Ich wollte eigentlich nach jeder Tanta einen Zwischenbericht geben, aber dann ging es so schnell zur dritten Tanta und danach viel schneller und plötzlich war ich fertig - wobei plötzlich relativ ist, ich habe 32 Stunden auf der Uhr. Nur der Hauptstory folgend, braucht man wohl nur die Hälfte.
Ich fange mal mit dem ganz schlechten an: Das Spiel wirkt einfach nicht fertig. Da ist ein super motivierendes Bewegungs- und Kampfsystem, aber eine viel zu kurze Hauptstory und viel zu wenig echte Nebenaufgaben. Es wirkt, als sei aus einer Mischung aus Corona und Skepsis des Konzernmanagements gegen die neue IP einfach nur der halbe Plan zu Ende gebracht worden. Die Welt hingegen ist so groß, wie es die ursprünglichen Pläne mal vorgesehen haben. Sie ist einfach riesig und wenn man nur der Hauptstory folgt, sieht man vermutlich keine 10 Prozent dieser Welt. Weil ich alle Zauber erlernen können wollte und ich daher jeden Segensborn finden musste, habe ich einen guten Teil der Welt in den 30 Stunden erkundet, aber nicht alles, der Nordosten der Karte ist sogar noch unberührt.
Ich beginne mit einem Block, wieso sich das Spiel unfertig anfühlt:
- Eine so rasche Eskalation ab der zweiten Tanta, dass man mit den letzten Magiebäumen kaum vertraut wird, bevor man beim Endgegner steht.
- Keine wirklich neuen Standardgegner nach der zweiten Tanta.
- Viele besondere Aktionen in Zwischensequenzen wurden nicht animiert. Das Bild wird mal kurz schwarz, dazwischen soll etwas passiert sein (etwa Handschellenanlegen) und wenn Frey etwas überreicht wird, sieht man den Gegenstand eigentlich nie, weil dann immer in Schulterhöhe gefilmt wird, wie sich die Figuren etwas geben.
- Im späteren Spielverlauf gibt es
Portale, wie das, durch das Frey in die Welt gekommen ist. Obwohl das Spiel jeden Fleck der Karte binnen einer Sekunde lädt, erweckt es den Anschein des Nachladens, weil man nicht wie in Ratchet & Clank sieht, wie man das Portal durchschreitet. Stattdessen wird das Bild kurz schwarz. Man kommt schneller an, als da, aber ein sichtbarer Übergang wäre attraktiver für den Spieler.
- Spoiler ab der dritten Tanta bis zum Schluss:
Die ist einfach tot, kein Bosskampf. Toll! Keiner kann mir erzählen, dass das so geplant war. Ich kann mir vorstellen, dass kein Kampf gegen die vierte Tanta geplant war - was schade ist, ein tragischer Kampf auf Leben und Tod mit Freys wahnsinniger Mutter hätte alles viel bitterer gemacht. Aber viele Videospielautoren scheuen die bitteren Konsequenzen ihrer Plotideen. Doch um den Kampf mit der dritten Tanta fühle ich mich einfach betrogen!
- Kein Bosskampf ist so geil wie der mit der ersten Tanta. Der Kampf mit der zweiten Tanta fühlt sich wie ein stinknormaler Videospielkampf an, nicht wie ein überzeugendes Hexenduell. Sie hat viel zu überschaubare Bewegungs- und Angriffsmuster und ich selbst blieb auch stur bei einer effektiven Attacke, wo ich gegen die erste Tanta ständig improvisiert habe. Es wirkt so, als sei der erste Kampf der Musterkampf gewesen, der die Marschrichtung vorgeben sollte, und bis aufs letzte poliert wurde, um im Anschluss festzustellen, dass man für den Rest die Zeit nicht mehr hat.
- Stellenweise ist man in der Bewegung zu eingeschränkt. Die Hauptstadt darf man nur durch eines mehrerer Stadttore betreten und selbst wenn man wegen der unsicheren Welt akzeptiert, dass nur eines offen ist, könnte man die Stadtmauern an mehreren Ecken theoretisch überspringen, man darf aber nicht. An technischen Gründen liegt es nicht, wenn man beim Versuch über die Mauer schaut, sieht man, dass die Stadt dahinter inklusive NPCs geladen ist.
- Später kann man aus quasi jeder Höhe stürzen. Das kann man an einigen Stellen für Abkürzungen nutzen, aber immer wieder sind willkürlich Orte zu finden, wo man nicht runterfallen darf. Auf halben Weg wird das Bild weiß und man steht mit HP-Abzug wieder oben. Der Grund? Keine Ahnung! Die Technik scheint es mir wieder nicht zu sein, denn das Spiel lädt jeden Entfernungssprung binnen einer Sekunde, was in einigen Zwischensequenzen auch genutzt wird.
- Die Welt ist zu groß für das, was an Inhalt da ist - oder zu sein scheint, ich bin jetzt im Internet Spoilern nachgegangen und es gibt wohl doch überraschend viel einzigartige Dinge zu entdecken, aber sicher auch zu wenig für die Größe. Es wirkt halt so, als wäre die Welt für viel größere Pläne gemacht worden.
