Die folgenden Abschnitte dienen der Diskussion der gesamten Handlung und sind ausdrücklich spoilerbehaftet. Wer The Last of Us Part 2 noch nicht gespielt hat und sich inhaltliche Überraschungen nicht nehmen lassen möchte, der sollte gleich zum Fazit auf der letzten Seite des Artikels springen. Die Erzählstruktur von The Last of Us Part 2 basiert auf einer sehr interessanten Grundidee. Videospielkonflikte, gerade in Action-Spielen, werden üblicherweise aus einer einseitigen Perspektive betrachtet und die Beweggründe der Gegenseite entweder gar nicht erst thematisiert, oder die Motivation ist geradewegs eine Karikatur. In The Last of Us Part 2 folgen wir lange Zeit der Geschichte Ellies, die mit nur rudimentärer Kenntnis Abbys und ohne Berücksichtigung individueller Schicksale ihren Weg durch die WLF mordet, um Abby und ihre Freunde für den Mord an Joel büßen zu lassen. Im ersten Teil des Spiels scheint ein gewisser Fanatismus durch, der in Rücksichtslosigkeit auch gegenüber ihrer schwangeren Freundin Ausdruck findet. In einer freundlichen Lesart könnte man Ellies Handeln im Kontext eines Videospiels aber noch nachvollziehbar finden.

Im zweiten Teil schlüpfen wir allerdings in die Rolle Abbys, die zu Beginn des Spiels großzügig – aber nicht unbedingt umsichtig – Ellies Leben verschont hat. Wir erfahren nicht nur Abbys wenig überraschende Motivation für ihre Tat, sondern das Spiel bemüht sich auch, eine empathische Verbindung zu Abby aufzubauen. Die drei Tage, die Ellie sich durch Seattle mordet, werden durch Abbys Erlebnisse gespiegelt, die sich in dieser Zeit stark um Rettung des jungen Lev, der für seine Transidentität von seinem streng religiösen Volk ausgestoßen wurde kümmert. Im Gegensatz zu ihrem ruppigen Erscheinungsbild und dem Umstand, dass sie zu Beginn des Spiels Joel in einer ziemlich drastischen Szene totgeprügelt hat, wird Abby aber als verletzlicher und in gewissem Maße auch umsichtiger Mensch gezeichnet.
Diese Doppelperspektive ist ein gelungener Meta-Kommentar zum Writing vieler Action-Spiele, leidet aber in meinen Augen ein Stück weit an der schwachen Motivation Ellies, die ausschließlich von Rache getrieben ist. Möglicherweise verlassen die Entwickler sich hier darauf, dass man Ellies Motive auf Grund von im Erstling gewonnener Sympathie nicht hinterfragt, aber die Kontrastierung der beiden Perspektiven verliert stark an Wirkung, wenn man Ellies Handeln ohnehin bereits ablehnend gegenübersteht. Dass die Geschichte von The Last of Us Part 2 an einigen Stellen stark an eher unwahrscheinlich erscheinenden Entscheidungen und Begebenheiten hängt, könnte einige Spieler zusätzlich stören. Insbesondere Abbys wiederholte Verschonung Ellies ist, in Anbetracht der Leichtigkeit, mit der Abby selbst hunderte WLFs im Spiel tötet – eigene langjährige Verbündete – zumindest kurios. Auch die zugrundeliegende Prämisse, dass die Gewinnung eines Heilmittels aus Ellie notwendig an einem einzelnen Chirurgen hängt, bedarf einer gewissen Bereitschaft dazu, die Begebenheiten im Spiel nicht zu hinterfragen.

Für den Abschluss der Geschichte unerlässlich ist auch Ellies endgültige Entscheidung, Abby nicht zu töten. Diese Entscheidung wird dramaturgisch gut dargestellt, erscheint aber in Zeitpunkt und Umständen nicht glaubhaft, da in einem aktiven Kampf um Leben und Tod, den Ellie in der Situation ausficht und zumal nach einer körperlich bereits äußerst strapaziösen Reise, die Reflexion, die zu diesem Gesinnungswandel notwendig ist, vom Gehirn kaum leistbar wäre. Resignation, Mitleid oder Erschöpfung sind erzählerisch ungeeignet, um die Entscheidung zu erklären und ein natürliches Tötungshemmnis, soweit jemals vorhanden, muss Ellie sich im Verlauf des Spiels zwingend abtrainiert haben. Einerseits ist das Ablassen von Abby für die Gesamterzählung unerlässlich, andererseits hätte ein wenig mehr erzählerische Sorgfalt Not getan, um einer kritischen inhaltlichen Betrachtung standzuhalten.
Die allerletzte Spielszene im Zusammenhang mit Joel ist hinsichtlich der Präsentation aber noch einmal deutlich positiv hervorzuheben, da sie insbesondere den emotionalen Eindruck des Spiels gut abrundet und in meinen Augen an die zwei besonders gut inszenierten Szenen aus dem Erstling qualitativ anknüpft. Darüber hinaus ist die Präsentation von hoher Qualität, erreicht aber in meinen Augen nur in dieser einen Szene die gleichen Spitzen wie der Erstling. Ein wenig schade finde ich, dass die Entwickler bei Abbys Geschichte ein wenig zu viel Abstand von Ellies Handlungen wahren und durch die umfangreiche Beschäftigung mit Levs Schicksal die enge Verknüpfung der beiden Geschichten verwässert wird. Durch die lange Laufzeit der beiden Kampagnen – jeweils bringt man etwa zehn Stunden, weitgehend in einem einzelnen Block, mit den beiden Protagonisten zu – wird die erzählerische Intensität und der Kontrast der Situationen ein Stück weit verspielt.