Kingdom Come Deliverance 2 (Review)

Den Begriff Eurojank haben sicher viele schon gehört. Dies beschreibt die oft etwas kläglichen Versuche, europäischer Studios, große AAA Welten zu gestalten. Der König des Eurojanks ist wohl die legendäre Gothic Serie. Diese ist zwar fantastisch, aber eben auch sperrig und technisch oft sehr fehlerhaft.  Ich muss zugeben, dass ich den ersten Teil von Kingdom Come: Deliverance nie gespielt habe. Obwohl ich das Konzept einer realistischen Mittelaltersimulation spannend fand, war ich immer ein wenig besorgt, dass das Spiel zu sperrig und frustrierend sein könnte. Doch mit dem zweiten Teil habe ich mich endlich getraut – und ich bin froh, diesen Schritt gewagt zu haben. Denn von Eurojank kann man bei dem Hit der tschechischen Warhorse Studios definitiv nicht mehr sprechen. 

Eine fesselnde Geschichte mit historischen Wurzeln

Kingdom Come: Deliverance II setzt die Geschichte von Heinrich, dem Sohn eines Schmieds, im Jahr 1403 fort. Nach den Ereignissen des ersten Teils begleitet er den Adligen Hans Capon auf einer diplomatischen Mission, um die zerstrittenen Adligen Böhmens gegen die Bedrohung durch König Sigismund zu vereinen. Doch die Reise nimmt eine dramatische Wendung, als ein Banditenüberfall sie mittellos in feindlichem Gebiet zurücklässt. Während Heinrich ums Überleben kämpft, muss er sich nicht nur mit politischen Intrigen auseinandersetzen, sondern auch seiner persönlichen Rache nachgehen.

Da ich den ersten Teil nicht gespielt habe, war ich zunächst etwas verloren. Das Spiel enthält viele Anspielungen und Flashbacks zu früheren Ereignissen, und es wird schnell klar, dass man als Neuling einige Feinheiten der Charakterbeziehungen nicht direkt versteht. Trotzdem gelingt es dem Spiel, die wichtigsten Informationen so einzustreuen, dass man die Handlung auch ohne Vorkenntnisse gut nachvollziehen kann.

Eine authentische Spielwelt, die ihresgleichen sucht

Die Spielwelt von Kingdom Come: Deliverance II beeindruckt durch ihre lebendige und authentische Darstellung des mittelalterlichen Böhmens. Die Entwickler haben mit großer Sorgfalt eine Umgebung geschaffen, die sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten vor Leben sprüht. In Städten wie Kuttenberg findet man Märkte, auf denen Händler ihre Waren anpreisen, während Handwerker ihren Tätigkeiten nachgehen und Bewohner ihren täglichen Routinen folgen. Es kann auch einmal zu Streit kommen, sodass die Dorfbewohner sich plötzlich prügeln. Die Dörfer und ländlichen Gegenden sind ebenso detailreich gestaltet, mit Feldern, Wäldern und Flüssen, die zum Erkunden einladen.

Die dynamischen Tagesabläufe der NPCs und die reaktive Umgebung sorgen dafür, dass sich die Welt stets im Fluss befindet und auf die Handlungen des Spielers reagiert. Ähnlich wie in den Elder Scrolls Spielen teleportieren sich NPCs nicht einfach irgendwo hin. Wenn sie z.B. eine Nachricht überbringen sollen, kann man ihnen folgen und sie werden tatsächlich bis zum gewünschten Ort reisen und dort die Nachricht überbringen. Sie verabreden sich auch eigenständig dazu, gemeinsam etwas trinken zu gehen und man kann ihnen dann tatsächlich in die Schenke folgen.  Diese Detailverliebtheit ist beeindruckend und trägt zur glaubhaften Welt bei.

Anspruchsvolles, aber lohnendes Gameplay

Viele meiner anfänglichen Befürchtungen, dass das Spiel zu sperrig sein könnte, haben sich nicht bewahrheitet – aber Kingdom Come: Deliverance II ist definitiv kein Spiel für Ungeduldige. Der Einstieg kann herausfordernd sein, insbesondere wenn man an klassische Action-RPGs gewöhnt ist. Die Mechaniken sind komplex, aber auch unglaublich befriedigend, sobald man sie verinnerlicht hat.

Das Kampfsystem von Kingdom Come: Deliverance II bietet eine realistischere und intensivere Kampferfahrung. Anstatt einfaches Tastendrücken, müssen Spieler präzise Angriffsrichtungen wählen und das Timing für Blocks und Paraden genau abstimmen. Das System erfordert die Haltung und Bewegungen des Gegners genau zu beobachten, um effektiv reagieren zu können. Ein falscher Schlag oder eine verpasste Parade kann schnell zu schweren Verletzungen führen, die nicht einfach durch das Konsumieren von Heiltränken geheilt werden können. Stattdessen müssen Wunden mit Verbänden versorgt und durch Ruhezeiten auskuriert werden. Diese Detailtreue mag zunächst sperrig erscheinen, den Spieler jedoch tief in die mittelalterliche Welt eintauchen.

Die Kämpfe sind anspruchsvoll und erfordern Geduld sowie Übung. Mit der Zeit lernt man jedoch, die verschiedenen Waffentypen – von Schwertern über Äxte bis hin zu Bögen und den neu eingeführten Armbrüsten – effektiv einzusetzen. Jede Waffe hat ihre eigenen Vor- und Nachteile, und es ist wichtig, die richtige Strategie für den jeweiligen Gegner zu wählen. Zudem spielt die Ausdauer eine entscheidende Rolle: Wer unbedacht angreift, wird schnell erschöpft und anfällig für feindliche Angriffe. Dieses System belohnt taktisches Vorgehen und präzises Timing, was zu einem anspruchsvollen und befriedigenden Kampferlebnis führt. 

