und den bereits vorverteilten Punkten auf Fähigkeiten wie Lebensenergie, Ausdauer, Magie oder Glück. Die Charaktere lassen sich optisch nicht weiter bearbeiten, und tiefergehende Auswahl oder Individualisierung sucht ihr vergebens.

Ebenfalls schnell bemerkt ist die Hochzeit des Soulslike-Genres mit dem der Extraction Shooter. So verliert ihr bei einem Misserfolg eures Runs so gut wie alle gesammelten Habseligkeiten und aufgehobenes und verdientes Hexenfeuer (wird hier als Level- und Bezahlwährung genutzt). Ihr habt es sicherlich schon erwartet, natürlich könnt ihr diese beim nächsten Besuch wieder aufsammeln, solltet ihr hier dennoch vorher ins Gras beißen, ist alles für immer verloren. So weit, so bekannt, der Trick ist nun aber, dass ein Run nicht ‚mal eben so‘ abgebrochen werden kann, um euren Loot in die sichere Basis und damit in das permanente Inventar zu retten. Sobald ihr die Karte betretet, gibt es genau zwei Möglichkeiten, wieder nach Hause zu kommen. Ihr besiegt den Boss, oder ihr findet ein zweites Portal auf der Map, durch das ihr wieder sicheres Burgpflaster unter die Füße bekommt. Leider wird dieses Portal von gar fürchterlichen Feinden bewacht, und auch während es sich öffnet, müsst ihr oftmals mit andauernden Wellen von Gegnern klarkommen. Manchmal lohnt es sich also, das Level sozusagen „von hinten aufzurollen“, erst euren geplanten Exit zu suchen, und von dort aus die Schießprügel sprechen zu lassen.

Was uns dann wohl auch zur finalen Zutat des Hexenfeuer-Mixes bringt: Der Schwierigkeit. So perfekt sich jede einzelne Waffe anfühlt, so genau und stimmungsvoll auch der Soundtrack und die Effekte sind – Witchfire tut alles, damit ihr keine Sekunde länger in einer Umgebung verweilen möchtet als unbedingt nötig. Die Gegner-Begegnungen sind nur in den ersten paar Levels angenehm knifflig, nach nur wenigen Charakterstufen nimmt der Schwierigkeitsgrad des Spieles schon enorm zu, und mit weiteren Stufen, erfolgreichen Forschungen und freigeschalteten Spielfunktionen wird jeweils noch ein paar Schippen draufgelegt. Witchfire ist schwer, und sämtliche, mühevoll antrainierte Souls-Überheblichkeit wird euch vermutlich ähnlich wie mir dreifach um die Ohren gepfeffert, wenn ihr merkt, dass ups, ein Egoshooter spielt sich ja doch etwas anders als ein 3rd Person Action-RPG – egal wie sehr es vorgibt eines zu sein. Meist lässt euch das Spiel die Wahl, ob ihr eine anstehende Begegnung vorsichtig und effizient hinter euch bringen wollt, indem ihr einen Gegner nach dem anderen unter Berücksichtigung der Umgebung und der Fähigkeiten eurer Ausrüstung optimal ausspielt, oder lieber wie die Kettensäge im Walde in den Encounter springt, und erst einmal eine Runde heilige Kirchenglocken in die umstehenden Gesichter verteilt, bevor ihr mit schwerem Geschütz nachlegt. Oft lässt es euch aber auch gnadenlos auflaufen, wenn ihr plötzlich inmitten einer Runde neu erscheinender Gegner nicht mehr machen könnt als ziemlich blöde zu gucken, bevor der Trupp mit gezogenen Schwertern, Hackebeilen und Raketenwerfern in eure Richtung stürmt. Oder wenn mit einer anstehenden „Calamity“ der absolute Katastrophenzustand ausgerufen wird, und unterschiedliche Ausführungen kaum aufhaltbarer Minibosse euch als Ping-Pong-Ball nutzen möchten. Oder wenn wieder ohne eure Zustimmung der allgemeine Schwierigkeitsgrad angehoben wurde und statt drei harmlosen Bisasams eine ganze Horde blutrünstiger, fliegender Geistergegner auf die nicht vorhandenen Füße kommt. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, in Witchfire das Zeitliche zu segnen, und ihr werdet vermutlich eine große Auswahl davon vorgetragen bekommen, bevor ihr überhaupt den ersten Blick auf den ersten Boss werfen könnt – und der macht euch das Leben auch nicht einfacher. Ähnlich wie in, ähm, bekannten 3rd Person Action-RPGs, ist hier oft nicht wildes Geballer ohne Rücksicht die beste Taktik, sondern ein überlegtes, ruhiges Vorgehen, während ihr der feindlichen Übermacht abschätzend in die Augen blickt (und bestenfalls ihren Knüppeln, Kugeln und Zauberschüssen ausweicht).

