Imurs Indie Imbiss: Keep Driving (Review)

Roadtrips haben einen romantischen Ruf, den wir auf unseren Autobahnen nur schwer nachvollziehen können. Dauernd befindet man sich auf dieser Hochgeschwindigkeitsrennstrecke auf Spannung, denn selbst wenn man selbst nicht rast, kann es jederzeit passieren, dass selbst beim überholen eines LKW ein wahnsinniger von hinten angeschossen kommt, oder, noch schlimmer, jemand vor einem plötzlich ohne zu gucken oder zu blinken auf die eigene Spur zieht, während er 80 fährt. Doch selbst wenn wir in einem Paralleluniversum mal verstehen würden, warum ein Tempolimit viele dieser Probleme lösen und einen fließenderen Verkehr ermöglichen würde, wäre ein Roadtrip auf der Autobahn kaum ein Erlebnis, an das man sich gern zurückerinnert. So effizient sie auch sind – sie sind mindestens genauso langweilig. Seid ihr mal eine lange Strecke auf der Landstraße gefahren? Ich habe das mal gemacht und kann von dieser einen Fahrt mehr erzählen, als von all meinen Autobahnfahrten zusammen – zumindest wenn ich die Nahtoderfahrungen durch Idioten nicht zähle. Aber selbst dies kommt durch die enge Besiedlung des im Vergleich winzigen Deutschlands nicht ansatzweise an das ran, was einen amerikanischen Roadtrip ausmacht, wie er in diesem Spiel zelebriert wird.

Die Prämisse

Man startet das Spiel als ein junger Mensch in einer Schrottkarre, der einen freien Sommer vor sich hat und einen Brief von einem alten Freund erhält, mit dem dieser einen zu einem Festival auf der anderen Seite des Landes einlädt. Mit einem Minimum an Geld für Snacks und Benzin und weniger Gepäck, als ich für einen dreitägigen und nicht dreimonatigen Trip mitnehmen würde, geht die Fahrt dann los. Eine klare Route wird nicht festgelegt, ebensowenig ist klar, wie man jemals dort ankommen soll. Fest steht nur, dass man sich ein Ticket abholen muss und im Idealfall irgendwo ein Zelt auftreiben sollte. Wenn einem das nicht gelingt, ist es aber auch nicht so schlimm. Was folgt ist eine wirklich einzigartige Spielerfahrung, der eine Auflistung der Mechaniken nicht gerecht wird. Dennoch gehört es dazu.

Nur ein schwaches Survival RPG?

Rein technisch betrachtet ist das Spiel ein rundenbasiertes RPG mit einem großen Fokus auf Ressourcenmanagement. Schon kurz nach der Abfahrt werden wir mit diversen Zufallsereignissen wie Staus, Polizeikontrollen, dicht auffahrenden Autos und vielem mehr konfrontiert. Diese greifen uns an und kosten uns je nach Ereignis entweder Energie, Geld, Benzin oder beschädigen sogar unser Auto. Um diese zu verteidigen müssen wir taktisch clevere Gegenangriffe starten und möglichst keine einzige Attacke durchkommen lassen. Hierfür gibt es verschiedene Skills, die man passend für die Gefahren auswählen muss. Wenn man dies besonders gut macht, kriegt man einen gratis Zug dazu und darf direkt nochmal angreifen. Am Anfang ist dies ehrlich gesagt ziemlich stumpf und auch ein wenig nervig, da man noch kaum Skills zur Verfügung hat und es in etwa den Anspruch von Bauklötzen in die richtige Öffnung stecken hat.

Der erste Eindruck täuscht!

Spannender wird es erst später, wenn man nicht nur weitere Skills gelernt, sondern sogar Gruppenmitglieder gefunden hat. Diese bekommt man dadurch, dass man Anhalter am Straßenrand mitnimmt. Diese bringen ihre eigenen Fähigkeiten, Laster, aber auch Bedürfnisse mit. So hatte einer der Leute, die ich aufgesammelt habe seinen Hund dabei, der einen eigenen Platz im Auto verbraucht und eine andere hatte die Angewohnheit, ständig das Auto und damit das Inventar zuzumüllen, indem sie zum Beispiel leere Milchshakes oder Toilettenpapierrollen darin verteilt. Die Anhalter haben natürlich auch alle ein eigenes Ziel, zu dem sie gerne gefahren werden möchten, man kann dies allerdings auch ignorieren und einfach seinen eigenen Weg gehen. Man lernt die Charaktere auf der Fahrt besser kennen und freundet sich mit ihnen an. Wenn ein Charakter einem dann doch zu sehr auf die Nerven geht oder ein anderer vielversprechender wirkt, kann man sie natürlich jederzeit vor die Tür setzen.