Das beste an den Kämpfen ist jedoch, dass man ihnen sehr häufig vollständig aus dem Weg gehen kann. Sehr häufig gibt es eine alternative Lösung, wie man Konflikte lösen oder Gegenstände beschaffen kann. Sei es durch Überzeugungskraft oder kriminelle Energie – nur selten ist rohe Waffengewalt das einzige Mittel. 

Die Nebenquests sind ein weiteres Highlight. Neben der Hauptgeschichte gibt es zahlreiche Nebenmissionen, die oft aufwendig inszeniert sind und moralische Entscheidungen erfordern. Statt simpler „Hole dies, töte das“-Aufgaben erwarten den Spieler tiefgründige Geschichten mit echten Konsequenzen. Selbst wenn man mal eine vermeintliche Fetch Quest, wie z.B. das Tragen von Mehlsäcken, absolvieren muss, achtet das Spiel darauf, dass einem dabei möglichst nicht langweilig wird. Zum Beispiel dadurch, dass eine andere Situation nach jedem getragenen Mehlsack weiter eskaliert. Mehr sei an dieser Stelle noch nicht verraten. 

Ein weiteres bemerkenswertes Element von Kingdom Come: Deliverance II sind die tiefgehenden Handwerksmechaniken, insbesondere das Schmieden von Waffen und das Brauen von Tränken. Diese Aktivitäten sind nicht nur einfache Nebenaufgaben, sondern erfordern vom Spieler echtes Engagement und Präzision.

Beim Schmieden beispielsweise legt man das Eisen ins Feuer, bearbeitet es mit dem Hammer und muss dabei Temperatur und Timing genau im Auge behalten. Dieser Prozess ist anspruchsvoll und vermittelt ein authentisches Gefühl für das Handwerk des Mittelalters. Ähnlich verhält es sich beim Brauen von Tränken: Am Alchemietisch schlägt man das Rezeptbuch auf, sammelt die benötigten Kräuter und folgt dann Schritt für Schritt den Anweisungen. Dabei ist es wichtig, die Zutaten in der richtigen Reihenfolge zu verarbeiten und die Mischung weder zu lange noch zu kurz zu kochen. Diese Detailtreue mag zunächst sperrig erscheinen, trägt jedoch erheblich zur Immersion bei.

All diese Mechaniken erfordern Geduld und eine gewisse Lernkurve, belohnen den Spieler jedoch mit einem Gefühl der Authentizität und es fühlt sich einfach gut an, wenn man schließlich ein perfekt geschmiedetes Schwert oder einen wirkungsvollen Trank in den Händen hält. Diese realistischen Handwerksprozesse fügen sich nahtlos in die Spielwelt ein und verstärken das Gefühl, tatsächlich Teil dieser historischen Epoche zu sein.

Technische Verbesserungen und audiovisuelle Pracht

Ein großer Kritikpunkt des ersten Teils waren technische Probleme und Bugs. Hier hat Warhorse Studios klar nachgebessert. Während es immer noch kleinere Ungereimtheiten gibt, läuft das Spiel insgesamt flüssig und sieht großartig aus. Die Landschaften sind atemberaubend, die Charaktermodelle detailliert, und die Lichtstimmung trägt enorm zur Atmosphäre bei. Auch wenn es rein technisch sicher atemberaubendere Spiele gibt, merkt man hier einfach, dass das Spiel mit Liebe designt und nicht von einem Zufallsgenerator zusammen gewürfelt wurde. Selten sahen Landschaften so realitätsnah aus wie hier. Dass es in einer Gegend spielt, die der Natur bei uns in Deutschland sehr ähnelt hilft hier natürlich, denn man fühlt sich sofort wie zuhause. Auch der Soundtrack, bestehend aus mittelalterlichen Kompositionen, verstärkt das Eintauchen in die Welt. Die Soundqualität ist fantastisch, und die Geräuschkulisse – insbesondere in Wäldern – ist die realistischste, die ich je gehört habe. Das ist besonders erfreulich, weil andere Spiele, bei denen man meinen könnte, dass sie ein weitaus höheres Budget haben dies gerne mal vernachlässigen. (Ich denke an dich, blechernes Assassins Creed Valhalla!) Hier lohnt sich eine hochwertige Surround-Anlage definitiv. 

Fazit: Eine Herausforderung, die sich lohnt

Ich bin froh, dass ich meine anfängliche Skepsis überwunden habe. Kingdom Come: Deliverance II ist kein einfaches Spiel, und es erfordert Geduld sowie die Bereitschaft, sich auf eine realistische Mittelaltersimulation einzulassen. Wer ein actiongeladenes Fantasy-RPG erwartet, wird hier nicht glücklich. Doch wenn man sich darauf einlässt, wird man mit einer der immersivsten Spielerfahrungen belohnt, die es derzeit gibt.

Meine Sorge, dass das Spiel zu sperrig sein könnte, war letztendlich unbegründet. Es braucht zwar eine gewisse Einarbeitungszeit, aber sobald man in die Welt eintaucht, will man sie nicht mehr verlassen. Kingdom Come: Deliverance II ist eine herausragende Fortsetzung und ein absolutes Muss für Fans historischer Rollenspiele.

Vielen Dank an Deep Silver für die Bereitstellung des Mustercodes. Getestet wurde die PS5 Version auf der PS5 Pro.