The Getaway PS2
Da habe ich mir ein Eigentor geschossen. Ich dachte, vielleicht ist es damals zu Unrecht durchwachsen bewertet worden, weil es seiner Zeit voraus war? Ich erinnere mich in Tests seiner Zeit an viel Häme, weil die Spielfigur sich einfach so ohne Items heilt.
Vielleicht stimmt es. Aber wie ich festgestellt habe, war das Spiel zum Release trotz 16:9-Zwang völlig veraltet gewesen. Es liegt an der Steuerung. Das Spiel ignoriert den zweiten Stick. Am Anfang der PS2 war das noch in manchen Spielen so, aber es gibt keine Kamerasteuerung. Man zielt über die Schultertaste mit Zielerfassung. Es gibt auch nutzloses freies Zielen, wenn man die andere Schultertaste klickt. Würde man die Bewegung vom linken Stick auf das unbenutzte Steuerkreuz legen (und die Hupe von L3 auf die unbenutzten L1 oder L2-Tasten legen), würde das Spiel mit einem Digitalcontroller vom PSOne-Start spielbar sein.
Fürchterlich. Beim Fahren ist der Mangel an Kamerakontrolle am schlimmsten. Man fährt blind um enge Kurven. Das verursacht viele Unfälle.
Man läuft auch blind um Ecken. Am schlimmsten ist, dass die Kamera nicht konstant hinterm Helden bleibt, sondern beim Durchqueren einer Tür ihn plötzlich vielleicht von Vorne zeigt. Da man eh semiautomatisch zielt, ist das nicht unbedingt ein Dealbraker, aber - Quatsch, wenn man in einem Stealthabschnitt ist, kann es genau einer werden.
Und auch wenn man akzeptiert, dass die Steuerung das ist, was sie ist, funktioniert sie für sich in vielen Situationen auch nicht gut. Am schwersten oder unfairsten ist das Spiel, wenn man eine Treppe hoch muss. Die Zielerfassung funktioniert fast gar nicht (sie hat es nicht so mit Gegnern auf anderer Ebene hinter einem) und kann nicht rennen. Man läuft seelenruhig die Treppe rauf und lässt sich halt in den Rücken schießen und hofft, dass die Energie reicht, bis man zurückschießen kann.
Hat man das dann überlebt, lehnt man sich an die Mauer, bis die deutlich sichtbaren Blutflecken verschwinden. Ganz alleine heilt man sich nicht, wie heute gewohnt, sondern muss sich anlehnen. Das finde ich gar nicht mal so schlecht, weil es faktisch bedeutet, dass man die aktuelle Situation klären muss und im Kreis laufen um ein paar Kisten noch nicht reicht, um Energie zurückzukriegen. Aber es zerstört das Pacing, wenn man nach jeder Schießerei erstmal an der Wand lehnt, das ist die Kehrseite. Und hat man einen Begleiter, wird man dann immer verspottet.
Was mir auch nicht gefällt, ist die geringe Kontrolle über die Waffen. Die haben eine Art Hierarchie. Man hat seine Pistole, nimmt man eine Schrotflinte auf, hat man nur die, nimmt man ein Sturmgewehr auf, hat man nur das. Ist die Schrotflinte gerade nützlicher? Vergiss es, das Spiel findet Sturmgewehre grundsätzlich besser, also benutzt du das jetzt. Steht der Feind zu weit für die Schrotflinte weg und die Pistole wäre besser? Egal, die Schrotflinte ist stärker, nimm die!
Man kann zugegebenermaßen die stärkeren Waffen wegwerfen, um zur Pistole zurückzukehren, aber dann muss man die Schrotflinte wieder aufnehmen, was doof ist, wenn sich schnell mehrere Gegner nähren. Und vielleicht ist die Schrotflinte so in den Boden gefallen, dass sie nicht mehr aufzuheben ist.
Das Spiel verzichtet auf jede HUD-Markierung. Beim Autofahren muss man sich am Blinker orientieren, der einen die Richtung vorgibt. Zum einen ist es entblößend in Verfolgungsjagden, weil der Blinker anzeigt, dass der Verfolgte eine vorgegebene Route fährt, man also eher ein Time Trial als eine echte Verfolgungsjagd absolviert. Und wenn man nur wo hin will, schickt einen der Blinker fröhlich in Einbahnstraßen (ist das echte London wirklich mit so vielen Einbahnstraßen geschlagen?). Ist man am Ziel, blinken beide Blinker gleichzeitig, aber weil man die Kamera nicht drehen kann um nach dem Gebäude mit Einfahrt oder offener Tür zu gucken, weiß man oft trotzdem nicht, wo das Ziel jetzt genau ist. Manchmal muss man gleich neu starten, weil das unsichtbare Zeitlimit abläuft, bevor man durch die Tür gerannt ist.
