9 R.I.P. (Review)

Gerüchte von weggezauberten Menschen haben mich in die Stadt Narimigahama gezogen. Von Geistern, die den Sternenhimmel betrachten oder die Gänge der Schule durchstreifen. Na gut, der Romanzen-Anteil der Visual Novel 9 R.I.P. hat mich auch sehr interessiert. 

Misas Reise ins Zauberland

Neben einer großen Portion zuckersüßer Romantik erwarten Protagonistin Misa und mich ein wenig Grusel samt unheimlicher Tode und jede Menge Mystery. Je nach Route wird die Geschichte mal mehr, mal weniger unheimlich, aber bis auf wenige potenzielle Jumpscares, Glitch-Grafikeffekte und Blutspritzgeräusche hält sich der Horroranteil in Grenzen. Wo vorhanden, ist die Gruselatmosphäre sehr ansprechend gelungen und nutzt Bild, Video und Ton gekonnt aus.

Die fünfzehnjährige Misa ist Schülerin an der Narimigahama High und steht kurz vor der Abgabe die Career Survey, die nach Berufsplänen fragt. Während allen anderen scheinbar klar ist, welchen Berufszweig sie einmal einschlagen möchten, hadert Misa mit der Entscheidung. An dieser Stelle greift der Prolog ein und verknüpft die übernatürlichen Geschehnisse mit Misas Alltag. Denn es heißt, insbesondere Menschen, die verwirrt sind oder große Probleme haben, würden weggezaubert (spirited away) werden. Im Gegensatz zu ihrer Freundin Sayaka glaubt Misa eigentlich nicht an Geistergeschichten (aber in diesem Fall glaube ich lieber daran als an eine traurige Alternative). Doch schon bald widerfahren Misa Dinge, die sie an ihrem Unglauben zweifeln lassen.

Nach einer Entscheidung (oder in einem Fall nach zweien) ist das Routenbuffet eröffnet. 9 R.I.P. bietet vier Hauptrouten, die sich nach mehreren Kapiteln in Charakterrouten verzweigen. Die School Ghost Stories bieten wahrscheinlich den größten Gruselfaktor, während Urban Legends, Other Realm und insbesondere Spirit World teilweise deutlich weniger auf Horror setzen. Passend für eine Tasse Tee und einen Teller Kekse beim Spielen.

Screenshot 9 R.I.P.: "A time when all students look toward their future, and my future stared blankly back at me."
Nein, Sayaka ist nicht die Zukunft.
Idol, Höllengroßwächter oder Spiegelgeist?

Ich bin zuerst in die Urban Legends gestolpert und Misa und ich haben uns Idol SENA angelacht. Senas tragische Geschichte zog mich sofort in ihren Bann, weshalb ich Misa zu ihm geschickt habe, wann immer mir das möglich war. Denn neben den regelmäßigen Entscheidungen innerhalb des Textes, mit denen ich die Zuneigung der Love Interests erhöhen kann, ploppt hin und wieder eine Karte auf. 

Per Karte gelangt Misa manchmal an plotrelevante Orte, oftmals ermöglicht sie aber auch Besuche bei den beiden Love Interests in der jeweiligen Common Route. Während manche Besuche erzwungen werden, bieten sich andere dazu an, gezielt die Zuneigung einer Person zu erhöhen. Dabei kann Misa verschiedene Gesprächsthemen initiieren, die teilweise die Zuneigung erhöhen. In der Regel ist es einfach, eine spezifische Person für die Charakterroute anzusteuern, in einem Fall reicht dabei jedoch die Zuneigung allein nicht aus. 

Die Love Interests und Charaktergeschichten sind dabei abwechslungsreich. Nicht nur unterscheiden sie sich charakterlich und in ihren Problemen deutlich voneinander. Sie sind auch alle so gut ausgearbeitet, dass ich selbst mit den Charakteren warm werde, die ich auf Anhieb erst einmal nicht mochte oder denen gegenüber ich kritisch eingestellt war. Darunter ist beispielsweise Hibiki, der in seiner eigenen Spiegelwelt lebt und bedrohlich wirkt. Ich hatte Zweifel daran, ob ich ihn für einen geeigneten Partner für Misa halten würde, doch nach und nach änderte sich mein Bild von ihm.