- Die Manapartikel, die man aufsammelt, um Zauber freizuschalten, sind total ungleich verteilt. In Praenost, dem Gebiet der ersten Tanta, liegt so viel davon herum, dass man sich wie in einem Colleectathon wähnt. Es erfüllt dort auch oft den Zweck von den Noten in Banjo-Kazooie und leiten einen zu interessanten Orten. In allen anderen Gebieten sind sie extrem sparsam verteilt. Wer Praenost erkundet, kann sich im Anschluss die wichtigen Zauber jedes Baums sofort freischalten, wer erst später etwas sehen möchte - was verständlich wäre, weil Praenost sehr karg ist und die anderen Teile Athias hübscher, wird viel weniger Zauber freischalten können.
- Weil die zweite Hälfte zu kurz ist, wird man mit den späten Zauberkräften nicht mehr richtig vertraut. Es gibt auch einen Grund, warum man auch lieber eher schnell zum Endgegner geht, aber das spoilere ich jetzt nicht.
Am liebsten mag ich die Wasserzauber, sie lassen sich am effektivsten zu spektakulären Combos kombinieren. Die Feuerzauber mochte ich am wenigsten, zu viel Nahkampffokus, das nimmt dem Spiel auch etwas das besondere.
Was ich aber auch betonen will: Das Spiel ist alles andere als unfertig programmiert. Was da ist, funktioniert perfekt. Das ist ein sehr poliertes Erlebnis. Ein Open World-Spiel mit dieser freien Bewegung, die einen animiert, überall mal unmögliche Wege auszuprobieren, wäre prädestiniert dafür, dass man zwischen einer Felsspalte in einer ewigen Fallanimation hängt, dass man irgendwo durch clippt oder dass ein Gegner beim Versuch, einem zu folgen, mal irgendwo hängen bleibt. Aber absolut nichts, es ist trotz aller oben aufgezählten Indizien eines der poliertesten Open-World-Spiele, die ich kenne. Handwerklich kann man absolut nicht meckern.
Was mir gefällt:
- Das Kampfsystem, das Kombinieren verschiedenster Zauber belohnt.
- Die Vielzahl der Zauber. Klar gibt es Doppelungen, eine Feuer- und eine Wasserwand sind das gleiche, nur verschieden effektiv gegen einzelne Feinde. Aber jeder Magiebaum spielt sich trotzdem sehr unterschiedlich und ist für verschiedene Situationen praktisch, es hängt nicht nur an den Schadensaffinitäten der Feinde. Mir gefällt auch, wie man immer in Bewegung bleiben muss.
- Der magische Parcours wird mit fortschreitender Spieldauer immer besser bis man so weit ist, dass nie mehr anhalten oder sich von irgendwas anhalten lassen müsste - außer durch willkürliche Grenzen der Entwickler, siehe oben.
- Endlich fokussiert sich ein AAA-Spiel mal auf Katzen und nicht immer auf blöde ach so süße Köter!
- Frey ist ein sehr gut geschriebener Charakter. Das habe ich am Anfang auch nicht gedacht, aber sie reagiert an vielen Stellen einfach so, wie viele Menschen es tun würden, die plötzlich in so einer Situation sind. Es ist erfrischend, dass sie nicht wie so viele andere Videospielhelden sich mal eben so einfach von gerade erst kennengelernten Menschen erklären lässt, diese und jene Personen sind einfach mal ohne Gewissensbisse zu töten. Sie hält Mord für falsch. Welche Videospielfigur tut das sonst? Sie ist damit automatisch glaubwürdiger und besser geschrieben als 99% aller Videospielcharaktere.
- Und auch wenn die Welt objektiv zu groß ist, sie sieht an vielen Orten einfach wunderschön aus und durch die spaßige Fortbewegung bin ich motiviert, Forspoken in Zukunft immer wieder mal einzulegen, um jede Region mal gesehen zu haben. Dazu motiviert mich kaum ein anderes Open-World-Spiel nach Erreichen der Hauptaufgabe.
Es gibt sehr viel zu lieben und es spielt sich einfach anders als andere Open-World-Spiele und ist mir damit lieber als Stangenware mit mehr Inhalt. Ich musste mich oft zwingen, aufzuhören und zu einer vernünftigen Zeit ins Bett zu gehen. Aber ich kann auch nicht verneinen, wie oft das Spiel unfertig wirkt und wie die zweite Hälfte der Story überhaupt kein nachvollziehbares Pacing mehr hat. Aus dem Spielsystem und den Plotideen hätte so viel mehr werden können!
Im Endeffekt bleibe ich beim Schluss bei meiner ersten Einschätzung: Objektiv sind das 70%, wie 4Players sie vergeben hat. Subjektiv hatte ich mehr Spaß als mit anderen großen Welten der letzten Jahre und ich behaupte, auch wenn es meinetwegen auf dem Steam Deck läuft, dass es ein Hinweis darauf ist, wohin sich Open-World-Spiele entwickeln könnten, wenn man sich nicht mehr von den lahmsten Festplatten auf dem Markt fesseln lassen muss.
Tatsächlich habe ich jetzt Lust auf Sonic Frontieres bekommen, weil es auch eine Open-World ist, in der ein Fokus darauf gelegt wird, wie sich der Spieler durch sie bewegt.
Ein Nachfolger könnte etwas ganz großes werden, aber wenn die Verkäufe nicht überraschen - unwahrscheinlich angesichts des Wertungsschnitts, würde ich sagen - wird es den wohl nicht geben. Ich drücke aber die Daumen, dass ich nicht das letzte Mal mit Frey Holland unterwegs gewesen bin!