Auch die Bosse würden problemlos neben einen Artorias oder in die Welt von Elden Ring passen. Mehrere Phasen mit unterschiedlichen Attackemustern wollen gelernt werden, und ein grober Schnitzer bedeutet in so gut wie allen Fällen einen ehrenlosen Abgang und einen Neuversuch. Der erste Boss (und in der zur Review aktuellen Spielversion damit 50% der Bossbewohnerschaft der Early Access-Version) hat mir selbst viele Abende Schmach und Schande beschert, aber ich versichere euch, es lohnt sich, denn mit der zweiten spielbaren Welt habt ihr nicht nur alle aktuell bespielbaren Gegenden freigeschaltet, sondern auch das vermutlich hübscheste Areal des Spieles – eine gigantische, mittelalterliche Trutzburg, die nicht nur visuell stark aussieht, sondern auch das Leveldesign der ersten, sehr offenen Karte noch einmal komplett umkrempelt. Statt problemlos die ganze Umgebung zu durchhoppeln, stehen euch hier Lappalien wie Mauern, Räume, Türen und Fallgitter im Weg, was das bereits angesprochene Vorbereiten und Ausnutzen der Umgebung nochmal eine völlig neue Ebene verleiht.

So frisch die Idee des Spieles sich anfühlt, so groß auch der Drang ist, noch einen „Einsatz“ hinter sich zu bringen, die Wahl des Genres bringt definitiv ein paar Nachteile mit sich. Durch die Ego-Perspektive steht sich das eigentlich sehr spannende Weltdesign oft selbst im Wege: Kleine Zäune, Felsen oder auch Gebäude, denen man in einer 3rd-Person-Perspektive einfach ausweichen würde, sind während einer hitzigen Witchfire-Session oftmals ein Hindernis – plötzlich hängt man fest und weiß nicht warum, und bevor man den Grund erkannt hat, ist man auch schon tot. Dies passiert tatsächlich öfter, als man denken würde, da die Welten mit Aufbauten und visuellem Kleinkram gespickt sind, und diese im Eifer des Gefechts kaum im Sichtfeld bleiben und gerade bei den hektischeren Kämpfen viel Raum durch taktische Rückzüge manövriert werden will. Die jederzeit sichtbare Minimap hilft hier nur begrenzt, da wirklich nur die nötigsten Indikatoren angezeigt werden, also Gegner und Items.

Auch tendieren Gegnergruppen leicht dazu, den Spieler komplett einzukreisen, und somit – gerade an Wänden oder in engen Räumen – jegliche Bewegungs- oder Fluchtmöglichkeiten abzuschneiden. Ja, damit kann man rechnen, aber gut fühlt es sich trotzdem nicht an, und zusammen mit dem vorherigen Punkt bringt es jederzeit eine gewisse Angst, relativ unverschuldet einen guten Run durch eine unglückliche, sehr situative Situation schnell beenden zu müssen.

Auch ist der Start des Spieles relativ schwach – viele Zusammenspiele von Items, Waffen und Fähigkeiten werden erst nach einigen Spielstunden klar, und der erste Eindruck mit nur einer spielbaren Welt und wenigen unterschiedlichen Gegnern kann hier schnell ein falsches Bild des Spieles darstellen.