Sowohl die Gruppenmitglieder, als auch man selbst kriegen im Laufe des Spiels Erfahrungspunkte, steigen auf und erlernen neue Skills. Für den eigenen Charakter erhält man Skillpunkte, die man in verschiedene Bäume verteilen kann, bei den Gruppenmitgliedern passiert dies automatisch. Aus der später recht hohen Auswahl an Skills kann man sich eine begrenzte Zahl aussuchen, die in den „Kämpfen“ bereitstehen. Doch nicht nur man selbst kann sich verbessern, man kann auch Verbesserungen für das Auto kaufen oder finden, die man sich in einer Werkstatt einbauen kann. Dies ist zunächst aber undenkbar. Das Geld reicht kaum, um den ständigen Hunger und das Benzin zu stillen und man fragt sich anfangs, wie man je bis ans andere Ende des Landes kommen soll. Auch an ein Hotel ist nicht zu denken, sodass man sich gerne mal eine Unterkühlung dabei holt, dass man im Auto schläft. Wenn dann noch eine Reparatur für das Auto ansteht ist die Panik zunächst groß.

Der Weg ist das Ziel

Vieles hiervon kann sich im späteren Verlauf ändern, ich möchte hier jedoch nicht zu viel verraten, da der Roadtrip ja schon noch Überraschungen bereithalten sollte. Je nach eigener Entscheidung kann es aber zu diversen Enden kommen, von denen ich kaum eines als besser als das andere bezeichnen würde. Welche Ziele man im Leben verfolgt und wie man mit anderen Menschen umgehen möchte liegt ja völlig im Auge des Betrachters. Ist es nur wichtig Spaß zu haben und zu dem Festival zu kommen? Möchte man möglichst vielen Menschen helfen? Oder sollte man vielleicht andere Möglichkeiten, die sich einem bieten auf dem Weg einfach annehmen, und ein langweiliges, aber sicheres Leben führen? All dies hängt von den vielen Entscheidungen ab, die man in Keep Driving treffen muss. Hierdurch wird auch die Schwierigkeit und die Spiellänge bestimmt. Wer einfach nur zum Festival will kann das Spiel in drei Stunden beenden und wird kaum Schwierigkeiten haben. Auch wenn es im ersten Moment wie ein knallhartes Survival Roguelike wirkt, ist das Spiel recht gnädig und harmlos. Stressig wird es erst dann, wenn man es allen recht machen oder möglichst alles erleben will.

Fazit

Keep Driving ist gleichzeitig ein wenig belanglos und gerade deshalb irgendwie absolut spielenswert. Das Spiel schafft es, Nostalgie in mir für etwas zu wecken, das ich selbst noch nie erlebt habe: Einen echten, wochenlang andauernden Roadtrip durch die unendlichen Weiten der USA. Hierfür sorgen weniger die simplen Mechaniken oder das Survivalmanagement, als die tolle Kulisse, der fantastische Soundtrack sowie die Situationen und Charaktere, denen man auf der Strecke begegnet. Wie ein echter Roadtrip kann auch das Spiel ab und an mal ein wenig langweilig sein, wenn man recht lang auf einer graden Strecke fährt, nichts aufregendes passiert und man die Begegnungen schon längst gemeistert hat. Das, was das Spiel machen will, macht es allerdings fantastisch und es ist definitiv eine Erfahrung, wie keine andere. Die einzige Frage, die man sich vor dem Kauf stellen muss ist, ob die fantastisch umgesetzte Idee denn auch eine gute war. Dies liegt sicher im Auge des Betrachters. Nicht für jeden wird das Spiel eine atemberaubende Erfahrung sein, wer sich jedoch auf ein ungewöhnliches Spielerlebnis einlassen will und wem die 18 Euro für (wenn man nicht mehrere Routen spielen möchte) drei bis vier Stunden nicht wehtun kann hier aber bedenkenlos zugreifen. Denn der wahre Schatz sind nicht die einzelnen Mechaniken, sondern die Freunde, die wir unterwegs gefunden haben!

Vielen Dank an YCJY Games für die Bereitstellung des Mustercodes. Getestet wurde die Steam Version.