Durch die vier Hauptrouten wird bereits vorgegeben, dass zumindest in der Hälfte jeder Geschichte jeweils zwei Charaktere wichtig sind. Neben Sena ist das in den Urban Legends Koyo, der als Merry Mary Kontakt zwischen Geistern und Lebenden herstellt. Die beiden haben auch innerhalb der Charakterrouten viel miteinander zu tun. Darüber hinaus überkreuzen sich die Wege verschiedener Love Interests oft auch routenübergreifend. 

Screenshot: "But I was sure i felt a faint sigh brush past my ear and a cold chill envelop my body."
Kara Kara …
Den kenne ich doch!

Manchmal sind es eher kleine Cameos, bisweilen kommt es aber auch zu wiederholten Begegnungen mit Charakteren, die hauptsächlich in anderen Routen eine Rolle spielen.

Ich mag diese Momente besonders gern, zeigen sie doch, dass die Welten um Misa herum weiter existieren, auch wenn sie gerade nur in einem bestimmten Teilbereich unterwegs ist. Außerdem verändert und erweitert sich dadurch in kleinen Happen mein Blick auf die Welt von 9 R.I.P. In gewisser Weise nimmt das zwar kleinere Erkenntnisse aus anderen Routen vorweg, doch ich finde das für das Gesamterlebnis sogar zuträglich. Immerhin kann ich so Personen oder Gegebenheiten wiedererkennen.

Weniger wiedererkannt habe ich die japanischen Synchronstimmen der Charaktere. Das liegt allerdings eher an mangelnder Vorkenntnis, denn darunter sind Namen, die aus anderen Otome Visual Novels bekannt sein könnten. Darunter auch einige Stimmen aus Cupid Parasite, das wie 9 R.I.P. von Yuuya illustriert wurde. 

Aber auch ohne Vorkenntnisse haben mir die Stimmen sehr gefallen, die je nach Charakter eine besonders große Bandbreite an stimmlichen Feinheiten aufweisen. Einzig ist es ein wenig schade, dass die Protagonistin selbst nicht vertont ist.

Zum Ausgleich gibt es aber eine Besonderheit, wenn sie anstelle eines eigenen Namens den Standardnamen nutzt. Denn dann können die anderen Charaktere an vielen Stellen ihren Namen tatsächlich aussprechen, statt dass der Name nur im Text steht. Glücklicherweise nehme ich in Visual Novels ohnehin gern den Standardnamen.

Himmlische, Göttliche und Schlechte Enden

Jede Charakterroute bietet zwei “Gute” Enden, daneben existieren aber auch viele vorzeitige Enden, die unterschiedlich tragisch oder brutal sind. Über grausige Wege zum Sterben in Visual Novels freue ich mich immer sehr. In 9 R.I.P. ist bei einigen Entscheidungen naheliegend, dass eine Wahl vermutlich tödlich enden wird, andere sind nicht ganz so erwartbar. Besonderheit ist zudem Misas Insanity Meter. Ihr zunehmender Wahnsinn führt zwar nicht zwingend zum Tod, aber sind darunter einige wahnsinnig gelungene Textbild- und Bildbild-Gruseleffekte. 

Die Godly und Heavenly Endings entsprechen guten Enden in anderen Visual Novels. Oft gleichen sie jedoch eher einer Sahnetorte mit Mandarinenkernen. Das liegt in der Natur der Paare, schließlich trifft Misa als Mensch auf Geister, Geister (ghosts vs. spirits) und Dämonen. Das ausnahmslos glückliche Ende ist damit oft nur schwierig möglich.

Wiederholt habe ich mich beim Gedanken daran erwischt, dass ich gerade kein gutes Ende lese, auch wenn es als besonderes Ende mit hübschen CG aufwartet. Aber niemals, weil ich es für nicht gelungen gehalten hätte. Allenfalls sind einige Enden besonders im Epilog ein wenig knapp geraten, aber mir gefallen die meisten von ihnen sehr. Aber viele Enden sind einfach durch die Umstände zwar das “positivste mögliche Ende” und deshalb tragisch, auch wenn Misa glücklich sein mag.

Tatsächlich ist der einzige Aspekt, der mich wirklich stört, dass viele der Love Interests zu eifersüchtig werden. Von jemandem zu verlangen, nicht mehr mit Männern zu sprechen, hinterlässt doch einen schalen Nachgeschmack. Vorhandene Altersunterschiede sind dagegen eher harmlos.