Dennoch ist Witchfire – trotz vergleichsweise knappem Early Access Content – mehr als die Summe seiner Teile. Es packt. Ja, zugegeben, danach schüttelt es meist, und wirft zu Boden, tritt vielleicht noch ein paar Mal nach. Aber es packt. Der „nur noch ein Run“-Pull, den einige Spieler sicherlich aus Roguelikes kennen, andere aus Souls-Spielen, und wieder andere aus knackigen Extraktionsshootern trifft hier gleich mehrfach, auch, wenn man mit Teilen dieser Genres bisher wenig zu tun hatte. Und, wichtig, Witchfire ist auch wortwörtlich mehr, als man mit dem ersten Blick denken mag. Die verschiedenen Progressionen des Spiels machen nicht nur den eigenen Charakter und die Gegner merkbar stärker, sondern fügen komplette Mechaniken hinzu, machen die vorhandenen Welten abwechslungsreicher und geben euch neue Aufgaben in bekannten Gebieten. Ist es damit den frühen Zugang wert, den sich die Entwickler natürlich bezahlen lassen? Das muss wohl jeder potentielle Spieler für sich selbst entscheiden. Mich hat das Spiel jedenfalls sehr überrascht, und ich behaupte, ein riesiges Lob auszusprechen, wenn ich sage: Es fühlt sich klasse an, sieht toll aus, macht irre Spaß, der „noch ein Run“-Faktor ist extrem hoch, und ich bin sehr gespannt, was Witchfire in der finalen Version zu bieten hat.

Vielen Dank an The Astronauts für die Bereitstellung des Testmusters. Getestet auf PC.

So, und nun noch ein paar kurze Worte in eigener Sache, die ich in Absprache mit der Redaktion zum Test anhängen möchte. Adrian Chmielarz, Gründer des Studios und Lead Designer von Witchfire, ist ein Verfechter der Gamergate-Bewegung. Wer mich kennt, wird es wissen (und wer nicht, wird es gleich lernen): Es ist mir unmöglich, Gamergate, und damit ihre gesamte Aussage, ihre Hintergründe, ihre Taten und Texte, in den Hintergrund zu stellen und zu ignorieren. Unabhängig von Witchfire hat Chmielarz nicht nur entsprechende Artikel geschrieben, er legte sich in der Vergangenheit auch mit Parade-Zielscheibe #1, Anita Sarkeesian’s Blog Feminist Frequency an, mit „woke“ Spielewebseite Polygon, und mit vielen weiteren Traditionsfeinden der #Gamergate-Community in eigenen Texten oder auf Social Media. Er schrieb mindestens fragwürdige Artikel über ein homogen-weißes, altes Europa, welches schon mehrfach faktisch widerlegt wurde. Und egal, wie sehr manche Herren gern hätten, dass man es als rationale Systemkritik und relevante, gamespolitische Meinung sieht, es läuft unterm Strich immer auf das eine hinaus: Frauenhass und ausgeleierte Kampagnenbildung gegen die „woke Kultur“ hinaus, was auch immer dies sein mag. Ob entsprechende – offene oder subtile – Meinungen oder Anspielungen tief in Witchfire versteckt sind, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht zweifelsfrei sagen – zum einen bietet das Spiel einfach zu vielen, versteckten Content, zum anderen handelt es sich nach wie vor um einer Early-Access-Version, bei der zum Zeitpunkt der Review noch viele Inhalte nachgeliefert werden sollen.

Also: Sage ich, Chmielarz und The Astronauts sind schreckliche Menschen und niemand sollte Witchfire spielen? Sage ich, dass der potentielle Hauptgegner „Hexe“ ein unumstößliches Zeichen der Misogynie ist? Nein, natürlich nicht. Vielleicht ist Chiemarz der einzige Supporter im Studio, vielleicht fühlt er sich von #Gamergate tatsächlich mehr verstanden und aufgenommen als von anderen Erfahrungen im Leben. Wer weiß das schon. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich relativ sicher sagen: Es beeinflusst nicht das Spiel Witchfire. Ich möchte nur, dass sich die Leser des Artikels bewusst sind, dass es mit einem Kauf die Chance gibt, eine weltweite Hassaktion zu supporten, und dass man dies wissen und sich bewusst sein sollte. Was man mit diesem Wissen anfängt, liegt außerhalb meiner Macht, und außerhalb der Reichweite einer – wie ich finde – fairen Review. Wenn es ausschließlich nach mir ginge, würde ich das Spiel sicher nicht empfehlen, bis es zumindest eine Entschuldigung seitens Chmielarz an all die Frauen gibt, die er – absichtlich, durch verbale Angriffe seinerseits und die seiner Follower, und durch die allgemeine Schusslinie einer internetweiten Hasskampagne – beleidigt, verletzt und angegriffen hat. Ist Witchfire trotzdem gut? Ja, ist es.

Vielen Dank für’s Lesen.