Das Zeitlmit ist eh schlimm. Es wird nicht angezeigt. Man hat nicht immer eins, aber es gibt es in vielen Situationen, wo man von der Story nicht unter Druck ist und nicht verfolgt wird und langsames Fahren besser wäre. Dann gibt es plötzlich aus dem Nichts das Warngeräusch, aber jetzt ist es dann schon zu spät, Gas zu geben. Neustart!
Die Fahrzeugsteuerung fand ich gut, insbesondere gefiel es mir, wie die Steuerung auf Schäden am Fahrzeug reagiert, die Karre verzieht oder an Tempo verliert. Das macht die Zeitlimits auch nicht leichter einzuhalten, vor allem, wenn man aussteigt und gerade nur lahme Karren zum Entführen als Ersatz bereitstehen, aber trotzdem empfinde ich die spürbaren Schäden als positive Art von Erschwernis.
Was zum Weiterspielen motiviert hat, ist die ganz spannende Story in der ersten Spielhälfte. Man ist ein Exgangster, der von einem Gangsterboss gezwungen wird, Jobs zu erledigen, das Druckmittel ist der entführte Sohn. Dadurch löst man große Bandenkriege aus. Die erste Hälfte ist ganz spannend, dann wechselt das Spiel in die Perspektive eines Polizisten und springt zunächst in der Zeit zurück. Der Perspektivenwechsel hätte interessant sein können, aber die kürzeren Sequenzen und Missionen, die teils an vertrauten Orten spielen, wirken hingeschludert.
Komscherweise ist die zweite Hälfte auch spürbar leichter als die erste. Das hat drei Gründe:
1. hat man oft an bestimmten Stellen Unterstützung durch andere Polizisten.
2. wird man nicht von der Polizei verfolgt, egal wie man fährt. Manchmal greifen einen Gagnsterkarren an, aber davon gibt es viel weniger als Polizeiautos und in der ersten Hälfte hat man mit beiden zu tun.
3. Hält man die Zeitlimits beim Fahren auch deshalb leichter ein, weil der Zivilverkehr einen beim eingeschalteten Blaulicht Platz macht. Das verringert das Unfallrisiko. In der ersten Hälfte passiert es nicht mal, wenn man ein Polizeiauto entführt und die Sirene einschaltet. Woher die normalen Verkehrsteilnehmer den Unterschied auch immer spüren.
Lustigerweise wird man als Polizist aber viel öfter Unschuldige töten, weil die Passanten auf die Sirene auch mit ausweichen reagieren, in engen Gassen endet es aber damit, dass sie vom schmalen Bürgersteig auf die Straße springen und einem damit direkt vors Auto. Da fährt man mal locker zehn Leute in einer Gasse tot.
Dramaturgisch ergab die zweite Hälfte auch keinen Sinn. Umgekehrt wäre ein Schuhe draus geworden, erst den Polizisten spielen, der sich fragt, was da zur Hölle los ist, dann die andere Perspektive. So wusste man als Spieler ja, warum alles eskaliert. Man hat es selbst herbeigeführt.
Auf Dauer hat man sich an die Macken gewöhnt, aber das ist kein zu seiner Zeit verkanntes Rohjuwel. Es ist zu seiner Zeit und für immerdar ein ambitionierter Rohrkrepierer. Die Grafik war so früh im Zyklus der PS2 aber sehr gut!
Was ich lustig fand: Die Standardgangster wurden von denselben deutschen Sprechern gesprochen, wie Standardgangster in Max Payne 2. Das waren wohl Spezialisten für diese Rolle.
Was mir am Schluss Bauchschmerzen verursachte: Die rassistische Rede des alten Gangsterbosses, als er zum Schluss in die Hände der anderen Gangs gerät. 20 Jahre später hat der Rassismus alter Männer die Oberhand. In diesem einen Punkt ist das Spiel sogar gut gealtert, geradezu relevant. Der Zorn alter Männer in machtvollen Positionen birgt viel Destruktivität.