Screenshot: "And so, I made up my mind to ..."
- "Talk with my sister, Tsubasa."
- "Check some materials in the library."
- "Escape reality with something delicious."
Der Entscheidungsbildschirm.
Deine Probleme und meine Probleme

Romantik und Tragik sind aber nicht alles, was 9 R.I.P. zu bieten hat. Misas Zukunftsängste (okay, die zählen wahrscheinlich als Tragik) sind nicht nur Aufhänger der Geschichte, sondern die Problematik zieht sich auch durch die einzelnen Routen. Über alle Routen hinweg fragt Misa um Rat oder versucht, ihre Probleme allein zu lösen, was zu unterschiedlichsten Reaktionen führt. Mal stehen eindeutig Misas Selbstzweifel im Vordergrund, mal die Probleme der Love Interests. (Beispielsweise das, was ein Geist am meisten bedauert). Vergessen werden Misas Probleme mit ihrer Zukunft und ihrer Mutter, die ihre eigenen Pläne hat, jedoch nie. Besonders die Einsichten verschiedener Charaktere mit ihrer eigenen (Nach-)Lebenserfahrung gefallen mir dabei, die Misa unterschiedlich stark in eine Richtung lenken, die sie glücklich machen könnte.

Hier spielt auch wieder meine routenübergreifende Spielerfahrung mit ein. Gerade, weil nicht immer ein definitiver Berufswunsch auf dem Fragebogen landet. Nachdem Misa in einer Route eine Erkenntnis hatte, habe ich mich immer gefreut, wird sie in einer anderen sanft in dieselbe Richtung geleitet. 

Ähnliches gilt auch für die Love Interests, wenn auch vorwiegend in den komplementären Charakterrouten. So sind Senas Probleme auch bei Koyo weiterhin vorhanden, auch wenn Misa sich nicht hauptsächlich für das Idol interessiert. Auch gibt es einzelne Charakterentwicklungen, die ohne Misas direktes Eingreifen stattfinden und damit in verschiedenen Routen stattfinden. 

Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen

Technisch bietet 9 R.I.P. alles, was das Spielen einer Visual Novel angenehm gestaltet: Auto-Modus, schnelles Vorspulen, massenhaft Speicherplätze. Sogar eine Rückspulfunktion und eine optionale Touchsteuerung. Allerdings habe ich ein paar Stunden gebraucht, bis ich mit der Steuerung abseits des Touchscreens komplett zurechtkam. Das betrifft vor allem die Auswahl von Möglichkeiten, da diese nicht mit dem Stick, sondern mit den Richtungstasten durchgescrollt werden. Hin und wieder hatte ich zudem das Problem, dass alle Texte übersprungen wurden und nicht nur bereits gelesene. Doch meist habe ich das ausreichend schnell bemerkt.

Darüber hinaus verfügt die Visual Novel über ein umfangreiches Glossar, das Begriffe und Charakterhintergründe erklärt. Das Glossar lässt sich über das Menü auswählen, aber auch per Knopfdruck bei farblich markierten Wörtern innerhalb des Textes.

Neben bereits gefundenen CGs und dem Soundtrack kann ich aber auch viele verschiedene vertonte Monologe freischalten und anhören. 

Fazit

9 R.I.P. verknüpft gekonnt Mystery und Romantik in einer wunderhübschen Visual Novel mit eindrucksvollen Effekten. Die vier Hauptrouten mit je zwei Love Interests bieten sehr viel Umfang, auch wenn vereinzelte Enden etwas knapp geraten sind. Fokus, Stimmung und Gruselfaktor sind abwechslungsreich und Charaktere dabei konsistent bei routenübergreifenden Auftritten. Viele Enden sind eher bittersüß als rein positiv. Ich fand nicht von Anfang an alle Love Interests interessant, aber im Verlauf konnte ich selbst denen, die ich weniger mochte, immer mehr abgewinnen. Zudem ist Misa eine nachvollziehbare Protagonistin, die trotz aller Romantik ihre ungewissen Zukunftspläne nicht aus den Augen verliert.

Herzlichen Dank an Idea Factory International für die Bereitstellung des Testmusters. Getestet auf Nintendo Switch.